Streaming: »BILD.Macht.Deutschland?«

»BILD.Macht.Deutschland?« (Dokuserie, 2020). © Amazon

»BILD.Macht.Deutschland?« (Dokuserie, 2020). © Amazon

Dass es so kommen würde, haben sich die Macher vorher wohl kaum vorgestellt. Da bemüht man sich um Zugang zu einer der sagenumwobensten Redaktionen Deutschlands, richtet sich ein, um über ein halbes Jahr die Arbeit dieses einflussreichen Boulevardblatts in verschiedenen Facetten zu verfolgen – und dann wird die ganze schöne lange Zeit von einem einzigen Thema dominiert: Corona.

Dem Zuschauer macht das natürlich nichts. Im Gegenteil, wir alle stecken dieser Tage noch so tief im Thema drin, dass die bereits historischen Aufnahmen von der Redaktionskonferenz, bei der die »Bild«-Redakteure sich über Masken und Abstandsregeln mokieren, einen fast nostalgisch stimmt. Das waren noch Zeiten – da sitzen sie noch zu zehnt oder gar zwölft in einem Raum! Auch die Kampagne gegen den Virologen Christian Drosten, den die »Bild« lostrat und von der sie dann zurückrudern musste, gehört zu den Meilensteinen dieses Sommers, genauso wie der schwelende Streit zwischen der Fraktion, die die Maßnahmen für übertrieben hält, und der, die sie gutheißt. Mit ziemlicher Deutlichkeit gibt sich hier Chefredakteur Julian Reichelt als Anhänger von Friedrich Merz zu erkennen. Und kurz scheint auf, wie es nach seinem Gusto hätte laufen können: Im Herbst hätte sich herausgestellt, dass die Maßnahmen übertrieben waren und der deutschen Wirtschaft überflüssiger Schaden zugefügt wurde. Merz eilt herbei, positioniert sich als Retter und sammelt die Scherben auf. Aber es kam dann doch anders.

Dass Julian Reichelt und seine Mannen – die wenigen Frauen, die in der Dokumentation zu Wort kommen, sind bezeichnenderweise Abwieglerinnen oder anderweitig eher machtlos – viel Einfluss haben, den sie mit großer Geste und auch Leidenschaft zum Einsatz bringen, ist die eine Erkenntnis, die man aus »Bild.Macht.Deutschland?« gewinnen kann. Die andere ist, dass sie dabei selten besonders klug vorgehen und nicht über große Kenntnisse verfügen. 

Paul Ronzheimer, der stellvertretende Chefredakteur, gibt sich gern als sein eigener Chefreporter aus. Die Kameras begleiten ihn auf einer Reise in die Ukraine, wo er mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko einen auf alte Kumpels macht. Ob es ihm noch Spaß bereite, das Bürgermeistersein, fragt er ihn kritisch. Klitschko antwortet nach einigem Nachdenken: »Manchmal ja, manchmal nein.« Ronzheimer fährt weiter an die Grenze, dorthin wo der Krieg noch immer tobt. Er unterhält sich mit weinenden Witwen und lässt sich dabei filmen, wie er zusammenzuckt, wenn anderswo geschossen wird. »Ein echter Reporter!«, komplimentieren ihm die Leute mehrfach. An einer anderen Stelle fährt er nach Griechenland und besichtigt die Zustände im Lager Moria, weil »er das wichtig findet«. Als Zuschauer sieht man, dass er vor allem sich selbst wichtig findet. 

»Bild.Macht.Deutschland?« ist eine Hinter-den-Kulissen-Doku ohne Kommentar, ohne kritische Gegenstimmen, ohne pädagogischen Fingerzeig. Deshalb fällt es auch schwer zu entscheiden, ob die Selbstentlarvung von Reichelt & Co, die man hier geliefert bekommt, eigentlich als solche intendiert ist.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt