Kritik zu Die Einsiedler

© Barnsteiner

Wo der Hund »Hund« heißt: Ronny Trocker erzählt in seinem Debüt von den archaischen Verhältnissen des Berglebens

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Wer die Berge mag und beim Gedanken daran sofort in einen Modus von romantisierendem Eskapismus verfällt, sollte den deutsch-österreichischen Film »Die Einsiedler«, der 2016 bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte, tunlichst meiden. Ronny Trockers Spielfilmdebüt ist an Alpenromantik nämlich ungefähr so nahe dran wie ein Michael Haneke an seichten Hollywood-RomComs. Wie eine leise Lawine, die in metaphorischer Aufgeladenheit sogar zwei Mal im Film tatsächlich auf die Kamera niedergeht, erzählt »Die Einsiedler« in strengen Einstellungen und fast schon der Farbe beraubten Bildern von einer (emotional) schockgefrosteten und kommunikationsimpotenten Welt.

Ganz langsam und grob meißelt Trocker seine Figuren und die Handlung aus dem kalten Gestein der Südtiroler Alpen. Es geht um den Bauernsohn Albert, den Andreas Lust ähnlich introvertiert und emotionslos spielt wie seinen Einzelgänger in »Der Räuber«, und seine Eltern Marianne (Ingrid Burkhard) und Rudl (Peter Mitterrutzner). Während der Sohn unten im Tal lebt und sich als Arbeiter in einem Marmorbruch verdingt, bewohnen die Eltern immer noch den alten Familienbauernhof in den Bergen, der nur zu Fuß oder per Seilbahn erreicht werden kann. Als Rudl bei der Reparatur des Hausdaches stürzt und umkommt, verheimlicht Marianne das ihrem Sohn zunächst, da sie nicht möchte, dass er sein geordnetes Leben zugunsten des Hofes aufgibt.

Das Leben auf dem Berg ist so trostlos, dass es fast schon wehtut. Zwischen Schlamm und Nebel, wo der Hund »Hund« heißt, ein Katzenbaby in der Regentonne ertränkt wird und man den toten Ehemann schlicht im Garten verbuddelt, ist wirklich nicht gut Kirschen essen. Nachdem es kommt, wie es kommen muss, und Albert vom Tod des Vaters erfährt, zischt Marianne einmal kühl: »Der Hof wird mit mir zugrund' geh'n, Basta!« Aber auch im Tal herrscht nicht eitel Sonnenschein: Im Marmorbruch gibt es männliches Hufgescharre samt Kollegen-Mobbing und ebenfalls ein auf das Mindeste reduziertes Kommunikationsgebaren.

Der Südtiroler Regisseur kennt die Alpenregion und erklärte einmal im Interview, dass ihm die Verschwiegenheit der dort lebenden Menschen vertraut ist. Dass sie derart wortkarg und unterkühlt sind, möchte man dennoch nicht glauben. »Die Einsiedler« ist denn auch mehr eine kühne Versuchsandordnung, in der der Regisseur mit den eindringlichen Bildern von Kameramann Klemens Hufnagl familiäre Umbrüche, Risse zwischen traditionellen und modernen Lebenskonzepten sowie die Sehnsucht nach Liebe offenlegt. Letztere reißt der Film in der »Liaison« zwischen Albert und der ungarischen Kantinenköchin Paola (Orsi Tóth) recht holprig an. Über die 100 Minuten Spieldauer zeigt dieses gewollt deutungsoffene Debüt ein in seiner Trostlosigkeit einzigartiges Treiben. Am Ende wartet in einer wunderbaren Einstellung gerade in der Dunkelheit der erste wirkliche Sonnenstrahl. Zumindest vielleicht.

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