Cosmo, Stimmungsmusik!

Über den Saisonabschluss der Berliner Philharmoniker
Berliner Waldbühne (© Holger Kettner)

Die Berliner Luft verlangte ihren Tribut. Dem Publikum schien es ganz recht zu sein, dass ihm auch diesmal das Ritual nicht erspart blieb. Wann immer die Berliner Philharmoniker zum Abschluss der Saison in der Waldbühne auftreten, geben sie Paul Linckes Ohrwurm als finale Zugabe. Manchem im Publikum mag dieses unausweichliche Zeremoniell nach all den Jahren wohl als der Höhepunkt des Abends erscheinen.

Ein krönender Abschluss ist es nach meiner Erfahrung selten. Der Picknick-Atmosphäre, die in der Waldbühne herrscht, trägt das Orchester damit jedes Mal großzügig Rechnung. Und es wirkt dabei nicht, als würde es sich unter Niveau amüsieren. Aber welches Licht wirft die Zugabe auf das vorangegangene Programm? Reduziert es die ganze Veranstaltung nicht auf eine flotte Lustbarkeit? Nun kommt niemand in den fernen Berliner Westen, um dort sperrige Moderne zu hören. Erfahrene Zwölftöner sparen sich in der Regel den Weg. Das gestrige Konzert war angeblich schon nach 48 Stunden ausverkauft. Auf dem Programm stand dann auch Kost, die Puristen oft als zu leicht befinden: Filmmusik aus Hollywood.

Sir Simon Rattle hatte seinen Musikern freilich zuvor eingeschärft, nicht einfach vom Blatt zu spielen, denn das sei schwere Musik. Das Konzert begann, programmatisch und noch nicht ganz so schwer, mit Alfred Newmans Fox-Fanfare. Wer die großen Hits erwartete, wurde nicht enttäuscht: Ben-Hur, Robin Hood, zum Abschluss viel John Williams (Bernard Herrmann, dessen Psycho-Suite noch in einer Programmankündingung auf 3sat zu hören gewesen war, fehlte. Allerdings steht die Suite im September in der Philharmonie auf dem Programm). Rattle schürfte aber noch tiefer und barg gleich zu Beginn entlegenere Perlen, darunter Bronislau Kapers Meuterei auf der Bounty und David Raksins unvergleichliche Melodie aus Laura. Mit Jerome Moross' Titelmusik zu Weites Land (eines der besten Westernthemen überhaupt, das im Grunde viel besser als William Wylers Film ist) ertönte ein schmissiger Auftakt für die zweite Hälfte. Und Scott Bradley, der Komponist zahlreicher "Tom & Jerry"-Cartoons kam zu überraschenden Ehren. Wie "tricky" seine Tempi sind, bekam die Rhythmusgruppe eingangs zu spüren, dann aber gaben die Philharmoniker dem Affen mächtig Zucker.

Ich verfolgte die Live-Übertragung gebannt (meistens zumindest) am Bildschirm, was Vorteile hatte, allerdings auch den Nachteil, dem Geplapper der Moderatorin zuhören zu müssen. Ihre gnadenlos gute Laune muss man der guten Sendezeit anlasten. Ihr vorauseilender Enthusiasmus allerdings ging mir ziemlich auf die Nerven, zumal er durch keinerlei Sachkenntnis geadelt wurde. Aus David Raksin wurde unversehens ein "Erfolgsproduzent" (aus vielen Begegnungen mit ihm und der Arbeit an einer gemeinsamen Fernsehsendung weiß ich, dass niemand so tiefe Verachtung für die Dummheit von Produzenten hegte wie er) und Erich Wolfgang Korngold kurzerhand zum Berliner erklärt. (Gegen diese Eingemeindung hätte der gebürtige Wiener gewiss protestiert, anderseits wurde er als Erfinder des Hollywoodsounds gepriesen, was seinen Landsmann Max Steiner und diverse Historiker zweifellos verstört hätte). Der jungen Dame wäre es sicher lieb gewesen, wenn Rattle Star Wars mit einem Laserschwert dirigiert hätte.

Sie war schon eher in ihrem Element, als sie den Stargast Lang Lang interviewen durfte, der aus erfindlichen Gründen eingeladen war, dessen Interpretation von Griegs Klavierkonzert aber schon thematisch ein Fremdkörper im Programm war. Ich mag ihm Unrecht tun, aber mir kommt er immer wie ein Schmeichler vor, der Musik und Publikum umgarnen muss. Immerhin durfte er über seine Tätigkeit als UNICEF-Botschafter plaudern und von seiner Begegnung mit einem anderen prominenten Berlin-Besucher der letzten Tage berichten, der Queen ("Sie liebt Musik."). Angesichts einer solchen Häufung epochaler Ereignisse darf man selbst als gestrenger Fernsehzuschauer schon mal Fünfe gerade sein lassen, zumal irgendwann die Pause auch zu Ende war.

Sir Simons Verneigung vor den großen Hollywoodkomponisten war glaubwürdig. Das scheint ein Terrain zu sein, das er mit großer Neugierde und Elan erforscht. Sein gut aufgelegtes Orchester ließ sich von ihm bereitwillig animieren. Die Spielfreude war unverkennbar, was nicht zuletzt die agil auf Einsätze reagierende Live-Regie zur Geltung brachte. Dem triumphalen Urteil der Moderatorin ("Das beste Filmorchester der Welt!") mochte ich mich nicht vollends anschließen. Aber nicht nur, wenn es John Williams spielte, war die Macht mit ihm.

Den 140minütigen Mitschnitt gibt es noch bis zum 4. Juli in der 3sat-Mediathek zu sehen

Eine 120minütige Version ist in der arte-Mediathek (bis 28. September 2015) zu finden 

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