Kritik zu Une Jeunesse Allemande

© W-Film

2015
Original-Titel: 
Une Jeunesse Allemande
Filmstart in Deutschland: 
21.05.2015
V: 
L: 
93 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Alte Bilder, neue Perspektiven: Der französische Regisseur Jean-Gabriel Périot montiert Archivmaterial aus Film und Fernsehen zu einer Geschichte des Zeitgeists  um Rote Armee Fraktion und 68er

Bewertung: 5
Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 3)

Vor 20 Jahren stand die deutsche Jugend stramm«, hört man einen französischen Kommentator über entsprechende Archivbilder sagen. Dort recken uniformierte junge Männer ihr Kinn nach rechts, Hitler tätschelt Kinderwangen. Ein paar Archivaufnahmen weiter ist man im Deutschland der frühen 60er Jahre, wo Intellektuelle sich rauchend vor ihren heimischen Bücherregalen filmen lassen, während sie darüber philosophieren, dass man einzig der Jugend vertrauen könne. Die versammelt sich unterdessen an der Freien Universität in Berlin zu Protestkundgebungen und provoziert mit ihrem Verhalten die braven Nachkriegsbürger, die Dinge schreien wie: »Ich habe damals nur auf Befehl gehandelt!« Anderen rutscht gleich die Hand aus. Dann sieht man in herrlicher Souveränität eine junge Frau mit Zigarette in der Hand im Kreise alter bebrillter Männer über die Frage der »ausgehöhlten Autorität« diskutieren. »Ulrike Marie Meinhof«, so wird sie von einer für diese Zeit so typisch seriösen Fernsehstimme vorgestellt. Aber schon geht es weiter. Willy Brandt hält eine Rede zur Eröffnung der Film- und Fernsehakademie in Berlin: »Wir dürfen damit rechnen, dass von den Absolventen künstlerische und organisatorische Impulse in Kino, Film und Fernsehen ausgehen werden.« Unter anderem sitzen Harun Farocki und Holger Meins im Saal. Gudrun Ensslin spielt in einem DFFB-Film, und bald erscheint auch Andreas Baader im Bild.

Vom Anfang der 60er Jahre bis zu Fassbinders Auftritt 1978 im Omnibusfilm Deutschland im Herbst reicht die Collage, die der 1974 geborene Franzose Jean-Gabriel Périot hier aus alten Nachrichten, Filmen und TV-Sendungen zusammenschneidet. Bekanntes Material mischt er mit Neuentdeckungen aus den Tiefen der Archive. Die Chronologie der Ereignisse, von Benno Ohnesorgs Tod bis zu den Selbstmorden in Stammheim, ist wohl bekannt. Im Jahresabstand werden sie mittlerweile in den deutschen Medien neu durchgespielt und interpretiert. Périots Collage aber fesselt ihre Zuschauer gerade damit, dass hier sozusagen zu den Quellen zurückgegangen und eben nicht interpretiert wird. Man betrachtet das Archivmaterial und staunt noch einmal über die große Fernsehbegabung, die Ulrike Meinhof in ihrer Rolle als »Starkolumnistin der Zeitschrift Konkret« an den Tag legte. Wie klar sie zu argumentieren wusste, mit immer angenehm bleibendem Timbre, völlig ohne Koketterie – aber im selben Ton rechtfertigt sie später Polizistenmorde. Kann man dem Anwalt-Nerd Horst Mahler schon den späteren Rechtsradikalen ansehen? Auf der anderen Seite bringen Redeausschnitte von Franz-Josef Strauß und Helmut Schmidt in Erinnerung, wie scharf und polemisch Politiker damals noch sein konnten, ganz ohne Angst, von Youtube entlarvt zu werden.

Dabei bildet Une jeunesse allemande nicht das übliche »schöne Erinnern an schlechte Zeiten« ab. Denn Périot schneidet so subtil wie engagiert. Sein Film argumentiert durch Montage und weist dabei dem Zuschauer die Rolle zu, mit- und für sich selbst zu denken.

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