Kritik zu Viva

© Salzgeber

Coming-out und Coming-of-Age auf Kuba: Paddy Brethnach drehte an Originalschauplätzen mit einheimischen Darstellern die Geschichte eines jungen Friseurs 

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Jesús (Héctor Medina) schlägt sich in Havanna als Friseur für ältere Damen durch. Um über die Runden zu kommen, verdingt der Halbwaise sich als Gelegenheitsstricher. Nur widerwillig überlässt er seine triste, kaum möblierte Wohnung einer Freundin, die ein paar Stunden mit ihrem neuen Freund verbringen will. So lungert der 18-Jährige inmitten der kubanischen Mangelwirtschaft genervt umher und versucht, die Zeit totzuschlagen. Ohne wirtschaftliche Perspektive lebt er im eigenen Land wie im Exil – im doppelten Sinn. Dem Regisseur Paddy Breathnach, der hier mit einheimischen Darstellern auf Kuba drehte, gelingen unterdessen bemerkenswerte Streiflichter auf Havanna, wodurch er es dem Zuschauer ermöglicht, den morbiden Charme der Stadt wie ein Tourist zu goutieren.

Als Jesús endlich wieder in seine Wohnung kann, findet er einen Lippenstift, den die Freundin in seinem Schlafzimmer liegen ließ. Sehnsüchte werden wach. Als Coiffeur frisiert Jesús nämlich auch die exaltierten Dragqueens einer Travestie­bar. Lieb und gerne würde er hier selbst im Fummel auf die Bühne gehen. Doch Mama (Luis Alberto García), die resolute »Chefin« des angesagten Etablissements, ist skeptisch. Gleich sein erster Auftritt endet in einer Katastrophe. Der bullige ältere Herr, den Jesús mit seiner provozierend gefühlvollen Tunten-Karaoke anmacht, schlägt ihn mit einem satten rechten Haken nieder.

Die Geschichte, die Breathnach und sein irischer Drehbuchautor Mark O'Halloran mit einem Almodóvar-Touch erzählen, nimmt eine drastische Kehrtwende. Der rabiate Schläger erweist sich nämlich als Jesús' Vater, der vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde, weil er todkrank ist. Als ehemaliger Boxer, Säufer und Bilderbuchmacho verkörpert er das Gegenteil seines Sohnes, der gerade dabei ist, sich als »Frau« einzuordnen. Zwischen beiden gibt es eine schwierige Annäherung, die erwartungsgemäß am Totenbett ihr versöhnliches Ende nimmt.

Das alles ist gut anzusehen. Breathnach hat einen Blick für die Transencharaktere, die von den durchweg guten Darstellern mit Liebe fürs Detail gezeichnet werden: »Ich hasse Kurzhaarperücken«, sagt der auf Kuba prominente Luis Alberto García als Mama. »Damit sieht mein Hals so fett aus«. Der Film versucht die impulsiv-romantische Tonlage improvisierter Dragshows in Havanna mit einer realistischen Darstellung des Lebens auf Kuba zu kombinieren. Das ist nur teilweise geglückt. Das interessante Transenthema gerät nämlich zusehends in den Hintergrund zugunsten einer vergleichsweise konventionellen Geschichte zwischen einem Jungen, der mit dem Coming-out hadert, und dem verkorksten Vater, der seinen Sohn zum »Mann« erziehen will. Das ist eine Spur zu dick aufgetragen. Dem vergleichsweise konventionellen Feelgood-Movie fehlt trotz gut fotografierter Originalschauplätze eine gewisse Inspiration.

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