Streaming-Tipp: »Das Boot« – Die Serie

»Das Boot«: Staffel 1 (2018). © Sky

»Das Boot«: Staffel 1 (2018). © Sky

Vorne unten fünfzehn

Wenn man sich die jüngsten Pressemitteilungen aus der europäischen Filmwirtschaft zu Serienprojekten ansieht, dann kommen einem Zweifel, ob diese Industrie wirklich so innovativ ist, wie man das gemeinhin von den neuen Serien annimmt. In einer deutsch-italienischen Gemeinschaftsproduktion wurde Umberto Ecos Bestseller »Der Name der Rose« neu verfilmt, mit John Turturro in der Rolle von Sean Connery; der Achtteiler soll im Frühjahr nächsten Jahres in Deutschland Premiere auf Sky haben. Auf ZDF Neo und in der Mediathek ist bereits der Sechsteiler »Das Parfum« zu sehen, mit Friederike Becht und Wotan Wilke Möhring – verlegt in die Gegenwart. Und Netflix hat bei dem Team von »Die Welle«, Produzent Christian Becker und Regisseur Dennis Gansel, die Serienadaption ihres Erfolges von 2008 in Auftrag gegeben, als drittes Netflix-Original. 

Wobei die Strategie, einen Hit zu remaken, im angelsächsischen Raum nicht so manisch verfolgt wird, sieht man einmal von den vielen Stilmitteln und Vorbildern ab, die in den Serien verwurstet werden. Denn eigentlich ist das Kalkül klar: Was einmal ein Erfolg war, wird auch noch ein zweites Mal gutgehen. Und da rückt natürlich »Das Boot« von Wolfgang Petersen in den Fokus des Interesses. Einer der ganz großen Erfolge der bundesdeutschen Film- und Fernsehgeschichte, mit einem damals schon unglaublich hohen Produktionsbudget von 26 Millionen D-Mark. Im Kino, das muss man dazusagen, lief der Film nach seiner Premiere am 17. September 1981 mit etwas über drei Millionen Besuchern gut, wenn auch nicht überragend. Aber die erste Fernsehfassung in der ARD, 310 Minuten lang, ausgestrahlt Ende Februar und März 1985, schlug ein, um einmal im Bild zu bleiben, wie eine Bombe. Den ersten Film sahen 17,6 Millionen Zuschauer, den zweiten 20 und den dritten Teil 24 Millionen. Wohlgemerkt: bei 61 Millionen Bundesdeutschen. So etwas nannte man einen Straßenfeger. Und eine solche Kooperation zwischen Kino und Fernsehen einen »amphibischen Film«. Erfunden hat den Begriff der WDR-Redakteur Günter Rohrbach, der dann als Bavaria-Produzent die Oberaufsicht über »Das Boot« übernahm. Heute sieht man den Einfluss des Fernsehens auf Projekte, die auch im Kino laufen sollen, deutlich kritischer. 

Die da unten, die da oben

Als »Das Boot« 1981 ins Kino kam, lebte Rainer Werner Fassbinder noch, und der Autorenfilm machte das Image des deutschen Kinos aus, auch wenn etwa Volker Schlöndorff mit »Die Blechtrommel« und Fassbinder selbst mit Lili Marleen Big-Budget-Projekte gestemmt hatten. Aber der Krieg und die NS-Zeit waren nicht das Sujet des Neuen Deutschen Films, insofern stach »Das Boot« mit seinen riesigen Studiobauten aus der Produktionslandschaft heraus. Kriegsfilme hat es im deutschen Nachkriegskino immer wieder gegeben; Frank Wisbar etwa versuchte sich in »Haie und kleine Fische« an einem U-Boot-Film, und das durchaus mit dem Anspruch auf Authentizität. 

Aber in seiner Konsequenz und Geschlossenheit war »Das Boot« ein Meilenstein und ist bis heute unübertroffen. Die Handlung ist fast ausschließlich an Bord und auf dem Ausguck der U-96 angesiedelt; es ist kein Film, der auf irgendwie heldische Taten setzt oder in dem sich Männer bewähren müssen. Es gibt auch keine Liebesgeschichte wie in »Haie und kleine Fische«, nur einmal gesteht ein Mannschaftsmitglied, dass er eine Französin liebt, von der er ein Foto hat. Und über den »Kaleun« (Jürgen Prochnow), immerhin als Kapitänleutnant die Hauptfigur, erfährt man eigentlich gar nichts. Nur drei Mal verlässt der Film das Boot selbst, einmal als die Männer Proviant und Treibstoff von einem Versorgungsschiff übernehmen müssen, als sie am Ende wieder in La Rochelle einlaufen und fast die ganze Besatzung durch Tiefflieger getötet wird. Und zu Beginn, in einer grotesken Feier in einem Amüsierlokal – irgendwie schon ein Abstieg in die Hölle, auch wenn es nur eine Bierhölle ist, in der es einigermaßen züchtig zugeht. 

