Kritik zu Clash

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Der Ägypter Mohamed Diab skizziert die Unruhen während der Mursi-Herrschaft in einer perfekten Miniatur. Trotz des eingeschränkten Handlungsraums – der ganze Film spielt in einem Polizeitransporter – öffnet er den Blick

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Chaos, überall Chaos. Ägypten steht kurz vor dem Kollaps in diesem Juni des Jahres 2013. Die letzten Tage des Mursi-Regimes sind angebrochen. Anhänger und Gegner des Präsidenten liefern einander erbitterte Straßenschlachten, die Republikanische Garde versucht mit fragwürdigen Mitteln, für Ordnung zu sorgen, die Stimmung ist eine explosive Mischung aus Wut, Gewalt und Verzweiflung. Und das Irritierende dabei: Es ist praktisch unmöglich, einzelne Personen oder Gruppen dem einen oder anderen Lager zuzuordnen. Wer ist Mitglied der erzkonservativen Muslim-Bruderschaft, wer liberaler Christ? Wer unterstützt die Regierung, wer will sie stürzen? Und wer mag beurteilen, ob jemand Täter, Opfer oder bloß harmloser Passant ist?

In seinem zweiten Spielfilm nach dem einflussreichen »Kairo 678« verdichtet der Ägypter Mohamed Diab die Unübersichtlichkeit der politischen Krise zu einem überaus klaustrophobischen Szenario. Clash beschränkt seinen Handlungsraum auf das Innere eines Gefangenentransporters der Polizei. Auf einer Fläche von acht Quadratmetern spielen sich die Dramen, Tragödien und ein paar wenige hoffnungsvolle Momente des Films ab; die Kamera zeigt nur, was drinnen geschieht oder durch die schmale Tür und die vergitterten Fenster zu sehen ist. Das klingt nach Minimalismus, nach Reduktion und Zuspitzung. Tatsächlich aber betreibt die Inszenierung ein geschicktes Doppelspiel: Immer wieder öffnen sich überraschende (Außen-)Räume, wenn sich unmittelbar vor oder neben dem Wagen erstaunliche Massenszenen abspielen, wenn die Inszenierung klarstellt, dass nicht nur der Konflikt da draußen, sondern auch seine filmische Abbildung deutlich größer dimensioniert ist, als es zunächst scheinen mag.

Die Ton- und Bilderfetzen, die von außen nach innen dringen, machen unmissverständlich klar, dass in den Straßen ein Bürgerkrieg tobt. Zwei Journalisten sind die ersten Gefangenen, die in dem Fahrzeug ausharren müssen, während draußen die Lage eskaliert. Es dauert aber nicht lange, bis sich auch drinnen die Lage zuspitzt. Mit jeder neuen Festnahme wird es nicht nur voller, sondern auch gefährlicher. Mitglieder sämtlicher beteiligten und (so behaupten es jedenfalls erstaunlich viele) unbeteiligten Fraktionen drängen sich auf dem engen Raum, keiner traut keinem, und jeder ist bereit, dem anderen an die Kehle zu gehen. Ohne es zu wollen, schaffen die Soldaten, die immer noch mehr Menschen in den Wagen pferchen, auf diese Weise einen Mikrokosmos, der das äußere Chaos exakt abbildet.

Diabs nervöse Inszenierung schafft weder Sicherheit noch Klarheit. Sie erzeugt von Anfang an ein Gefühl der Desorientierung und konzentriert sich ganz darauf, die ­extreme Situation vor allem physisch erfahrbar zu machen. Die Menschen in diesem Gefängnis auf Rädern bleiben uns ziemlich fremd, sie sind keine Figuren im klassischen Sinne, sondern wirken ganz real, fast wie in einem Dokumentarfilm. Diabs Kunst liegt in dieser Mischung: Er verbindet grandiose Gestaltungskraft mit beklemmendem Realismus.

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