Kritik zu Märzengrund

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Nach dem Stück des österreichischen Schriftstellers Felix Mitterer: Adrian Goiginger hat einen Heimatfilm über einen Aussteiger und die großen  Entscheidungen des Lebens gedreht

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3 (Stimmen: 1)

Immer wieder springt der Film zwischen den Zeitebenen. Der alte Elias (Johannes Krisch) wird zu Beginn mit dem Helikopter in ein Krankenhaus eingeliefert, im Jahr 1968 macht sich der junge Elias (Jakob Mader) auf in die Einsamkeit der Bergwelt, und im Jahr 1967 beginnt die Erzählung, die ihn zu seiner Entscheidung hinführt, die Zivilisation zu verlassen. Elias ist das Kind von reichen Bauern im Zillertal in Tirol, er geht auf ein Internat und liest auch mal ein Buch. Was sein Vater, ein ziemlicher Patriarch, nicht so gern sieht; er beklagt die fehlenden landwirtschaftlichen Ambitionen seines Sohns. Beide Eltern sind harte Knochen in einer Zeit, als gesellschaftliche Veränderungen in den Tälern der Alpen noch nicht am Horizont erschienen waren. Man spürt aber durchaus die Zuneigung, die sie für ihren Sohn empfinden. Gleichzeitig merkt man auch Elias den Druck an, der auf ihm lastet, die Sackgasse eines Lebens, das er eigentlich gar nicht will. Er wird den Hof einmal erben, da scheint kein Weg dran vorbei zu führen. Als ihm sein Vater ein Auto, einen NSU Prinz, schenkt, fährt er mit seinen Kumpels in die Dorf-Disco, wo er seine große Liebe kennenlernt, Moid (Verena Altenberger). Geschieden. Keine standesgemäße Braut aus der Perspektive der Eltern. Nach einer Depression wird er von seinem Vater auf die Alm Märzengrund verfrachtet, die er für den Sommer in Schuss bringen soll. Und am Ende dieses Sommers will er die Einsamkeit der Bergwelt nicht mehr verlassen und zieht noch weiter nach oben. 

Regisseur Adrian Goiginger verwendet in seinem zweiten Film viel Zeit darauf, zu zeigen, wie Elias die Natur erobert, das ist physisches Kino, das nicht nur mit Bergpanoramen glänzt, sondern auch mit der Unwirtlichkeit einer Natur, die Lawinen über die einfache Hütte jagt, die Elias sich mühsam gebaut hat. Es ist anfangs irritierend, dass der Film die 40 Jahre überspringt, die Elias als Aussteiger ganz oben in den Bergen verbracht hat. Diesen Eremiten hat es übrigens wirklich gegeben, Simon Koch hieß er, und der Schriftsteller Felix Mitterer hat sein Leben in ein Theaterstück verwandelt. Aber im letzten, in der Gegenwart spielenden Drittel realisiert man, dass voraufgegangenen Teile auch die Fragen repräsentieren, die Elias sich stellt: Wie will ich leben? Und später, als er sich wegen einer Prostata-Operation in einem Pflegeheim befindet, wird er sich fragen: Wofür habe ich gelebt? Einmal schiebt seine Schwester die vom Schlaganfall gelähmte Mutter in sein Zimmer. Man kann seiner Familie nicht entfliehen, das war schon einer der Subtexte in Goigingers furiosem Debüt »Die beste aller Welten«, einer Erinnerung an eine Kindheit mit einer drogenabhängigen Mutter. 

Natürlich schrammt so manche wabernde Wolke haarscharf am Kitsch vorbei, aber »Märzengrund« hat großartig berührende Momente, etwa wenn der junge Jäger, den Elias Ende der 60er Jahre kennenlernt, ihn als Greis besucht. Mit »alter Mann« reden sie sich an. »Märzengrund« ist, auch wenn der Film darauf nicht insistiert, die Geschichte einer stillen Verweigerung, einer Rebellion – als Summe eines Lebens. Eine schöne Note für einen Heimatfilm.

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