Bella Figura

Ist es korrekt, manche Städte mit Magneten zu vergleichen? Immerhin ist ihre Anziehungskraft Schwankungen unterworfen. Einige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Rom zur Stilmetrople Europas. Die Mode-Ateliers und die Filmproduktion erlebten einen ungeheuren Aufschwung. In Rom wurden mehr Stars, einheimische sowie solche aus Frankreich und Hollywood, gesichtet als in Paris. Schaut man sich Fotos aus dieser Zeit an, scheint jeder Mann ein Playboy und jede Frau tief dekolletiert gewesen zu sein.

Es waren nicht nur Goldgräberzeiten für Filmproduzenten (wie ich in meinem einen Eintrag vom 4. 8. behaupte). Die Auflagen der Klatsch- und Skandalpresse explodierten. Das Zeitalter des Blitzlichts brach an. Fotografen wie Tazio Secchiaroli und Pierluigi Praturlon gingen unermüdlich auf die Jagd nach illustren Nachtschwärmern. Rom erschien als ein großes, urbanes Dorf: Cinecittà lag nicht mal zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Vermutlich gehören die 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts zu den fotografisch am besten dokumentierten Epochen der Geschichte.

Vor allem in der Via Veneto im eigentlich kleinbürgerlichen Ludovisi-Viertel ging die mobile Einsatztruppe der Paparazzi auf Beutesuche. Auf dieser Vergnügungsstraße, durch die wenige Jahre zuvor noch Schafherden zum Markt getrieben worden waren, bot sich ihnen ein unvergleichliches mondänes Schauspiel. Erstaunlich übrigens, wie kurz sie ist. Seit das Dolce Vita durch Federico Fellinis Film (der heute Abend auf 3Sat läuft) sprichwörtlich wurde, feiert man den Regisseur als den Erfinder dieses schillernden Universums. Tatsächlich war das Café de Paris und das Caffè dell' Epoca auch ohne sein Zutun bereits ein Brennpunkt für die sensationsgierige Öffentlichkeit. Aber Fellini warf ein Schlaglicht auf den sich überschlagenden Kult der Berühmtheit. Und er gab den Fotojägern ihren Namen – Marcellos Begleiter im Film heißt Paparazzo.

Ihre Arbeit ist, nicht ganz zu Unrecht, übel beleumundet. Nicht immer vollzog sie sich als einvernehmliche Invasion in die Privatsphäre der Stars. Da sie im Rudel auftraten, war stets ein Kollege zur Stelle, um festzuhalten, wenn ein Star oder dessen Begleitung handgreiflich wurden, um sich dreister Zudringlichkeiten zu erwehren. Auch mit Fotos dieser Scharmützel ließ sich eine Menge Zeitungen verkaufen. Die geringe künstlerische Qualität von Paparazzi-Fotos scheint unstrittig – es wäre interessant zu sehen, wie die ihnen gewidmete Ausstellung in der Frankfurter Schirn momentan mit diesem Mangel umgeht -, meist hielten sie einfach nur drauf. Sein geliebtes punctum hätte Roland Barthes auf ihnen schwerlich entdeckt. Ihr Geschäft war die Öffentlichkeit der Intimität, ihr Ereignis die bloße Anwesenheit eines Stars, besser noch das Zusammentreffen gleich mehrerer. Die Bizarrerie eines flüchtigen Lebensstils hielten sie dennoch akribisch fest; man denke nur an die vielen Bilder von Berühmtheiten, die sich damals Wildkatzen als Schoßtiere hielten. Sie fingieren eine aufgeladene Alltäglichkeit: Henry Fonda wirkt wie in Flagranti erwischt, als er mit Annie Girardot an einem Zeitungskiosk steht. Gewiss war das nur eine harmlose Begegnung. Aber sein aufgescheuchter Blick scheint einschlägige Spekulationen zu bestätigen. Ihre Sensationsgier muss den Paparazzi wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung vorgekommen sein.

Allerdings lassen sich durch stilistische Handschriften unterscheiden. Marcello Geppetti etwa genügte meist die reine Präsenz seiner Objekte (gern auch vor dem Hintergrund ihrer Fans), wobei ihm diverse Coups gelangen: Er erwischte das skandalöse Liebespaar Burton & Taylor küssend auf einer Yacht. Secchiaroli und Pierluigi schauten mitunter genauer hin. Sie erbeuteten bisweilen bezeichnende Porträts. Wie sich Charlton Heston bei der Premiere von Ben-Hur an seinem Schlips festhält, sagt womöglich viel aus über den Druck, den der Ruhm seinen Trägern auferlegt. Später verlagerte sich das Theater der Berühmtheit von der Straße fort. Sophia Loren am Fenster oder die lächelnde Claudia Cardinale auf ihrem Balkon zu ertappen, ist kein Coup mehr, sondern das Resultat einer Verabredung zu beiderseitigem Nutzen.

Ich liebe es, die Bildbände durchzublättern, die Pierluigi und Secchiaroli später veröffentlichten und damit wohl auch einen gewissen Grad an Seriosität anstrebten. Leider finden sich darin viel zu wenig Aufnahmen von Antonella Lualdi, die von allen italienischen Nachkriegsstars die schönsten Augen hat. In ihren Fotobänden zeichnen sich durchaus künstlerische Entwicklungen ab. Sie waren begabt und umgänglich genug, um von den Filmemachern auf ihre Sets eingeladen zu werden. Pierluigi wurde ein einfallsreicher Standfotograf. Secchiaroli, der als Sensationsfotograf bei Gerichtsprozessen begann und zuverlässig die Vermischten Seiten der Tageszeitungen belieferte, besaß später einen privilegierten Zugang zu Fellin, an dessen Legende als filmischem Zirkusdirektor er munter mitstrickte. Die italienischen Set-Fotografen waren Meister ihres Fachs. Aber erst, als die Via Veneto an Glanz verlor.

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