Kritik zu Black Book

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Paul Verhoevens Film über Widerstand und Kollaboration in Holland

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Der niederländische Regisseur, bekannt durch Thriller wie »Basic Instinct« und »Total Recall«, knüpft mit »Black Book« nach über 20 Jahren in Hollywood an »Soldaat van Oranje« von 1977 an, den viele für den besten holländischen Film halten.

Schon vor 30 Jahren, mit »Soldaat van Oranje«, provozierte Verhoeven, zeigte auf, dass es innerhalb des holländischen Widerstandes gegen die deutschen Besatzer nicht nur starke politische Differenzen, sondern auch Verrat gab. Und doch war »Soldaat van Oranje«, exzellent besetzt mit Rutger Hauer, Jeroen Krabbé und Derek de Lint, ein eher klassischer Männerfilm über den Zweiten Weltkrieg, bei dem vor allem die Deutschen mitsamt einiger örtlicher Kollaborateure eindeutig als Täter, Herrenmenschen und Mörder dargestellt wurden.

Mit »Black Book« bedient sich Paul Verhoeven nun einer zentralen weiblichen Hauptfigur, die ebenso Heldin wie Anti-Heldin, Opfer wie Kämpferin ist. Rachel Stein heißt die lebensfrohe junge jüdisch-holländische Sängerin, die einst sogar in Berlin Erfolge feierte und im Herbst 1944 bei einer christlichen Familie Unterschlupf gefunden hat. Dort muss sie zu den Mahlzeiten aus der Bibel vorlesen und vom Herrn des Hauses die eine oder andere antisemitische Bemerkung ertragen.

Von Beginn an gelingt es Verhoeven und seinem langjährigen Drehbuchautor Gerard Soeteman, mit klassischen Klischees zu brechen und die Karten immer wieder neu zu mischen. So verliert Rachel durch eine verirrte Bombe ihr sicheres Versteck und soll dank eines angeblich aufrechten Polizisten zusammen mit ihrer Familie und anderen wohlhabenden Juden ins befreite Belgien gebracht werden. Aber die nächtliche Rettungsaktion auf einem Boot wird verraten. Die SS erschießt die Flüchtlinge und raubt die Toten dann aus. Rachel ist die einzige Überlebende. Es ist nicht das erste Mal, dass sie buchstäblich alles außer ihrem Leben verliert. Und doch fängt sie immer wieder mit neuem Elan an, um ihr Überleben zu kämpfen. Sie ändert ihren Namen in Ellis de Vries und schließt sich dem niederländischen Widerstand an.

Carice van Houten spielt diese Frau mit einer atemberaubenden Kraft, zwischen Verletzlichkeit und Stärke, Chuzpe, tiefer Melancholie und mit großer selbstbewusster Sinnlichkeit. In einer der schönsten Szenen des Films steigt sie auf der Flucht vor deutschen Sicherheitsbeamten, beladen mit zwei schweren Koffern voller Waffen, in das Zugabteil ein, in dem der deutsche SD-Chef von Den Haag, Ludwig Müntze, sitzt. Sebastian Koch verkörpert diesen hohen Naziführer zunächst als einen charmanten Gentleman. Er fragt die hübsche Sängerin aus, zeigt ihr seine Briefmarkensammlung, vermag dann aber auch kalt und herrisch die Sicherheitsbeamten abzukanzeln, die ihn beim Flirten stören.

Der Machtmensch aus gutem bürgerlichen Hause hat jedoch innerlich längst mit der Nazi-Ideologie gebrochen, und als Ellis de Vries wie weiland Mata Hari auf ihn angesetzt wird, um ihn auszuspionieren, nutzt er das, um sich einerseits zu arrangieren, aber auch um weiteres Blutvergießen zu vermeiden.

Nur selten gelingt es im Kino, aufkeimende Leidenschaft so nachfühlbar zu inszenieren wie bei Carice van Houten und Sebastian Koch als zentrales und ungleiches Liebespaar, die gegen die Dogmatiker auf beiden Seiten kaum eine Chance haben. So muss sich Müntze gegen Hardliner durchsetzen, vor allem gegen den sadistischen Franken, der mit Verrätern innerhalb des holländischen Widerstandes paktiert. Bei aller Mordlust und Gier lebt Franken auch seinen Sexualtrieb mit seiner holländischen Geliebten hemmungslos aus. Es sind genau solche Figuren und Szenen, die irritieren, dem Naziklischee scheinbar entsprechen und es doch gleichzeitig konterkarieren. Verhoeven verleiht fast allen Charakteren eine tiefe zwiespältige Menschlichkeit und verblüfft so immer wieder den Betrachter, treibt die physische, inszenatorische Kraft und Spannung der Handlung voran. Und so ist »Black Book« mit der Befreiung der Niederlande durch die Alliierten noch lange nicht zu Ende ...

Der streitbare Niederländer Verhoeven operiert bei »Black Book« mit allen Mitteln des großen europäischen Erzählkinos, vermag es, Spannung und Erotik meisterhaft einzusetzen und so das enorme Budget von 17 Millionen Euro in jeder Einstellung zu rechtfertigen. Paul Verhoeven erzählt mit den Mitteln eines intelligenten Unterhaltungskinos von Idealismus, Verrat, Liebe und Hoffnung am Ende des Zweiten Weltkriegs. Er verpackt das Ganze in ein melancholisches Drama, das auch durch viel Dialogwitz und Humor immer wieder aufgelockert wird. Dabei sollte man Zwartboek in der holländisch-deutsch-englischen Originalfassung sehen. Allein wenn Hauptdarstellerin Carice van Houten vom Niederländischen ins Deutsche wechselt, offenbart sie so eine ganz andere Facette ihrer Persönlichkeit, die durch jede Art der Synchronisation nur nivelliert werden kann. 

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