Kritik zu Tel Aviv on Fire

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Wenn eine Seifenoper den Alltag regiert: Sameh Zoabis palästinensisch-israelische Komödie schlägt vergnügliche Funken aus der Verquickung von Zeitgeschichte und den Irrwegen der Inspiration

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Von einer Figur erwarten wir nicht, dass sie sich schon zu Beginn des Films gefunden hat. Warum auch, wir erhoffen uns von ihr eine gewisse Dynamik: Sie soll hinzulernen und Erkenntnisse gewinnen. Für den Film selbst aber gilt das Gegenteil. Von ihm erwarten wir, dass er sich seiner Sache sicher ist: Er soll am Ende eines Prozesses stehen. Das ist unser volles Recht. Aber entgeht uns dadurch nicht manchmal etwas?

Der palästinensische Regisseur Sameh Zoabi weiß ziemlich genau, worauf er mit seiner Komödie hinauswill. Die anfängliche Ziellosigkeit ihrer Hauptfigur teilt sein Film mitnichten. Aber bisweilen erlaubt er sich, mit ihm zu zaudern, irrezugehen an den verschiedenen Richtungen, in die sein Leben sich bewegen könnte. Das mag dramaturgisch lässlich wirken, aber es stellt eine schöne Nähe her zu Salam (Kais Nashif), der erst herausfinden muss, was er will. Sein ­Onkel Bassam hat dem schlaksigen Tagedieb einen Job als Assistent bei der Seifenoper verschafft, die er in Ramallah produziert. Da Salam in Tel Aviv lebt, soll er den Darstellern bei der Aussprache der hebräischen Dialoge helfen. Er merkt, wenn diese nicht stimmen und erntet den Dank der kapriziösen Hauptdarstellerin (Lubna Azabal), die sie »nicht fühlt«. Sollte ein unentdecktes Talent in ihm schlummern?

Die ungemein erfolgreiche Serie »Tel Aviv on Fire« spielt im Vorfeld des Sechs-Tage-Krieges. Sie handelt von der palästinensischen Widerstandskämpferin Manal, die zwischen zwei Männern steht, ihrem Kameraden Marwan (den sie liebt) und dem israelischen General Yehuda (dem sie die Angriffspläne entlocken soll). Obwohl die Seifenoper Partei ergreift, im Kern gar eine reichlich antizionistische Kolportage ist, findet sie auch jenseits der Grenzmauer glühende Anhänger. Was zählt schon Politik, wenn die Romantik solche Kapriolen schlägt? Sehr viel, wie Salam feststellen muss, als er bei einer Grenzkontrolle als vermeintlicher Terrorist – warum steht im Drehbuch der jüngsten Folge auch bloß das verfängliche Adjektiv »bombig«? – aufgegriffen wird. Assi (Yaniv Biton), der Kommandant des Postens, kennt die Serie aus den begeisterten Erzählungen seiner Familie. Er behält das Drehbuch ein, weil er seine Frau damit beeindrucken will, dass er die Verwicklungen der nächsten Folge voraussagen kann. Die Art, wie der israelische General gezeichnet ist, gefällt ihm indes gar nicht: Yehuda muss sympathischer werden!

Eifrig notiert Salam die Ideen des Offiziers, der ein natürliches Gespür für lebensnahe Dialoge besitzt. Unversehens wird der verschubste Assistent zum Mitautor der Serie befördert. Das bringt ihn mangels Begabung zunächst in gehörige Verlegenheit und lässt ihn bald zwischen alle Fronten geraten. Aber Salam weiß sich zu helfen, lauscht aller Welt geeignete Dialoge und haarsträubende Verwicklungen ab. Die Serie wird nun von ihren Fans (un-) wissentlich mitgeschrieben und drückt deren Sehnsüchte noch unmittelbarer aus. Sameh Zoabis verspottet deren Trivialität nicht über Gebühr (derlei Überheblichkeit ist ohnehin nur die Zuflucht mittelmäßiger Filmemacher), sondern verleiht ihrer grenzüberschreitenden Ausstrahlung vielmehr ein Flair von Ganzheit, von kollektivem Erleben.

Das ist zwar gleichermaßen anachronistisch wie utopisch. Aber das von Zoabi mit dem israelischen Autor Dan Kleinman verfasste Drehbuch hadert durchaus mit seinem Hang zur Versöhnlichkeit. So frivol und läppisch die Seifenoper auch sein mag, ist sie doch ein echtes Anliegen des Produzenten, das kein Happy End verträgt. Bassam ist Veteran des Sechs-Tage-Krieges, der sich vom Osloer Friedensvertrag verraten fühlt (»die große Illusion« schimpft er ihn). Hübsch, wie der Film diese Zerrissenheit in ein Bild fasst, das ihn zwischen den Dekors eines Panzerangriffs und des offenen Meeres zeigt. Zoabis Komödie streift vieles, das sie nicht vertieft, aber eben auch nicht unterschlägt.

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