Interview mit Johannes Schmid über seinen Film »Agnes«

Interview mit Johannes Schmid über seinen Film »Agnes«

»Agnes« (2015). © Neue Visionen Filmverleih

Frank Arnold sprach mit dem Regisseur über die literarische Vorlage von Peter Stamm und den Reiz, daraus einen Film zu machen

Herr Schmid, nach den beiden hoch gelobten Kinderfilmen »Blöde Mütze« und »Wintertochter« haben Sie sich mit »Agnes« einem Stoff für Erwachsene zugewandt. Der Film basiert auf dem 1998 veröffentlichten Debütroman von Peter Stamm. Wie sind Sie auf ihn gestoßen?

Für mich ist er einer der bedeutendsten Autoren der Schweizer Gegenwartsliteratur. Ich habe ihn vor 10, 12 Jahren entdeckt, habe zuerst einen Erzählungsband gelesen, dann »Agnes« und habe mich damals schon nach wenigen Seiten eigenartig erwischt gefühlt. Wenn ich seine Sprache höre, kommt mir diese Stimme fast eigenartig vertraut vor. Seine Bücher sind seitdem zu einem Begleiter geworden.

Aber Ihr besonderes Interesse galt schon »Agnes«?

Ja, an dem Wochenende, wo ich das gelesen habe, hat mich das so bewegt, dass ich relativ schnell überlegte, daraus einen Film zu machen. Konkret betrieben habe ich das dann seit 2008. Da habe ich mir die Rechte gesichert und auch schon begonnen, mit meiner Ko-Autorin am Buch zu arbeiten.

War der Rechteerwerb schwierig? Wissen Sie, ob es andere Bewerber gab?

Peter Stamm hatte immer Film im Kopf, es hat bei ihm auch Jahre gedauert, bis der Roman fertig war, es gab eine Hörspielvorfassung, er hat eine Weile probiert, es selber als Film zu schreiben, es gab damals schon Anläufe in der Schweiz, daraus einen Film zu machen. Insofern war er selber sehr aufgeschlossen. Wir haben uns einmal getroffen und recht gut verstanden, so dass schnell ein Vertrauen von ihm da war, dass er mir den Stoff geben konnte.

Gab es während Ihrer Arbeit am Drehbuch Kontakt zu ihm?

Wir standen immer in losem Mailkontakt, haben vielleicht auch einmal im Jahr telefoniert, so dass er auf dem aktuellen Stand war, aber er hat nicht am Drehbuch mitgearbeitet. Ich habe ihm dann eine der letzten Fassungen geschickt, die er auch an einigen Stellen kommentiert hat. Sie hat ihm insgesamt sehr gut gefallen, generell hat er uns machen lassen, er war auch sehr angetan von unserer Arbeit, weil er sich ja selber schon mal an einem Drehbuch versucht hatte.

Sie haben das Drehbuch zusammen mit einer Ko-Autorin, Nora Lämmermann, geschrieben...

Sie hat »Wintertochter« als Dramaturgin betreut. Bei der Zusammenarbeit ist die Idee entstanden, dass sie von der dramaturgischen zur schreibenden Seite wechseln könnte. Inzwischen schreibt sie an ihrem dritten Drehbuch.

Gab es, wegen der Herkunft des Autors, je Überlegungen für eine Koproduktion mit der Schweiz?

Die gab es, aber das Koproduktionsabkommen mit der Schweiz ist relativ kompliziert. Wir waren tatsächlich mit der Firma in Kontakt, die damals – mit dem Drehbuch von Peter Stamm selber – die Verfilmung vorangetrieben hatte.

Haben Sie dabei versucht, in Erfahrung zu bringen, woran es seinerzeit gescheitert ist?

Schlicht an Finanzierungsproblemen, wie so oft. Für uns war es ein ganz großer Schritt, als wir die Redakteurin Andrea Hanke und den WDR an Bord hatten. Damit wurde es insgesamt leichter.

Der Film siedelt die Geschichte in einer deutschen Großstadt an, im Roman ist es Chicago. War es für Sie je eine Frage, es in den USA spielen lassen? Kam von Förderern der Einwand, das sei nicht zu finanzieren?

