Streaming-Tipp: »Servant« Staffel 2

»Servant« (Staffel 1, 2019). © Apple TV+

»Servant« (Staffel 1, 2019). © Apple TV+

Madonnen und Märtyrer

Als Mystery-Serie gehört »Servant« zu jener Sorte Entertainment, bei der kein späterer Einstieg möglich ist. Was sich in Staffel 1 ereignet hat, ist einerseits schnell erzählt: Das Ehepaar Sean (Toby Kebbell) und Dorothy Turner (Lauren Ambrose) hat seinen erst wenige Monate alten Sohn Jericho verloren. Um Dorothy aus ihrer depressiven Katatonie herauszuholen, hat Sean zusammen mit Dorothys Bruder Julian (Rupert Grint) zu einer therapeutischen Notmaßnahme gegriffen: Sie haben Dorothy eine Babypuppe untergejubelt. Und Dorothy hat so gut darauf reagiert, dass sie prompt eine Nanny engagiert hat, damit sie selbst wieder als Reporterin im Lokalfernsehen arbeiten kann. Gerade als Sean der eingestellten Kinderfrau Leanne (Nell Tiger Free) hinter Dorothys Rücken erklären will, was es mit der Puppe auf sich hat – muss er feststellen, dass sich auf einmal ein reales Baby in seinem Haus befindet.

Andererseits ist diese Zusammenfassung völlig unzureichend, weil sie so viel Dinge auslässt, die das Eigentliche von M. Night Shyamalans Serie ausmachen: vom ungewöhnlichen Halbstundenformat für eine Mystery-Serie über die Rolle, die Seans Kochexperimente – er ist ein semiprominenter Profi-Caterer – spielen, bis hin zu der Tatsache, dass die Serie nahezu komplett und kammerspielartig im schmucken Gründerzeitaltbau der Turners in Philadelphia spielt. Und dann gibt es natürlich noch den Shyamalan-typischen Überbau des Mystischen: Herumliegende Strohkruzifixe, wie aus dem Nichts auftauchende Angehörige von Leanne, die offenbar einer Sekte angehört, und die seltsamen Sinneskrankheiten, von denen Sean befallen wird: Zuerst kann er nichts mehr schmecken, dann verliert er jedes Gefühl in seiner rechten Hand  .  .  .

Die erste Staffel brachte zwar Aufklärung darüber, wie Seans und Dorothys Baby starb, warf aber sonst mehr Fragen auf, als beantwortet wurden. Die zweite Staffel setzt dieses Konzept fort, spitzt aber überraschenderweise vor allem das satirische Potenzial weiter zu. In der ersten Staffel waren die Lacher oft allein auf Rupert Grints Seite, der als wandelndes »comic relief« mit stets entnervter Geste im Hause seiner Schwester aufschlug und sich als Erstes aus der teuren Weinsammlung von Sean bediente. Grint spielt diesen Julian als großartigen Balanceakt zwischen Skrupellosigkeit und Beschwichtigung, zwischen Größenwahn und Pragmatismus. In der zweiten Staffel nun läuft vor allem Lauren Ambrose zu großer Form auf, indem sie einerseits die narzisstische Verblendung ihrer Dorothy weiter hochdreht, anderseits aber auch deren Intelligenz akzentuiert, was eine gefährliche Mischung ergibt. Ihr Wahnsinn hat Methode, und im Gespann mit dem Bruder ergibt sich ein grausig-komisches odd couple – und damit eine ideale Folie für die beiden tragisch gefärbten Charaktere im Spiel: Leanne, die an der Stelle von serviler Unerfahrenheit mehr und mehr Abgründe offenbart. Und Toby Kebbells Sean, der am wenigsten nach außen agiert, bei dem es jedoch sichtlich am meisten im Innern arbeitet: Welche Verantwortung trägt er wirklich an Jerichos Tod?

Trailer Staffel 1

OV-Trailer Staffel 2

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