Kritik zu Der kleine Nick erzählt vom Glück

© Leonine Distribution

2022
Original-Titel: 
Le Petit Nicolas – Qu'est-ce qu'on attend pour être heureux ?
Filmstart in Deutschland: 
01.12.2022
L: 
82 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Sein drittes Kinoabenteuer erlebt der Titelheld nicht als Realfilm, sondern munter animiert. Mehr noch: Es ist ein dreifaches Biopic – der Zeichenfigur und seiner Erfinder Jean-Jacques Sempé und René Goscinny

Bewertung: 3
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Ein Gesicht hat der Junge schon. Sein Vorname ist rasch gefunden; der Lieferwagen einer Weinhandlung steht für ihn Pate. Aber etwas Entscheidendes fehlt noch, meint René: ein Adjektiv. Jean-Jacques sieht das ein.

Auch über die Lebensumstände ihres Helden sind die zwei sich bald einig. Nein, seine Eltern sind nicht reich, sondern leben in einem beschaulichen Einfamilienhaus am Stadtrand. Ohnehin soll er nicht allein bleiben, es müssen Kameraden her. Und wie ihre Schule aussieht, weiß der Zeichner Jean-Jacques genau: gerade so wie die, in die er damals in Bordeaux ging. Dank seines flinken Strichs haben wir alles sofort vor Augen.

Vielleicht hat sich die Geburtsstunde des kleinen Nick in den 1950er Jahren ja tatsächlich so zugetragen: an einem Pariser Bistrotisch, im munteren Schlagabtausch der Einfälle. Die luftige, idyllische Szenerie beglaubigt es jedenfalls. Paris ist in Aquarellfarben getaucht und das Leben seiner Bewohner wird von keiner Sorge beschwert. Der unternehmungslustige, vorwitzige Schelm, den Sempé und Goscinny ausgeheckt haben, könnte jeden Moment um eine Straßenecke biegen. Dieser Film unternimmt eine Reise ins Herz der Nostalgie. Willkommen in dem heiteren Nachkriegsfrankreich, das die zwei kunstvoll verklärt haben!

»Der kleine Nick erzählt vom Glück« beschwört gleich drei nationale Mythen: die des Titelhelden und die seiner zwei Erfinder. Ihre Leben und das der Figur, die sie geschaffen haben, sind miteinander verwoben. Das Drehbuch, an dem Goscinnys Tochter Anne mitgewirkt hat, zitiert eine Handvoll der rund 220 Geschichten um den kleinen Nick. In ihnen geschieht nichts Dramatisches – die Familie bekommt den ersten Fernsehapparat, ein Sandhaufen zerstiebt während einer Balgerei auf dem Schulhof, der Unterricht wird geschwänzt –, aber für den Titelhelden sind es weltbewegende Ereignisse.

Zugleich schaut das Regieduo Amandine Fredon und Benjamin Massoubre den beiden Comic-Pionieren bei ihrer Arbeit über die Schulter – und der neugierige Nick tut es ebenfalls. Er hat sie zusammen mit den Eltern schon im famosen Fernsehen gesehen und gehört, wie sie über ihn sprachen. Nun taucht er vorwitzig aus dem Zeichenblock Sempés und der Schreibmaschine Goscinnys auf und will alles ganz genau wissen. Dank dieses Kunstgriffs darf das Publikum entdecken, woher ihre Inspiration stammt. Sie erscheinen als frohgemute Verwerter des Menschlichen. In ihre Geschichten fließt die Sehnsucht ein, ihrem Helden eine glücklichere Kindheit zu bescheren, als sie selbst sie erlebten. Sempés Flucht vor dem trunksüchtigen Stiefvater und die Emigration von Goscinnys Familie während des Holocaust werden sehr reif und sehr kindgerecht erzählt.

Der Animationsstil unterscheidet die zwei Welten zwar subtil, ahmt Sempés Linienführung und Gestaltung des Bildraums liebevoll nach, aber trennt sie nicht voneinander. Der deutsche Filmtitel spielt dieser ästhetischen Harmonisierung zu. Der kleine Nick muss das Glück nicht suchen, sondern darf es bezeugen.

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