Kritik zu Happy Lamento

© Rapid Eye Movies

Im Dialog mit dem philippinischen Bilderstürmer Khavn de la Cruz erfindet Alexander Kluge sich auf seine unverwechselbare Art neu

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Was haben ein Elefant, der Mond, die Elektrizität, Donald Trump und die Kinderkriminalität auf den Straßen von Manila miteinander zu tun? Auf den ersten Blick gar nichts. Doch dank Alexander Kluges freier Assoziation ergeben sich überraschende Querverbindungen. Mit dem Essayfilm »Happy Lamento« kehrt der Auteur nach über zwanzig Jahren auf die Kinoleinwand zurück.

Kluge tritt in einen gewagten audiovisuellen Dialog. Er kombiniert seine intellektuell-versponnenen Bildmontagen mit Ausschnitten aus »Alipato – The Very Brief Life of an Ember«, einem infernalischen Bildersturm von Khavn de la Cruz, der 2016 hierzulande im Kino lief. In einer Mischung aus Performance und lose aneinander gereihten Szenen zeigt der philippinische Regisseur einen Zirkus, ein Schlachthaus und die blutige Alltäglichkeit von Bandenkriminalität. Seine anarchisch anmutende Szenenfolge bringt zum Ausdruck, wie das Leben der Kinder auf den Straßen der fernöstlichen Metropole wie ein Funke (Alipato) verglüht.

Die Begegnung zwischen Kluge und de la Cruz hätte schiefgehen können. Doch die Machart dieses philippinischen No-Budget-Kinos bildet einen überraschenden formalen Anknüpfungspunkt. Der 87-jährige Kluge hat stets nach Wegen gesucht, die konventionellen Formen der Filmproduktion so zu unterlaufen wie de la Cruz dies auf seine Weise auch tut. Es geht darum, ohne Budget etwas zu gestalten. In diesem Sinn wurden Kluges TV-Formate allein dadurch ermöglicht, dass Privatsender per Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet sind, einen Anteil ihrer Sendezeit »kulturellen Themen« zur Verfügung zu stellen. Diese Sendezeit nutzt Kluge mit seinen »Fenstern«, in denen er regelmäßig eine Art Guerilla-Programm ausstrahlt.

In jenem Stil, den er dabei erprobte, greift Kluge de la Cruz' Assoziationen um elektrisches Licht, den Song »Blue Moon«, den Zirkus und die Straßenkämpfe der Kinderbanden Manilas auf. Mit Split-Screens und den für Kluge charakteristischen Schrifttafeln werden diese Gedanken weitergesponnen. In Interviews an der Schwelle zu Gaga-Dialogen, die man von seinen TV-Essays kennt, spricht Kluge beispielsweise mit einer vermeintlichen russischen Ex-Kommissarin. Im Stil einer Fake-Doku wird aufgerollt, wie diese 1941 einen russischen Zirkus evakuieren musste, um die Tiere vor dem Vormarsch deutscher Panzer zu retten. Dann parliert Heiner Müller über die lunare Poesie des Genickschusses. Helge Schneider erklärt, welche Instrumente sich für die Mondreise mit der Apollo-Kapsel am besten eignen.

Garniert werden diese Gedankenfluchten mit skurrilen Fotos. Der Bildersturm erinnert an jenen psychischen Primärprozess, den Sigmund Freud in der »Traumdeutung« beschrieb. Kluge inszeniert die Begegnung eines Elefanten mit einem Panzer auf dem sprachbildlichen Seziertisch. »Happy Lamento« ist ein Gedankenzirkus, der streckenweise an Godards Bildbuch erinnert, dank seiner bizarren Komik aber leichtfüßiger wirkt als dessen verbissene Hermetik.

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