Interview mit Sebastian Koch zu »Bridge of Spies«

Gemeinsam bis ans Limit gehen
Sebastian Koch

© Till Broenner

Sebastian Koch gehört zu Deutschlands profiliertesten Schauspielern: ausgezeichnet und gefeiert für Fernsehproduktionen wie »Die Manns« oder »Speer und Er«, seit dem Erfolg von »Das Leben der Anderen« auch international gefragt. Jetzt ist er in Steven Spielbergs neuem Film »Bridge of Spies« zu sehen, der vom Agentenaustausch zwischen Ost und West während des Kalten Kriegs erzählt. Im Januar kommt Tom Hoopers Biopic »The Danish Girl« ins Kino.

Herr Koch, erstaunlich oft geht es in ­Ihren Filmen um Verschwörungen. Neben »Bridge of Spies« und »Das Leben der Anderen« fallen mir »Der Tunnel«, »Das Todesspiel« oder »Stauffenberg« ein. Reizt sie das Spiel mit Täuschung und Verschlagenheit? 

Sebastian Koch: Es ist schon richtig, da kommen einige Filme zusammen. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich ausschlaggebend ist. Ich sage einfach zu, wenn ein Stoff reizvoll ist. Nehmen Sie »Unknown Identity«. Das ist kein wirklich großer Film, ich habe auch keine große Rolle darin, aber ich mochte diese vielen Wendungen und Überraschungen, ein überaus spannender Thriller mit einem wunderbaren Partner. Ich gehe nach dem Drehbuch. Und schaue mittlerweile sehr genau nach den Leuten, mit denen ich arbeiten werde. Tom Hanks etwa besitzt den gleichen Humor, das gleiche Understatement wie seine Figur in »Bridge of Spies« – was für eine Freude, mit ihm Zeit zu verbringen. Und bei »The Danish Girl« war es ebenso: Wenn nicht alles schiefgeht, bekommt Eddie Redmayne dafür die zweite Oscarnominierung.

Im Abspann von »Bridge of Spies« erfährt man, was später aus dem amerikanischen Unterhändler James Donovan, dem sowjetischen Spion Rudolf Abel und dem gegen ihn ausgetauschten US-Piloten Francis Gary Powers wurde. Aber kein Titel berichtet über das weitere Leben des ostdeutschen Unterhändlers Wolfgang Vogel, den Sie spielen. Ist das ungerecht?

Nein, der hat auch nicht so einen großen Raum im Film. Die Geschichte spielt zu zwei Dritteln in Amerika, zu einem Drittel hier. Mich hat das nicht gestört, dazu ist Vogel nicht präsent genug. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass man seine Funktion ausführlicher erklärt, denn die war ja gigantisch. Nach diesem ersten Agentenaustausch wurde er der Vermittler überhaupt. Er hat rund 30 000 politische Häftlinge an die BRD verkauft. Dabei hat er immer dieses Doppelspiel getrieben: dem Osten Devisen zu verschaffen und dem Westen die Leute, die herüberkommen wollten. Ein Schlaraffenlandleben eben. Aber er hat auch etwas von Fouché, dem Polizeiminister Napoleons. Er war sehr geschickt, vielleicht nicht immer ganz genau mit der Wahrheit, aber immer sehr zuverlässig. Diese Zuverlässigkeit hat ihn überleben lassen – die Leute mochten ihn dafür.

Er hatte mächtige Fürsprecher im Westen.

Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, alle mochten ihn. Gut, die hatten auch keine andere Chance. Erst einmal hatte er beide Zulassungen als Anwalt, sowohl im Osten wie im Westen. Das war die Voraussetzung, damit er in Verhandlungen treten konnte vor Gericht. Und ich glaube, er hatte ein unglaubliches Gespür für Balance. Diplomatie ist ja nichts anderes als ein Gefühl dafür, wie weit ich gehen kann. Und Vogel besaß da höchste Empfindsamkeit. Da geht es um Nuancen, die alles entscheiden können.

Ihre Szenen mit Tom Hanks als Donovan sind Konfrontationen zweier Anwälte. Konnten Sie sich Vogel überhaupt in einem anderen Beruf vorstellen?

