Kritik zu Mein Herz tanzt

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Der neue Film von Eran Riklis (Lemon Tree) erzählt von einem palästinensischen Schüler in einem jüdischen Internat

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.666665
3.7 (Stimmen: 3)

Der Nahostkonflikt gehört zu jenen Filmthemen, bei denen einem sofort bestimmte Standardsituationen und Klischeefiguren durch den Kopf schießen. Auch der israelische Regisseur Eran Riklis hat in seinen Filmen gewisse Stereotypen bedient, in Lemon Tree etwa das Bild der milden Palästinenserin und des arroganten jüdischen Militärs. Umso schöner die Überraschung, dass er in seinem neuen Film Mein Herz tanzt genau solche Erwartungen unterläuft. Der Film basiert auf dem semi-autobiografischen Roman von Sayed Kashua, einem der prominentesten arabisch-israelischen Schriftsteller des Landes. Im Mittelpunkt steht der junge Palästinenser Eyad, der in den 1980er Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern in der Provinzstadt Tira lebt. Der Beginn ist noch wenig vielversprechend, wenn die Familie als kauzig-klamaukiger Clan inszeniert wird, wie man es vor allem aus italienischen Komödien kennt. Aber trotz mancher Albernheiten fällt schon in diesen Szenen auf, dass es Riklis um das Bild einer ganz alltäglichen, fröhlichen Lebensrealität geht, anstatt das Klischee der unterjochten Palästinenser zu bemühen. Das Politische blendet er gleichwohl nicht aus, sondern unterfüttert den boulevardesken Humor mit zeitlosen Bezügen zur Lebenssituation israelischer Araber.

Wenn etwa der junge Eyad seinen Vater, einen armen Tagelöhner, in der Schule stolz als »Terroristen« bezeichnet, weil dieser einst in israelischer Haft saß, spielt das gleichermaßen auf die äußerst begrenzten »Karrieremöglichkeiten« vieler Palästinenser an wie auf die absurde Romantisierung arabischer Attentäter und auf die beginnende Fanatisierung im Kindesalter. Auch der Originaltitel Dancing Arabs steht einerseits für Unbeschwertheit unter schwierigen Lebensumständen, evoziert aber auch Medienbilder tanzender Araber nach blutigen Terroranschlägen.

Als der hochintelligente Eyad Ende der 1980er Jahre die Aufnahmeprüfung an einem jüdischen Eliteinternat in Jerusalem besteht, sehen seine Eltern darin eine einmalige Chance. Sogar der einst rebellische Vater hat Bildung als wirksamste Grundlage für Veränderung erkannt. An der Schule wird Eyad nach anfänglichen Spötteleien schnell integriert. Er verliebt sich in seine Mitschülerin Naomi, doch die Beziehung muss geheim bleiben, da sie um den Rassismus ihrer Eltern weiß. Zugleich findet Eyad in dem Juden Yonatan einen engen Freund. Yonatan leidet an Muskelschwund, ist an den Rollstuhl gefesselt und auf seine Weise ebenso ein »integrierter Außenseiter« wie Eyad.

Diese Figurenkonstellation hat zwar etwas durchaus Symbolisches, nicht zuletzt in einer Szene, in der Eyad seinen bewegungsunfähigen Freund trägt und wäscht. Aber durch die Nüchternheit der Inszenierung vermeidet Riklis aufdringliche Didaktik. Man hat über weite Strecken vielmehr das Gefühl, eine besondere Jugendgeschichte zu sehen, mit sperrigen, in ihren Widersprüchlichkeiten und ihren fragwürdigen Entscheidungen sehr »echt« wirkenden Charakteren. Riklis erzählt vom Versuch einer jungen Generation, ein normales Leben unter nicht gewöhnlichen Umständen zu führen. Seine Könnerschaft besteht dabei nicht zuletzt darin, den gesellschaftlichen Kontext stets präsent zu halten, in dem selbst intimste Handlungen etwas Politisches bekommen. Wie tief der gesellschaftliche Graben geht und wie fest der strukturelle Rassismus selbst in israelischer Literatur sitzt, zeigt er mit abgeklärter Lakonie, aber ohne Bitterkeit.

Glücklicherweise verzichtet Riklis auf fatalistisch sich zuspitzende Dramatik. Er lässt die Geschichte mit einer stillen, zutiefst menschlichen Geste enden, die sowohl arabische als auch jüdische Definitionen von Identität und Heimat durchaus provokativ auf den Kopf stellen. Man kann das hoffnungsvoll nennen, die Realität sieht anders aus: Als israelischer Film wird Mein Herz tanzt in der arabischen Welt boykottiert; und Sayed Kashua wanderte 2014 von Israel nach Amerika aus, weil er die Ungleichbehandlung der arabischen Israelis nicht mehr ertrug.

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