Hörkino zum Sehen

Meine größte Neugier zielte natürlich darauf, wie sie wohl die Geschichte mit dem Milchglas hinbekommen würden. Auf der Leinwand kann man sie zum Leuchten bringen (zumindest, wenn man so geniale Ideen wie Alfred Hitchcock hat), im Radio muss notwendig sie stumm bleiben. Aber was ließe sich auf der Bühne mit ihm anfangen?

Am letzten Montag konnte ich mich im Berliner Cabaret »Bar jeder Vernunft« davon überzeugen, wie das geht. An diesem Abend wurde die Hörspielfassung von Hitchcocks »Verdacht« live aufgeführt. Auf das Projekt »Hollywood on Air«, mit dem die Regisseurin und Autorin Regine Ahrem an das Goldene Zeitalter des Radios erinnert, habe ich im letzten Jahr bereits ausführlich hingewiesen (»Hörkino 1« vom 28. 5.), nun wollte ich endlich einmal in Augenschein nehmen, wie so etwas live funktioniert.

Gerd Wameling führte als Zeremonienmeister ein, schilderte die damalige Aufführungspraxis (»Für das 25-köpfige Orchester haben wir mit dem Pianisten Mark Scheibe einen voll gültigen Ersatz gefunden.«) und übernahm sodann einige der Sprechrollen: sehr vergnüglich den Part des Beaky, den Nigel Bruce im Film jovial spielt und sehr ernst den der Stimme des Verdachts. Chris Pichler sprach die stark modernisierte Lina, die viel selbstbewusster auftritt als Joan Fontaine damals; Max Volkert Martens trat in die Fußstapfen von Cary Grant und Eva Weißenborn lieh weiteren Figuren ihre Stimme. Eine Glanzrolle fiel an diesem Abend auch dem findigen Geräuschemacher Peter Sandmann zu, der Herzklopfen mit einem Geschirrtuch nachahmen kann. Die Truppe ist schon häufiger mit dem Stück aufgetreten und wird es bald wieder tun (in Berlin am 29.2., am 4.4. und 6.6.; www.bar-jeder-vernunft.de). Um der authentischeren Live-Atmosphäre willen verhaspelte man sich aber auch schon mal.

Während es im Hörfunk darum geht, eine Illusion zu schaffen, kann das Ganze auf der Bühne nur als ironische Veranstaltung stattfinden. Die Figuren müssen nicht glaubhaft verkörpert werden, vielmehr sollen die Nähte des szenischen Gewebes sichtbar werden. Man schaut ein paar Zauberern zu, die vergnügt in ihre Tricks einweihen. Figur und Bühnenpräsenz bilden nicht zwangsläufig eine Einheit: Die Darsteller spielen vom Blatt, verleihen den Szenen nur gelegentlich gestischen Nachdruck und machen verschmitzt die Differenz zwischen Sprechen und Handeln kenntlich. Das ist ziemlich ulkig; bei der entschieden analogen Geräuschdramaturgie sind Lacher garantiert. Cary Grant vermisst man natürlich sehr (obwohl Martens seine Sache prächtig macht), ohne seinen Charme bleibt es ein Rätsel, weshalb Lina dem Tagedieb Johnny verfällt. Allerdings hat Ahrem ohnehin gegenüber dem Drehbuch einige Nachbesserungen vorgenommen. So glimpflich wie im Film geht es nicht aus. Aber damit hat sie Hitchcock, dem das Studio einen anderen Schluss aufdrängte, auf ihrer Seite – und die Romanvorlage von Francis Iles ebenfalls, wie ich mich beim Blättern in meiner vergilbten Taschenbuchausgabe überzeugen konnte. Und das Milchglas? Sehen Sie selbst. 

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