Nein, denn diese Art von Diplomatie ist jedem Anwalt geläufig. Das passt wie die Faust aufs Auge. Vogel war immer der Diener zweier Herren. Er ist schon ein Fuchs gewesen. Spielberg war halt wichtig, dass da jemand ist, der mit dem Donovan auf Augenhöhe spricht. Obwohl Vogel mit diesem Komplex behaftet ist, dass der Westen die DDR nicht als eigenständigen Staat anerkennt.

Er handelt also aus einer Kränkung heraus?

Ja, total. Damals war gerade die Hallstein-Doktrin in Kraft getreten, die es anderen Staaten verbot, in diplomatischen Kontakt mit der DDR zu treten. Sie war bis in die 70er Jahre gültig, als Willy Brandt das auflöste.

Wie finden Sie zu einer solchen Rolle: Verlangt das viel Recherche, oder genügen das Drehbuch und Ihre Fantasie?

Mir ging es nicht darum, dass ich aussehe oder gehe wie er. Ich hab' schon geguckt, was das für ein Mensch ist. Es ist spannend, sich in eine solche Figur einzufühlen. Aber ich kann nicht so viel da hineinbringen, dafür nehmen die Szenen einfach zu wenig Raum ein. Mich interessierte, dass ich der Tom-Hanks-Figur auf eine Art Paroli bieten kann. Andererseits kommt da der große Ami in die ostdeutsche Stube, worüber Vogel anfangs fast ein wenig erschrickt. Er vergisst, ihm Whisky einzuschenken. Das sind Kleinigkeiten, die ich mag, weil sie zeigen, wie sehr er unter Anspannung steht. Zum Schluss kann ich ihn dann immer lockerer und entspannter spielen. Aber er hat ja nicht so wahnsinnig viele Karten in der Hand.

Stimmt, das ist ein Film über begrenzte Spielräume.

Ja, es geht darum, wer von welchen Gnaden lebt.

Vogel fügt sich in eine ganze Galerie historisch verbürgter Charaktere, die von Andreas Baader über Richard Oetker bis zu Stauffenberg und Albert Speer führt. Ist die Zeitgeschichte Ihr darstellerisches Schicksal? Oder eine Wahl?

Ich entscheide ja, wann und ob ich zusage. Scheinbar sind das die Bücher, die ich spannend finde. In diesem Fall war es einfach die gesamte Konstellation mit Spielberg, Hanks und den Coen-Brüdern, die als Autoren sozusagen das Bett machen. Und weil ich sehr an dieses Dreieck Regie, Schauspiel und Kamera glaube, kommt Janusz Kaminski hinzu. Wenn alle drei in die gleiche Richtung laufen, ich meine im Geiste, kann bei einem Film eine vierte Dimension entstehen.

Das ist bei diesem Film passiert; ich finde, er ist ganz besonders. Das hat damit zu tun, dass wir eine gemeinsame Energie entwickelt haben, die konzentriert sucht und offen ist für etwas, das noch passiert. Das erlaubt es dem Film auch, diesen besonderen Rhythmus zu entfalten, der sehr langsam ist, aber auch besonders kräftig und nachhaltig wirkt.

Ich glaube, »Bridge of Spies« wird in Amerika unheimlich einschlagen. Zu der spannenden Kalter-Krieg-Geschichte kommt hinzu, dass der Stoff eine solche Aktualität gewonnen hat. Auch heute geht es ja wieder darum, geopolitische Feindbilder zu schaffen. Aber es klappt nicht mehr wie damals. Das Schwarz-Weiß-Denken hat ausgedient. Man muss sich die Mühe ­machen, nachzudenken und eine eigene Haltung zu finden.

Ich finde den Film sehr klug darin, dass er das Tauziehen des Kalten Krieges auch als Spiegeleffekt betrachtet. Er zeigt, dass beide Seiten Spionage betreiben, mit ähnlichen Zielen, ähnlichem Pragma­tismus.

Das ist sehr amerikanisch. Donovan steht zur Verfassung. Sein Mandant Abel hat ein Recht auf Verteidigung. Man hat den Eindruck, die westliche Welt entfernt sich von ihren Grundsätzen, verlässt konstitutionelle Verabredungen. Das ist ganz gefährlich. Die Amerikaner können sich nicht mehr als die Guten sehen, als die Weltpolizei.