In der Tat ist ein Grund, dass die Finanzierung so lange gedauert hat, dass wir lange auf eine europäisch-nordamerikanische Koproduktion hingearbeitet haben. Erst als die Entscheidung fiel, es nach Deutschland zu verlegen, ging die Finanzierung viel schneller. Für mich war bei der Übertragung allerdings wichtig, wenn man es nach Deutschland holt, dass man es nicht in einen konkreten Raum holt, weil dieses Amerika im Roman doch ein Abstraktionsprozess ist. Deshalb haben wir versucht, keinen Berlin-Film oder München-Film zu machen, sondern eine abstrakte deutsche Großstadt zu entwerfen.

Hat die Verlagerung nach Deutschland Änderungen erfordert – etwas, was in Amerika funktioniert hätte, hier aber nicht?

Es gibt die Überhöhung bei Stamm, dass es eine Geschichte zwischen zwei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlicher Sprache ist, dass das Mann-Frau-Thema noch einmal in ein transatlantisches Gefüge gesetzt wird, dass man wirklich sagen kann, die kommen von zwei unterschiedlichen Planeten bzw. Kontinenten. Für mich war es ein doppelter Prozess: wenn man die Figuren nach Deutschland holt, musste man sie aus der literarischen Wirklichkeit deutlicher an sich heranholen, man muss sie konkretisieren für die Leinwand und kann sich nicht hinter der Literatur verstecken. Andererseits sollte dabei nicht die Offenheit der Literatur wegfallen, wir mussten es psychologisch abstrakter machen – so sind etwa bestimmte Vorgeschichten der Figuren weggefallen. Der Roman hält da auch einige psychologische Deutungsmuster bereit, etwa in der Vorgeschichte von Agnes mit den Eltern. Das haben wir weggelassen, um auch die Offenheit dieses Gefüges zu bewahren.

Das scheint mir ein ganz zentrales Moment zu sein bei diesem Film, die Mischung aus Distanz und Nähe. Der Schriftsteller Walter versucht, die Realität in seinen Roman zu übersetzen, aber eben nicht 1:1, sondern als Phantasie oder als optimistischere Variante. War das eine zentrale Schwierigkeit beim Schreiben, das Gewicht zwischen diesen beiden Polen zu wahren?

Ich würde schon sagen, dass diese Balance eine der großen Herausforderungen war. Was mich an dem Stoff so interessiert hat: er ist überhöht im Schreibprozess eines Autors, es ist aber kein Film über einen Künstler, sondern ein Film über zwei Menschen, die sich begegnen und die sich voneinander ein Bild machen und sich von diesem Bild mehr leiten lassen als von der wirklichen Begegnung, die ja immer nur flüchtig und im Moment sein kann – man kann den Gegenüber ja nie vollkommen durchdringen, der Gegenüber bleibt immer ein Rätsel, man muss im Zusammenleben akzeptieren, dass es Momente gibt, wo der Partner ein großes Rätsel ist und man ihn nicht verstehen kann, wo man sich in einer großen Distanz befindet, wo es aber auch immer wieder Momente der Nähe gibt. Ich glaube, das geht einem in jeder menschlichen Begegnung so: man trifft jemanden und hat sofort ein Bild von ihm, man glaubt zu wissen, wie der tickt, das ist ein Phänomen, dem wir täglich begegnen, das auch ganz stark beim Scheitern von Beziehungen eine Rolle spielt.

Die Sprache von Peter Stamm haben Sie als »virtuose Schlichtheit« bezeichnet, was es meiner Meinung nach sehr schön trifft. Mit »Blöde Mütze« haben sie ja eine Vorlage Ihres Bruders adaptiert. Gab es Gemeinsamkeiten bei der Annäherung an die Texte?

Stofflich waren das ganz unterschiedliche Herausforderungen, gemeinsam war ihnen aber die Nähe zum Stoff, bei »Blöde Mütze« durch den familiären Bezug, das hatte viel mit unserer eigenen Kindheit zu tun und beschrieb ein Milieu, das ich genau kenne. Bei Peter Stamm spürte ich schon beim ersten Lesekontakt eine eigenartige Verwandtschaft, was ich vorher so noch nie bei einem Autor erlebt hatte. Insofern waren die Bedingungen sehr gut, in beiden Fällen zu einer Adaption zu kommen, die nicht nur eine Literaturverfilmung ist, sondern ein eigenständiges Werk, das dennoch den Kern der Vorlage erfasst.

Ihre Hauptdarstellerin Odine Johne, die beim Festival Max Ophüls Preis als Beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde, kennt man bisher eher aus kleineren Rollen… Sind Sie durch Ihren Auftritt in »Jack« auf sie gekommen?

