Amazon: »Deep Water«

© 20th Century Studios

Der Erotikthriller erfüllt in der Gegenwart eine Art Dinosaurierrolle: Er gilt als ausgestorben; gewisse Exemplare der Vergangenheit werden aber noch mit Ehrfurcht bestaunt. Dazu gehören die Filme des ehemaligen britischen Werbefilmers Adrian Lyne, der mit »9½ Wochen« (1986), »Eine verhängnisvolle Affäre« (1987) und »Ein unmoralisches Angebot« (1993) das Genre seinerzeit definierte. Retrospektiv betrachtet war Lynes »Untreu« (2002) mit ­Diane Lane und Richard Gere sein Abschied von Genre und Kino zugleich. Nun erlebt mit »Deep Water« nicht nur Lyne als Regisseur ein Comeback, sondern tatsächlich der Erotikthriller selbst. Zwar ist der Film »nur« auf einer Streamingplattform zu sehen, umso mehr überrascht es, wie es Lyne gelingt, den Faden neu aufzugreifen und mit einer gleichsam abgespeckten Inszenierung den von einer Patricia-Highsmith-Erzählung inspirierten Stoff völlig gegenwärtig und aktuell erscheinen zu lassen.

Ben Affleck spielt Vic Van Allen, einen Mikrochip-Erfinder, der seine Firma verkauft hat und mit seiner attraktiven Ehefrau Melinda (Ana de Armas) und dem aufgeweckten Töchterlein Trixie (Grace Jenkins) das Leben in einer Reichen-Enklave bei New Orleans genießt. Oder müsste man schreiben: zu genießen versucht? Denn vom ersten Bild an gibt es da eine gewisse Leere und Langeweile in den Aufnahmen aus dem Alltag der drei. Und zugleich eine unterschwellige Spannung, die suggeriert, dass in dieser Beziehung so einiges anders sein könnte, als es auf den ersten Blick scheint.

Oberflächlich sieht man das alte ­Muster: Melinda ist die Femme fatale, die das Flirten mit jungen Männern nicht lassen kann und ihren Gatten Vic damit eifersüchtig macht – ja warum eigentlich? Es ist nicht wirklich Ana de Armas' Schuld, dass ihre Figur immer noch weniger einer Person als einem Abziehbild gleicht. Umso inte­ressanter gerät dem Film Afflecks Figur: Vic ist der gekränkte Mann, der zum Killer wird. Oder doch nicht? Affleck findet eine traumhaft authentische Balance zwischen gedemütigt und angetörnt, zwischen mildem Amüsement und plötzlich ausbrechender, weiß glühender Wut. Das dem Schauspieler lange persönlich angehängte Bild des »sad sack« wendet er hier erfolgreich ins Performative und macht seine Figur umso interessanter: Während er den besorgten Freunden vorspielt, dass ihn die Flirts seiner Frau gleichgültig lassen, besitzt er genug Intelligenz, um seine eigenen Irrationalitäten zu erkennen. Mit einer gewissen Selbstverachtung nutzt er aus, dass die Männer ihn, den depressiven Langweiler, unterschätzen und das Bedrohliche an ihm erst erkennen, wenn es zu spät ist.

Absolut modern wirkt dabei, wie Lyne das Milieu der reichen Frühverrenteten hier schildert: eine Blase des lockeren Lebensgenusses, in dem der Mangel an moralischer Kodierung schnell ins Verwahrloste wechseln kann. Und jeder als Freund gilt, der genug Geld hat, um dabei zu sein.

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