Kritik zu The Visit

© Universal Pictures

Das einstige Wunderkind M. Night Shyamalan (»The Sixth Sense«) feiert mit einem »Found Footage«-Thriller über Kinder, die ihre Großeltern besuchen, ein unerwartetes Comeback

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Rebecca und Tyler sollen nach dem Willen ihrer geschiedenen Mutter (eine unterforderte Kathryn Hahn) eine Woche bei ihren bisher unbekannten Großeltern verbringen. Sie war einst als Teenager im Streit von zu Hause ausgezogen und hatte den Kontakt völlig abgebrochen. Voller Reue will sie 15 Jahre später dem Wunsch ihrer alten Eltern entsprechen und ihnen ihre Enkel präsentieren. Sie selbst geht mit ihrem neuen Partner auf Kreuzfahrt. So werden die smarten Geschwister am Bahnhof einer ländlichen Gemeinde in Pennsylvania von zwei schweigsamen alten Leutchen abgeholt und in ein abgeschiedenes Farmhaus einquartiert. Oma backt erst einmal Kekse.

Es ist angerichtet: Nach Gruselfilmmaßstäben ist die Ausgangslage halbwegs plausibel. Doch M. Night Shyamalan ist kein konventioneller Horrorfilmer, wie schon sein Kassenhit »The Sixth Sense« (1999) bewies. Leider befremdete das Regietalent bald durch die penetrant esoterische Aufladung seiner Filme. Nun meldet sich Shyamalan zurück mit einem selbst produzierten Psychothriller, gänzlich frei von metaphysischen Anwandlungen und gedreht mit unbekannten, aber markanten Darstellern im heimatlichen Pennsylvania. Mit seiner von Understatement und Humor geprägten inszenatorischen Eleganz erweist er sich erneut als gewiefter Geschichtenerzähler. So gewitzt wie diesmal hat der für seine Twists berüchtigte Regisseur einen schon lange nicht mehr drangekriegt.

Dass etwas faul ist, ahnen die gutwilligen Kids spätestens, als Opa ab 21.30 Uhr Nachtruhe verordnet. Tatsächlich sind jenseits ihrer Zimmertür fiese Geräusche zu hören. Doch der Horror entsteht hier nicht durch Special Effects, sondern durch den Anblick des nackten Pos der Großmutter, die knurrend an der Wand herumkratzt. Ist Demenz oder ein Dämon am Werk? Haben die beiden Senioren einen an der Waffel, oder sind sie Werwölfe? Ein paar vollgekotete Windeln und großväterliche Ausraster später beraten sich die zunehmend beunruhigten Geschwister via Skype mit ihrer Mutter. Sie versichert ihnen, dass ihre Eltern eben schon immer etwas merkwürdig waren. Und als die Oma Rebecca dazu nötigt, à la »Hänsel und Gretel« in den Backofen zu kriechen, ist es schon fast zu spät.

Geschildert wird das sich steigernde Grauen in »Found Footage«-Ästhetik. Denn die vierzehnjährige Rebecca will über das Treffen eine Dokumentation drehen und überlässt die Kamera auch ihrem jüngeren Bruder. Das aufgeregte Kameragewackel ermöglicht Shyamalan nicht nur schwarzhumorige Ellipsen im Erzählfluss, sondern, durch den Mund des altklugen Mädchens, auch Insiderwitze über das Filmemachen.

Zugleich ist der Thriller eine Emanzipationsgeschichte, in der sich die Kinder sowohl von vorgefassten Meinungen frei machen müssen als auch von Neurosen. Wie sie traut der auf Fantasy geeichte Zuschauer nicht seinem Verstand und übersieht trotz Hinweisen den wahren Sachverhalt. Unschlagbar logisch ist das Ganze dennoch nicht. Doch wie Shyamalan hier (ähnlich etwa dem neuseeländischen Überraschungshit »Housebound«) das Horrorgenre vom Kopf auf die Füße stellt, das ist schon ziemlich gekonnt.

... zum Interview mit Regisseur M. Night Shyamalan

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