Sergio Leone: Verherrlichung des Kinos

»Spiel mir das Lied vom Tod« (1968)

»Spiel mir das Lied vom Tod« (1968)

Der Italo-Western wurde zweimal ­erfunden; im Abstand von 50 Jahren, und von derselben Familie. 1913 kam »La Vampira Indiana« heraus, den ein gewisser Roberto Roberti inszenierte. Er stand am Beginn der Blüte des italienischen Stummfilmkinos und bezeugte dessen erzählerische Vitalität und Vielfalt. Ein halbes Jahrhundert später belebte »Für eine Handvoll Dollar« den Western auf rabiate Weise neu, der zu diesem Zeitpunkt in den USA in Agonie lag. Er verordnete dem protestantischen Genre eine römisch-katholische Rosskur, die sich gleichermaßen auf die Cinéphilie wie die Postmoderne beruft.  

Bob Robertson, das englische Pseudonym, das Sergio Leone für den Film wählte, war eine Hommage an das Alias seines Vaters Vincenzo, der »La Vampira Indiana« mit seiner späteren Ehefrau in der Hauptrolle einer Squaw gedreht hatte. Sergio, das macht die Pariser Ausstellung deutlich, war in jeder Hinsicht ein Sohn des Kinos. In seinen späteren Meisterwerken hat er sich jenen kindlichen Blick bewahrt, dem alles viel größer erscheint. Diese Überhöhung der Realität ist freilich nie parodistisch, Leone nimmt den Western todernst. Dieser Regisseur will das Medium verherrlichen, in dem er heimisch war wie kein anderer.

Die Schau geht ganz klassisch der Frage nach, wie er dazu gelangte, Filme auf so einzigartige Weise zu drehen. Sie speist sich wesentlich aus der Sammlung der Cineteca von Bologna, deren verschmitzter Leiter Gian Luca Farinelli als Co-Kurator fungiert. Sie ist zunächst biografisch angelegt, der Raum über die Eltern ist im Sepiaton zeitgenössischer Fotografien gehalten; sodann wird Leone als dynamischer Regieassistent und Regisseur von Sandalenfilmen vorgestellt, bevor er als game changer mit »Für eine Handvoll Dollar« das Antlitz des Western unwiderruflich verändert. Der Besucher erhält Zutritt in die Werkstatt eines Märchenerzählers, der faszinierende Zwiesprache hält mit seiner Zeit.  

Die Quellen seiner Inspiration, das macht die Ausstellung in pointierter Zusammenschau deutlich, reichen von Goya über das sizilianische Puppentheater bis zu dem gerade verstorbenen Popkünstler Robert Indiana. Seinem wichtigsten Mitarbeiter Ennio Morricone ist ein eigener Saal gewidmet. Die Einflüsse bleiben nicht auf die Künste beschränkt: Das Massaker, das die Wehrmacht in den adriatinischen Höhlen unter Angehörigen des römischen Widerstands anrichtete, findet vielfachen Widerhall in seinen Western. Die Schützengräben in »Zwei glorreiche Halunken« gemahnen an den Ersten Weltkrieg, das Kriegsgefangenenlager an Auschwitz. Farinelli sieht Leone als einen paradoxen Vollender des Neorealismus, der die Mythen so inszeniert, dass sie zu ihren Wurzeln zurückkehren. Die mächtigste von ihnen ist die Einwanderung. Im ausgezeichneten Katalog wird Alberto Moravia zitiert, der die Überbevölkerung Italiens für die Popularität des Western verantwortlich macht. Dessen Szenerie ist bei Leone insgeheim europäisch drapiert. Die Weite der Landschaften hat ihr Pendant in den geräumigen Interieurs, die Carlo Simi für ihn entwarf und die wie stolze italienische Gehöfte wirken. (Die dräuend niedrigen Decken hingegen verweisen auf John Ford.) Dass die Zeit bei Leone so außerordentlich gedehnt wird, liegt auch in der Architektur begründet, die den Figuren weite Wege aufgibt.

Leone erscheint als ein Transatlantiker, der US-Darsteller wie Clint Eastwood und Henry Fonda verwandelt. Zugleich ist seine Vision Amerikas akribisch recherchiert – seine Waffenmeister verstanden ihr Handwerk – und gewinnt mit jedem Film eine weitere historische Dimension hinzu: den Bürgerkrieg in »Zwei glorreiche Halunken«, die Erschließung des Westens durch den Schienenstrang in »Spiel mir das Lied vom Tod«. Der Fetischcharakter dieses Kinos spiegelt sich in der Schau, die mit Kostümen und Requisiten aus Leones Arbeitsalltag prunkt, darunter sein Telefon, der Schreibtischsessel, auf dem er thronte, sowie eine Nachbildung seiner Bibliothek, deren Ursprung die Lektüre von Homers »Odyssee« bildet. Der Poncho des namenlosen Helden der »Dollar-Trilogie« ist freilich nur ein Duplikat. Das Original hängt in Kalifornien, in der Villa Clint Eastwoods, der ihm fast alles verdankt.

»Il était une fois Sergio Leone« läuft bis zum 27. Januar 2019 in der Cinémathèque francaise und danach in Rom. Der französischsprachige Katalog (26,50 €) ist bei »Table Ronde« erschienen.

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