Kritik zu Genius: Die tausend Seiten einer Freundschaft

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Der Titel der Buchvorlage, »Editor of Genius« ist noch doppeldeutig. Er meint den Verlagslektor Max Perkins ebenso wie seine berühmten Autoren. Der Filmtitel hingegen stapelt höher und stimmt zugleich auf reduzierte Erwartungen ein

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Zunächst einmal ist es eine erfreuliche, höchst sympathische Idee, einen Film über einen Verlagslektor zu drehen. Sie folgt dem noblen Impuls des Kinos, die ins Licht zu rücken, die sonst im Schatten stehen. Sogleich wirft sie jedoch Zweifel auf: Ist das Tauziehen zwischen Autor und Lektor nicht eine Erfahrung, die nur für die Beteiligten spannend ist?

Seit A. Scott Berg 1978 seine Biografie von Max Perkins, dem berühmtesten Rotstift der US-Literaturgeschichte, veröffentlichte, haben jedoch etliche Produzenten eine Option darauf erworben. John Logan fand sie so unwiderstehlich, dass er vor 15 Jahren gleich komplett die Rechte kaufte, um dann aber nur einen Bruchteil zu adaptieren: die heikle, schillernde Beziehung zwischen dem zurückhaltenden Perkins (Colin Firth spielt ihn mit gebieterischer Demut) und dem ungeschlachten Thomas Wolfe (Jude Law). Das liegt nahe, weil dies die größte Zumutung in dieser Karriere war. Keinen anderen Diamanten musste Perkins so beherzt schleifen wie ihn. Das Lektorat von »Schau heimwärts, Engel« und »Of Time and the River« war ein Titanenwerk. Logan hat als Autor von »Gladiator« und den jüngsten »Bond«-Filmen sein Gespür für großspurige Gesten der Selbstbehauptung bewiesen. Das Verhältnis von Perkins und Wolfe schildert er als erbitterten Zweikampf unter Verbündeten. Er kreist um die Suche nach Vätern und Söhnen, den Widerstreit zwischen Instinkt und Disziplin. Die schönsten Szenen vermitteln tatsächlich einen Eindruck davon, wie es ist, ein Handwerk zu lernen und zu meistern.

Ein guter Lektor kennt nicht nur die literarische Tradition, sondern auch den gesellschaftlichen Rahmen, in dem ein Buch entsteht. Dieses Gespür für Kontext fehlt »Genius«. Die Vorlage ist reich an Charakteren, Details und Farben. Sie nimmt den Hintergrund der Depressionsära wahr und verschweigt Wolfes unfassliche Sympathie für Nazideutschland nicht. Der Film hat dafür keine Geduld. Perkins weitere Schützlinge, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway, bleiben umklammert von ihrer Legende. Das Ganze ist eine eminent männerbündnerische Angelegenheit. Laura Linney liefert als Perkins' Frau eine Studie unfreiwilliger Genügsamkeit. Nicole Kidman spielt Wolfes Geliebte Aline Bernstein, die als Erste an sein Talent glaubt. Sie ist die einzige unberechenbare Figur im Film, der leider wenig Sympathie für sie entwickelt.

Ein guter Lektor entdeckt in einem Manuskript Ebenen, die nicht einmal dem Autor bewusst sind. Diese Aufgabe fiele hier eigentlich dem Regisseur Michael Grandage zu. Er hat einen glänzenden Ruf als innovativer Theatermann. Es gelingt ihm nicht, der Geschichte filmisches Leben einzuhauchen. In seinem Kinodebüt bleibt er dem stickigen Ehrgeiz britischer Bühnenregisseure verpflichtet, den Stoff, die Darsteller und Dekors möglichst anständig zur Geltung zu bringen. Zuweilen meint man fast, seine joviale Stimme zu hören, die Law zu seiner wuchtigen Darstellung gratuliert – welche auf der Leinwand aber erstaunlich monoton wirkt. Wenigstens seinem überschwänglichen Komponisten Adam Cork hätte er gelegentlich Einhalt gebieten können.

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