Kritik zu Remainder

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Ein Vexierspiel zwischen Experimentalfilm und Thriller: Mit aufwendigen und zunehmend bizarren Reenactments begibt sich ein junger Mann auf die Suche nach seiner Identität

Bewertung: 3
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3.5
3.5 (Stimmen: 2)

Was ist Erinnerung? Wie konstruiert sich Identität? Und wie verlässlich sind die Bilder, die wir uns von Erlebtem machen? Bereits in seinen preisgekrönten Videoinstallationen beschäftigte sich der israelische, in Berlin lebende Künstler Omer Fast immer wieder mit Erinnerungen und deren Rekonstruktion, mit den Fallstricken der Wahrnehmung. Existenzielle Themen, um die auch sein doppeltes Spielfilmdebüt auf der diesjährigen Berlinale kreiste: Sowohl »Continuity«, die Langfassung eines Kurzfilms von 2012, im Forum Expanded gezeigt, als auch »Remainder« im Panorama umspielen diese existenziellen Fragen mit bizarren Formen von Reenactment.

In »Remainder« ist es ein junger Mann (Tom Sturridge), der nach einem Unfall seine wenigen Erinnerungsfragmente anhand von Reinszenierungen zusammenzusetzen versucht. Von Beginn an verschlägt die Verfilmung des Romans von Tom McCarthy den Betrachter in einen Kosmos unterkühlter Rätselhaftigkeit: Der namenlose Held wird an einer belebten Straße von einem großen, schweren Gegenstand getroffen. Aus dem Koma erwacht, erhält er über einen Anwalt eine beachtliche Entschädigung für sein Schweigen über den Unfallhergang. Kein Problem, er kann sich sowieso an nichts erinnern. An Krücken humpelt er durch eine Welt, mit der ihn nur noch wenige, zusammenhanglose Eindrücke verbinden, etwa der Geruch von gebratener Leber in einem Treppenhaus, das Klavierspiel aus einem der oberen Stockwerke, ein Junge im blauroten Anorak, der seine Hand nach ihm ausstreckt.

Ein Mitarbeiter einer Consultingfirma wird nun zum Produzenten seines Erinnerungs-Reenactments, besorgt ein Haus, das den inneren Bildern des jungen Mannes entspricht und gestaltet die Details nach dessen Vorstellungen. »Mieter« werden wie Schauspieler in Castings engagiert. Immer obsessiver betreibt der junge Mann seine Inszenierungen, die hier zu faszinierenden, bisweilen grotesken Filmszenen werden. Geheimnisvolle Gestalten tauchen auf, ein Banküberfall rückt in den Mittelpunkt der Reenactments und immer mehr Gewalt bricht in die Erinnerungen wie auch in die Gegenwart ein. Zugleich wird immer weniger unterscheidbar, was der junge Mann rekonstruiert und was er fantasiert.

Trotz aller halluzinatorischen Qualität bleibt »Remainder« ziemlich kühl. Zwar drängen sich Vergleiche etwa zu David Lynchs labyrinthischen Erzählungen auf, doch das Surreale erfährt hier keine rauschhafte Entfesselung. Und so fremd der empathielose Protagonist sich selbst ist, so distanziert bleibt ihm gegenüber der Betrachter. Dies hält zwar den Blick auf die vielfältigen Subtexte des Films frei, die von der Macht des Geldes erzählen, von der Fixierung auf Bilder und Oberflächen statt auf Zusammenhänge, nicht zuletzt auch von der Tyrannei der Inszenierung, auch der filmischen. Trotz reizvoller Zutaten will aber keine zwingende Dynamik entstehen, »Remainder« bewahrt sich eine intellektuelle Reserve und wirkt daher etwas steril. Ein Film um Abgründe und Geheimnisse, der – in der Erinnerung – merkwürdig geheimnislos ist.

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