Streaming-Tipp: »Emily in Paris«

»Emily in Paris« (Staffel 1, 2020). © Carole Bethuel / Netflix

»Emily in Paris« (Staffel 1, 2020). © Carole Bethuel / Netflix

Croissant am Morgen

Eine junge PR-Frau aus Chicago wird von ihrer Firma nach Paris geschickt, wo sie frischen Wind in eine neu aufgekaufte Agentur für Luxusmarken bringen soll. Ihr Alltag besteht aus Pain au chocolat am Vormittag – die Frenchies bequemen sich so gegen halb elf ins Büro –, Champagner auf Glamour-Events, und Lover mit besonderen Fähigkeiten in der Nacht. Fronkreisch, Fronkreisch: Baguette, Jeannette, oh, là, là, là! Es ist einfach, sich über die Ungeniertheit, mit der in dieser Erfolgsserie Uraltklischees reproduziert werden, lustig zu machen. Nicht grundlos haben gerade französische Kritiker Gift und Galle gespuckt angesichts dieser Wunschfantasie, in der die Metropole wie ein Disney-Themenpark aussieht, die Menschen schön oder wenigstens reich sind und Kriminalität, Terror und Metro nicht existieren. Schockierend sind nur die Hundehäufchen – und der königliche Blick, mit dem elegante Frauchen die Hinterlassenschaften ihrer Fifis ignorieren.

Über das ebenso märchenhaft angerichtete New York in »Sex and the City« und die schrillen Kostüme der inzwischen 79-jährigen Stylistin Patricia Field – die nun Emily von der Baskenmütze bis zum Stöckel wie ein Zirkuspferd aufzäumt – hat sich allerdings keiner aufgeregt. So ist diese aufgekratzte Serie einerseits purer Eskapismus, bezieht ihren Drive aber aus ihrer ungewohnt frechen Perspektive. Hier findet, nach Jahrzehnten amerikanischer Paris-Schwärmerei, endlich die Fassungslosigkeit von Expats (inspiriert von den Anekdoten einer realen Amerikanerin in Paris) über die Unausstehlichkeit vieler Indigener ihre filmische Rache. Männer sind unverbesserliche Schürzenjäger, Frauen schlafen mit dem Gatten ihrer besten Freundin: In der Karikatur steckt durchaus ein Körnchen Wahrheit. Dass die Pariser daneben unverbesserliche »râleurs«, Meckerer, sind, erfährt Emily, von der Blumenhändlerin bis zu Agenturchefin Sylvie, vorwiegend in Gestalt älterer Frauen. Zugleich verweist die Mischung aus offensiver Hochnäsigkeit und Eifersucht, mit der Sylvie dem amerikanischen »Trampel« begegnet – obwohl die zuckersüße Lily Collins wie eine Urenkelin von Audrey Hepburn aussieht –, auf einen tieferen Mentalitätsunterschied. »Instagrameuse « Emily, die jeden alten Stein ablichtet, tut dank ihrer wachsenden Followerzahl beständig neue Geschäftsfelder auf. In einem Land, in dem die herausragende Qualität der Waren Hand in Hand mit einem Service geht, bei dem der Kunde wie ein lästiger Bittsteller behandelt wird, steht das Social-Media-Genie Emily für die marktschreierische amerikanische Methode. Und dass ihr beim Stichwort »Normandie« flugs »Der Soldat James Ryan« einfällt, spielt vielleicht darauf an, dass die Franzosen den Amis ihre Rettung noch nicht verziehen haben. Wie auch immer: Der »Kleinkrieg« (wie eine französische Zeitung schrieb) zwischen einer alten Kulturnation und den zupackenden Parvenüs von der anderen Seite des Atlantiks wird von der stählern lächelnden Naiven ein ums andere Mal für sich entschieden. So albern die Serie oft daherkommt: Doof ist sie nicht.

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