Da ist natürlich die achtteilige Neuverfilmung, die der Österreicher Andreas Prochaska gedreht hat, expliziter: Die Mannschaft geht ins Bordell, und der Koch und Sanitäter (Robert Stadlober) verteilt die Präservative. Wahrscheinlich ist das realistischer, wie überhaupt diese Neuverfilmung als ein Versuch daherkommt, »Das Boot« gewissermaßen vom Kopf auf die Füße zu stellen. Oder umgekehrt, wie man's nimmt. Schon zu Beginn erleben wir mit, wie ein U-Boot versenkt wird und wie der neue Kaleun Karl Hoffmann (Rick Okon) gegen einen Maat aussagt, der sich aus Angst während eines Angriffs versteckt hat. Das hätte der alte Kaleun der U-96 nie getan. Was wir ­natürlich nur mutmaßen können. 

Der Einstieg soll die sklavisch-soldatische Pflichterfüllung, die im alten Boot natürlich ungefragt vorhanden war, aufdecken und ins Absurde ziehen – schließlich operiert die U-612 im Jahr 1942, als der deutsche U-Boot-Krieg längst verloren war und die Jäger zu Gejagten wurden. Als »Das Boot« von Wolfgang Petersen 1985 im Fernsehen lief, hat der damalige »Zeit«-Feuilleton-Chef Fritz J. Raddatz den herbsten Verriss des Films geschrieben, der bei der damaligen Kritik sowieso nicht beliebt war. Man könne einen solchen Kriegsfilm nicht drehen, ohne die Verbrechen des Regimes und der Wehrmacht miteinzubeziehen und die Frage nach der Schuld zu stellen. Darin schwingt natürlich auch die alte marxistische Forderung von der Darstellung der Totalität eines historischen Prozesses mit. 

Eine Frau an Bord bringt Unglück

Es scheint, als hätten die Drehbuchautoren der Neuverfilmung die Rezension von Raddatz beherzigt, denn sie arbeiten gewissermaßen multifokal. Mindestens so ausführlich wie die Fahrt der U-612 beschreiben sie die Vorgänge an Land, in und um La Ro­chelle. Dafür ist Simone Strasser (Vicky Krieps) zuständig. Die Deutsch-Elsässerin wird in der ersten Folge schon nach La ­Rochelle beordert, wo sie als Übersetzerin arbeitet, und freut sich, ihren Bruder, einen Techniker, dort zu treffen. Der wird nach einem Brand an Bord als Funker auf die U-612 beordert und kann ihr dort gerade noch ein Kassiber übergeben: Pläne, die er der Résistance übergeben wollte im Austausch für gefälschte Pässe, denn seine Freundin, mit der er ein Kind hat, ist Jüdin. Der Austausch findet an Bord statt, obwohl es auch hier noch heißt: »Eine Frau an Bord bringt Unglück.« 

Man weiß ja, dass in Hollywood die Strategen darauf achten, dass das Personal der Filme einigermaßen divers ist, und ein solches Kalkül merkt man auch der Neuverfilmung an: Nur mit Männern geht nicht mehr, will man möglichst viele Zuschauerschichten ansprechen. Das neue Boot ist gewissermaßen gegendert. Und ein NS-Repräsentant muss auch bei: Kriminaloberrat Hagen Forster (Tom Wlaschiha), gerne übrigens in SS-Schwarz gekleidet, der foltern lässt, doch über gepflegte Manieren verfügt. Und eigentlich gar nichts gegen die Franzosen hat. 

Die U-612 gerät mitunter etwas ins Hintertreffen. Obwohl sich da die Autoren ihren besten Drehbuchkniff haben einfallen lassen: Denn der Kaleun absolviert seine erste Feindfahrt, sein Erster Offizier (August Wittgenstein) aber ist trotz seiner Jugendlichkeit erfahren, ein Nazi und hat zunächst den Rückhalt der Besatzung. »Das Boot« der 80er war ein Film der Konzentration, der Schrecken spiegelte sich in den Gesichtern der Crew, die minutenlang beim Warten gezeigt werden, das neue Boot springt munter zwischen oben und unten her. Verbunden werden die Handlungsebenen der überlegt fotografierten und hervorragend besetzten Neuverfilmung allerdings durch den Grauschleier, der auch über dem Land liegt.

Drehbuchautoren scheinen heutzutage die Zuspitzung, wenn nicht gar Überspitzung zu lieben, schließlich muss man den zerstreuten Zuschauer bei der Stange halten. Das konnte man schon an »Babylon Berlin« beobachten, wo aus dem love interest des Kommissars, im Buch ein Mädchen, das durch Studium nach oben wollte, in der Serie eine Gelegenheitsprostituierte wurde. In der Neuverfilmung des Bootes wird natürlich Simone Strasser, die schon aus familiären Gründen mit der Résistance sympathisiert und eine Affäre mit einer Anführerin hat, dem Nazikommissar als Übersetzerin zugeteilt. Bei so viel Kolportage freut man sich nachgerade, die aus dem alten Boot vertrauten Befehle zu hören: »Vorne unten fünfzehn, hinten oben zehn. Anblasen.«

»Das Boot« startet am 23. November auf Sky; von der Presse konnten bisher nur die ersten vier Episoden gesichtet werden.

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