Kritik zu Vincent will Meer

© Constantin

Kurioses Trio: eine hübsche Magersüchtige, ein kauziger Zwangsneurotiker, und ein smarter junger Mann mit Tourettesyndrom. Bekannte Storyline: on the road Richtung Freiheit und Abenteuer

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Liest man den Plot, befürchtet man das Allerschlimmste an Klamauk oder Sentimentalität. Dann aber die erfreuliche Überraschung: Ralf Huettner (Mondscheintarif) gelingt eine spannende, anrührende und doch leichtfüßige Geschichte. Er hält die Balance, einerseits den Ernst der psychischen Erkrankungen spürbar zu machen und andererseits doch einen stimmigen Roadmovie-Komödienton anzuschlagen. Vor allem setzt er seine Darsteller in Szene, bringt sie nuancenreich ins Spiel, lässt ihnen Raum für die Bögen vom Tragischen ins Komische und wieder zurück.

Den schwierigsten Part übernimmt der als Seriendarsteller (»Doctor's Diary«) populär gewordene Florian David Fitz, der auch das Drehbuch verfasst hat. Sein Vincent leidet am Tourettesyndrom, das heißt Vincent hat plötzliche, unkontrollierbare Anfälle, bei denen motorische und verbale Ticks durchbrechen: Er wird von Zuckungen geschüttelt, grimassiert, stößt obszöne Worte aus. Leicht könnte man aus diesem Syndrom einen Gag-Generator basteln. Glücklicherweise verzichtet der Film darauf.

Nach dem Tod seiner Mutter, der er eng verbunden war, wird Vincent von seinem Vater (Heino Ferch), der sich nie um ihn kümmerte, in ein Heim verfrachtet, wo er von der Anstaltleiterin Dr. Rose (Katharina Müller-Elmau) dem zwangsneurotischen Alexander (Johannes Allmayer) als Zimmergenosse zugeteilt wird und mit der magersüchtigen Marie (Karoline Herfurth) Bekanntschaft schließt. Schon nach kurzem überredet ihn die rebellische Marie, ein Auto zu entwenden und zu fliehen. Alexander, der die Flucht vereiteln will, wird überwältigt und mitgenommen.

Es kommt, wie es genregemäß kommen muss, aber der Film schenkt den bekannten Mustern eigenwillige und schöne Konturen, wenn die drei Patienten von Behandelten zu Handelnden werden und dabei neues Selbstbewusstsein gewinnen. Auch bei den zwei Verfolgern, Vincents Vater und Dr. Rose, werden die Charakterpanzerungen aufgebrochen. Gewiss könnte man in die Schicksale und Krankheitsbilder von Vincent, Marie und Alexander tiefer eindringen. Aber Huettner konzentriert sich auf das Entscheidende. Es gibt ein Symptom, das alle drei gemeinsam haben: Angst vor körperlichen Berührungen. So werden die Augenblicke, in denen sie diese Angst vorsichtig überwinden, die Momente der freundschaftlichen oder zärtlichen Berührung zu erlösungsgleichen dramatischpoetischen Gipfelpunkten.

Heino Ferch brilliert als Vater, der den Turm seiner gespreizten Selbstsicherheit verlassen muss. Katharina Müller-Elmau konturiert die Anstaltsleiterin mit großer Empathie. Johannes Allmayer formt die Alexander-Figur zum veritablen Charakter, belässt sie nicht in der Funktion des Comic-Sidekick. Besonders eindrucksvoll: wie Karoline Herfurth die Fragilität der magersüchtigen Marie hinter einer Fassade auftrumpfender Widerspenstigkeit immer deutlicher zum Vorschein kommen lässt.

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