»Bridge of Spies« beginnt während der Eisenhower-Ära, in einer Zeit, der gern noch eine Unschuld unterstellt wird. Als ehemaligem General war Eisenhower die Spionage eigentlich fremd und zuwider.

Aber mit Senator McCarthy hatten sie doch den Oberspitzel im eigenen Land! Die waren sehr wohl mit Spionage vertraut. Warum sonst mögen die Amerikaner »Das Leben der Anderen« wohl so sehr?

Interessant ist, dass der Film bei den Engländern noch höher im Kurs steht. In vielen Umfragen wurde er zum besten der Nullerjahre gekürt.

Er hat überall einen Nerv getroffen, aber besonders in den USA. Da hat er einen Rieseneindruck hinterlassen. Die Macher von »Homeland« sagen, dass ihre Serie durch ihn erst angeregt wurde. Ich verstehe das auch, wenn ich durch das Land reise. Der Film ist sehr nahe dran an deren Mentalität.

Ich möchte noch einmal auf die Idee des Dreiecks zurückkommen, von dem Sie sprachen. Von Schauspielern hört man sonst nie, dass sie die Kamera so stark einbeziehen.

Diese Idee des Dreigestirns trage ich schon sehr lange mit mir herum. Der Regisseur und die Schauspieler können noch so klug sein und noch so viele Feinheiten ins Spiel bringen – wenn der Kameramann das nicht sieht, kein Sensorium dafür hat, kann er das doch nicht unterstützen und zum Leben erwecken. Da muss ein gemeinsamer Geist herrschen. Nur so können große Filme entstehen, da bin ich mir ganz sicher. Und Spielberg sucht seine Leute danach aus. Mit den meisten arbeitet er ja schon ewig zusammen. Ich bin jemand, der sagt, was er denkt. Und genau das will er, braucht er, und das holt er sich.

Aber geht es ohne den Anstoß durch ein interessantes Drehbuch?

Da kann man schon viel herauslesen, einen Eindruck vom Film gewinnen. Aber dann muss die Konstellation zusammenpassen. Tom Hooper hat mich zum Beispiel bei »The Danish Girl« extrem fasziniert, weil er wie ein Besessener arbeitet, unglaublich akribisch. Er will immer hundert Prozent. Das ist auch ein bisschen wahnsinnig. Aber mir gefällt so etwas. Ich mag Leute, die sich nicht zufriedengeben, die Visionen haben, dann aber auch bereit sind, andere reinzulassen. Ich mag diese Übereinkunft, gemeinsam bis ans Limit zu gehen. Tom Hooper macht das mit einer großen Energie, fast ein bisschen autistisch. Der ist ganz in sich, aber doch schon auch erreichbar. Spielberg ist ganz offen und entspannt, hat fast etwas Buddhistisches. Das sind großartige Begegnungen, da entstehen Verbindungen. Und es beruhigt mich, dass das nicht einseitig ist. Als das Angebot von Spielberg kam, war ich bei einem Dreh in Frankreich. Der war sehr aufwendig und kompliziert. Aber die Termine für Bridge of Spies wurden dann so fixiert, dass ich auch wirklich frei war. So etwas ist in Amerika nicht üblich. Aber es zeigt mir, dass er wirklich mich gemeint hat.

Unter Ihren ausländischen Filmen habe ich ein besonderes Faible für »Black Book«: weil er so verantwortungslos wirkt. Er gibt nicht vor, mehr zu sein als ein Abenteuerfilm über den Widerstand gegen die Nazis.

Paul Verhoeven ist ein Künstler der dicken Pinselstriche. Der ist nicht so ziseliert wie der Florian Henckel von Donnersmarck oder Spielberg. Er ist ganz impulsiv, ein Junger Wilder, auch wenn er jetzt schon Mitte siebzig ist. Übrigens kein Schauspielerregisseur, aber das nur so nebenbei gesagt.

Interessiert ihn die kinetische Seite mehr, der Bildaufbau oder das Tempo?

