Kritik zu ACT! Wer bin ich?

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Rosa von Praunheim wagt sich in seinem neuen Dokumentarfilm in die keineswegs konfliktfreie Mixed Zone zwischen Neuköllner Jugendkultur und Theaterpädagogik

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Jugendliche bei einem Überfall, eine junge Frau wird auf der Straße aggressiv angemacht und wehrt sich mit einem F-Wort, die Bildqualität ist wackelig und schlecht. So beginnt dieser Film: Doch was wie eine taffe Reportage über Jugendgewalt aussieht, ist Teil eines Theaterprojekts in Berlin-Neukölln. Hier hat sich die Pädagogin Maike Plath nach 17 Jahren als Beamtin im Schuldienst eine freischaffende Existenz als »Theatermacherin« (so nennt sie es selbst) und Multiplikatorin aufgebaut. Gemeinsam mit dem Musiker Moritz Degen und Jugendlichen inszeniert sie am Neuköllner Kieztheater »Heimathafen« Stücke und Shows mit so schönen Titeln wie »Tear Down This Classroom« oder »Arab Queen & Thilo Sarrazin — Neuköllner Jugendliche geben Contra«.

Das Besondere dabei: Plath entwickelt die Stücke mit den Schülern selbst aus deren eigenen Erfahrungen — auch, um ihnen so die Stimme zu geben, die sie im sonstigen Leben nicht erhalten: »Du redest über uns, aber jetzt sind wir dran«, heißt es in einem Rap. Partizipativ biografisches Theater nennt sich dieser Ansatz, der Jugendlichen im spielerischen Ausdruck neben künstlerischem Handwerkszeug auch einen neuen selbstreflektierten Zugriff auf ihr Leben geben soll. Thematisch geht es in den Stücken um Gewalt und Genderrollen, Anerkennung, Einsamkeit, Freiheit und natürlich auch um Schule selbst.

Seit seinen ersten Spielfilmen hat Rosa von Praunheim immer wieder ein großes Herz für kämpfende Underdogs bewiesen. Und so spielen auch in diesem Film eine große Rolle die Kids, die von Lehrerin Plath oft zum ersten Mal in ihrem Leben Anteilnahme und Wertschätzung erfuhren: Sie heißen Jussuf oder Walid, Olga, Halla oder Kasimir, träumen von einer Karriere als Schauspielerin, Tierarzt oder einfach nur dem Abitur. Ihre Stimmen und Auszüge aus Theaterproduktionen der letzten Jahre umrahmen das Porträt der aus einer norddeutschen Lehrerfamilie stammenden engagierten Pädagogin selbst, die wohl vor allem die Liebe nach Berlin und dort an eine Neuköllner Hauptschule verschlagen hat. (In seiner um formale Geschlossenheit unbekümmerten Art scheut sich Praunheim nicht, gleich in den ersten Minuten des Films in einem romantischen Mini-Home-Story-Schlenker auch Maike Plaths Lebenspartner samt Kennenlerngeschichte einzuführen.)

So stark und ausgeglichen Plath heute auch wirkt, musste sie in den ersten Neuköllner Monaten auf dem Heimweg in der U-Bahn vor Frust oft mühsam die Tränen zurückhalten, wie sie erzählt. Und als die wohl auch gegen diese negativen Gefühle gegründete Theater-AG nach einigen erfolgreichen Jahren auf Widerstand der Schulverwaltung stößt, reagiert Plath mit dem Ausstieg aus dem System Schule und dem Aufbau eines Vereins (»Act!«), der das Jugendtheater auf freier Basis fortführt. Es überrascht nicht, dass dabei Geldknappheit das größte Problem ist, doch auch die aufreibenden Lebensrealitäten machen die kontinuierliche Arbeit manchmal schwer. Einziger kleiner Makel des Films: Es wäre doch interessant gewesen, Konkreteres über die Schwierigkeiten des Berliner Schulbetriebs mit der pädagogischen Theaterarbeit zu erfahren.

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