Das war ein regulärer Castingprozess, bei dem ich mehrere Darstellerinnen getroffen habe. Als Odine hereinkam, war mir allerdings relativ schnell klar, dass sie unglaublich gut auf die Rolle passt - im ersten Moment dachte ich, sie passt sogar zu gut, deshalb habe ich im Casting einige Umwege genommen, aber am Ende sind wir wieder zusammen gekommen. Ich habe gemerkt, sie hat den direktesten Zugang zum Stoff und zur Figur, der ja nicht gerade leicht ist.

Mit Stephan Kampwirth hatten Sie schon bei »Blöde Mütze« zusammengearbeitet…

Dazwischen liegen neun Jahre, wir hatten uns schon länger nicht mehr gesehen, das war auch ein normaler Castingtermin, aber wir haben sofort gesehen, wie direkt wir gleich miteinander kommunizieren und arbeiten können. Das hat unglaublich Lust gemacht. Wichtig war mir auch: ich wollte keinen hängengebliebenen Jugendlichen – das ist ja der Männertyp, wie es das deutsche Kino oft präferiert, Leute, die schon 40 sind, aber gefühlt immer noch 17. Ich wollte dagegen etwas Erwachseneres. In der Schauspielarbeit ging es mir dann vor allem darum, wie reduziert man das halten kann, denn sobald etwas psychologisch ausgespielt wird, besteht die Gefahr, dass es kleiner wird, sobald man es zu erklären versucht als Figur oder als Schauspieler. Wie stark kann man Mimik reduzieren, um dem Zuschauer keine eindeutigen Erklärungsmuster anzubieten?

Die Sexszenen im Film sind relativ explizit, aber auch sinnlich (was man aus deutschen Filmen nicht unbedingt kennt). Wie viel Vorüberlegung ist da hineingeflossen? Das ergab sich für mich nicht zwangsläufig aus dem Roman, auch wegen dessen verknappter Sprache.

Für mich war schon klar, dass das Körperliche zu sehen sein sollte, auch eine bestimmte Abhängigkeit – bei Stamm gibt es den Satz, »Ich fühlte eine fast körperliche Abhängigkeit von Agnes«. Das wollte ich schon deutlicher in Bilder fassen. Sexszenen sind so oft belastet vom Klischee, das war für mich schon eine wichtige Frage: wie macht man das gut und vielleicht auch besser?

Für die Musik haben Sie mit Anna Ternheim zusammengearbeitet.

Das ist eine schwedische Singer-Songwriterin, zu der ich mich musikalisch ähnlich hingezogen fühle wie literarisch zu Peter Stamm. Ihr erstes Album erschien ungefähr zu derselben Zeit, als ich »Agnes« gelesen habe. Ich habe ihre Alben immer verfolgt, bin ein paar Mal auch bei Konzerten gewesen. Beim Schreiben dachte ich, es wäre schön, einiges auch über Songstrukturen zu machen, als ich über die Filmmusik nachdachte. Da ich zum Teil auch in Stockholm lebe und Schwedisch spreche, war es ein wenig einfacher, sie zu kontaktieren. Sie hatte so etwas noch nie gemacht, außer einmal ein Thema für eine Fernsehserie geschrieben. Sie hat dann vier oder fünf Songs geschrieben, aus denen Themen entwickelt wurden, die von Michael Heilrath, dem Komponisten, der auch meine anderen beiden Filme gemacht hat, weiterverarbeitet wurden. Ein Song ist auch in voller Länge zu hören. Ich habe mir da einen kleinen Traum erfüllt.

Sie selber machen im Augenblick etwas ganz anderes…

Ja, ich hatte im April Premiere in Düsseldorf mit der Uraufführung einer großen Familienoper nach Andersens »Schneekönigin« und im Mai mit »Ronja Räuberstochter« an der Oper Dortmund, eine zeitgenössische Oper, die ich letztes Jahr für die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf gemacht habe. Aber die nächsten Wochen konzentriere ich mich natürlich auf den Kinostart von »Agnes«.

Gibt es neue Filmpläne?

Es gibt ein konkretes Familienfilmprojekt, das in der Entwicklung ist. Es gibt bereits eine erste Drehbuchfassung, ich hoffe, dass im nächsten Jahr die erste Klappe fällt. Und im Herbst sitze ich hoffentlich endlich wieder am Schreibtisch für einen neuen Arthouse-Stoff.

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