Er ist einer der wenigen Künstler, die so sind wie ihre Filme. Er lebt in seinen Filmen. Da ist er sehr authentisch. Ein Intellektueller in einem Ferrari – und beides stimmt. Das ist eine komische Mischung, die sehr exzessiv ist und große künstlerische Kraft hat. Das ist vielleicht das, was Sie gerade beschreiben. Es ist kein perfekter Film.

Er versucht nicht, »richtig« zu sein.

Genau. Er will nicht politisch korrekt sein. Da gibt es auch Szenen, die zum Teil Marienhof-Charakter haben, wo man sich fragt, was soll das denn? Aber das stört Verhoeven nicht. Dann gibt es wieder ganz brillante Szenen, wo man sich sagt, das geht in die Geschichtsbücher ein. Na, die Aussage des Films ist aber auch ein Hammer: Wie schwer es ist, zu vergeben. Das ist für mich der Hauptsatz des Films. Wir waren dann mit ihm in Los Angeles bei den Oscars und wurden zu einer Podiumsdiskussion mit John Landis geladen, dessen Familie zum Teil im Holocaust umgekommen ist. Und der hat mich auf der Bühne ganz heftig angegriffen dafür, wie ich den Nazi spiele. Eine solche Wut habe ich öffentlich, vor Publikum, noch nicht erlebt. Ich entgegnete ihm, ich verstehe Sie, ich kann Ihre Haltung nachvollziehen, aber genau darum geht es in dem Film: dass es fast unmöglich ist, zu vergeben.

An dieser Rolle kann man, ebenso wie an Vogel, etwas festmachen, das für Ihre Arbeit generell gilt: Sie sind ein Schauspieler, der als Vermittler zwischen einer Figur und dem Zuschauer auftritt. Ihre Charaktere sind oft zwiespältig. Ich stelle mir vor, Sie fragen sich: Wie finde ich einen Weg zu ihnen?

Es funktioniert nicht anders. Wenn man den Bösen nur absolut böse spielt, wird es langweilig. Oft sind die Figuren ja verrückt. Ich denke an Albert Speer: Der hat die Realitäten verrückt und fühlte sich deshalb als ein guter Mensch. Das ist spannend, einen der größten Kriegsverbrecher von damals als einen Gutmenschen zu spielen. Der Regisseur Heinrich Breloer hat immer mit mir geschimpft: »Das kannst du doch nicht machen, der hat doch von all den Verbrechen gewusst!« Nein, habe ich erwidert, wenn jemand so fantastisch und perfekt lügt, dann glaubt er das auch. Das heißt, da muss irgendwo eine andere Schraube gedreht werden. Und die liegt in der Verrückung seiner Biografie und seiner Wahrnehmung.

Der Erfolg und die Rezeption seiner »Spandauer Tagebücher« im Nachkriegsdeutschland waren in dieser Hinsicht sehr bezeichnend. Er konnte sich beinahe als eine intakte, ungebrochene Figur darstellen.

Genau. Während Stauffenberg bis in die 60er als Volksverräter galt, war Speer die Verdrängungsmaschine schlechthin. Und deswegen habe ich ihn auch nicht als berechnendes Arschloch gespielt. Nein, ich musste ihn mit herausgestreckter Brust und aufrechtem Kopf spielen. Er hat sich in seinem Hirn zurechtgebaut, dass er immer rechtschaffen war. Auf seine Art war er ein großer Denker, ein Mathematiker eigentlich. Für mich ist das neben dem Seewolf vielleicht die interessanteste Figur, die ich gespielt habe.

Beim »Seewolf« war es das Körperliche, diese Kraft, die ich selbst nicht besitze, die man mir aber glauben muss. Da hinaufzuklettern, war ziemlich aufregend für mich. Bei Speer ging es um das komplizierte Labyrinth in seinem Kopf. Da bin ich relativ weit gekommen. Das sage ich jetzt nicht, um mich selbst zu loben, sondern weil diese Reisen unglaublich viel Spaß machen, ich habe so viel entdeckt. Breloer war bis zum Schluss nicht überzeugt. Aber ich war mir ganz sicher, dass niemand so exzellent lügen kann, ohne für sich selbst glaubhaft zu sein. Er kam aus dem Gefängnis nach 20 Jahren genau so heraus, wie er hineingegangen war. Irre.

...unsere Kritik zu »Bridge of Spies – Der Unterhändler« (Start: 26. November)

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