Kritik zu Antikörper

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Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt, heißt es bei Dostojewskij. Zum Beispiel grenzenloser Egoismus, der, so sieht es der deutsche Filmemacher Christian Alvart, in der Figur des Serienmörders seine radikalste Ausformung findet. "Ich habe mich in jahrelanger Recherche mit dem Phänomen Serienkiller auseinander gesetzt", sagt Alvart, "denn für mich steht der Serienkiller, der das Leben seiner Mitmenschen seiner eigenen Befriedigung unterordnet, für den Egoismus in reinster Vollendung

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Ergebnis der Recherche ist der Film Antikörper, für den Alvart als Autor und Regisseur verantwortlich zeichnet. Es ist die Geschichte des in Berlin und Umgebung aktiven Mörders Gabriel Engel (André Hennicke), der mit dem Blut seiner Opfer religiöse Bilder malt. Und es ist die Geschichte des Provinzpolizisten Michael Martens (Wotan Wilke Möhring), mit dem Engel ein manipulatives Spiel treibt. Wie sein Kollege Darius Khondji in Sieben nimmt Kameramann Hagen Bogdanski zu Beginn eine bedrohliche Großstadtwelt im Dunkeln und im Dauerregen auf: eine Metapher im meteorologischen Gewand. Das ländliche Milieu, in dem Martens seinem Dienst nachgeht, erscheint wie ein surreales Tableau. Hier, wo Hunde Schimanski heißen, ist seit dem Mord an einem Mädchen die thüringische Idylle vergiftet.

Alvart ist ein deutscher Filmemacher, zu Hause ist er aber in der globalen Welt des Kinos, in der Nachbarschaft von Regisseuren wie David Fincher, David Lynch und Jonathan Demme. Wie bei Lynch wiegen sich die Bäume bedrohlich im Wind, und Nadeshda Brennicke säuselt sirenenhaft als Barsängerin wie dereinst Julie Cruise. Wie im Schweigen der Lämmer kommt es zu einem Duell und zu einem Wettlauf mit der Zeit. "Das Böse ist ein Virus", behauptet André Hennickes dämonischer Engel. Und es fällt dem braven Polizisten immer schwerer, Antikörper zu mobilisieren. Er kann das Böse nicht verändern, es verändert ihn.

Es ist weniger Alvarts Anleihe bei Klassikern des Genres, die irritiert. Es ist vielmehr der plakative Umgang mit den Versatzstücken. Er zitiert mit Ausrufezeichen, lässt archaischen Choralgesang anschwellen und scheut auch vor alttestamentarischem Beistand nicht zurück: "Und Isaak sprach ..." Heinz Hoenig gibt den Über-Bullen Seiler: ein Kommissar in XXL - "der härteste Schimpanse im ganzen Affenkäfig".

Im Kleinen, in der psychologischen Feinarbeit überzeugt Alvarts Kinodebüt, vor allem in den Begegnungen zwischen Täter und Polizist, angesichts derer man sich fragt: Wer verhört hier wen? André Hennicke verleiht dem Monströsen ein menschliches Gesicht, er ist abgründig und rätselhaft zugleich. Seine barbarische Natur artikuliert sich nicht in Gewaltszenen (die spart Alvart weitgehend aus), sondern in Worten und Gesten, die Ausdruck einer fiebrigen, lauernden Selbstumspanntheit sind.

Wotan Wilke Möhring als Martens ist das Zentrum des Films, ein Mann voller Widersprüche, entschlossen und schwach zugleich, wertkonservativ und verführbar. Wie er sich verändert, ist in den Augen des stumm leidenden Sohnes (Hauke Diekamp) abzulesen. Kein schöner Anblick.

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