Comic-Tipp: Gérard Depardieu

Gérard Depardieu in der Serie »Marseille« (2017). Foto: David Koskas

Gérard Depardieu in der Serie »Marseille« (2017). Foto: David Koskas

Das lebende Kunstwerk

Die meisten Menschen, die Gérard Depardieu auf der Leinwand gesehen haben, finden ihn faszinierend. Ein vitalistisches Schauspielermonster, mit dieser einzigartigen Fähigkeit, sich zu verwandeln und gleichzeitig vollkommen er selbst zu bleiben. Die wenigsten, die Gérard Depardieu erlebt haben oder auch nur seine Capricen zwischen Kunst, Politik und Danebenbenehmen verfolgen, finden ihn sympathisch. Er ist launenhaft, rücksichtslos und macht sich nichts aus dezenter Kleidung. Zu den Menschen, die Gérard Depardieu überhaupt nicht mögen, gehört Gérard Depardieu. Das macht ihn natürlich auch wieder mordssympathisch.

Sich einem solchen heiligen Monster zu nähern, ist jedenfalls nicht leicht. Auf die Idee, es mit einem Reportagecomic zu tun, muss man allerdings erst einmal kommen. Allerdings ist dieses Subgenre der Dokumentar- oder Tagebuchcomics mittlerweile erprobt, als Parallel- und Gegenform zum Dokumentarfilm und in vergleichbaren Formen der Annäherung an den Gegenstand: Beobachtung, Teilhabe, Enthüllung, Identifikation, Performation, poetische Überhöhung, satirische Verzerrung zur Kenntlichkeit. Der Comic hat gegenüber dem Film dabei einige gehörige Vorzüge, die vor allem bei schwierigen Sujets zum Tragen kommen: Seine technischen Mittel sind faktisch unsichtbar und lassen der Situation daher ihre Authentizität (es genügt in der Regel ein Skizzenblock), zwischen erster »Aufnahme« und Fertigstellung liegt genügend Raum für Reflexion und Veränderung, der Repräsentationsmodus (zwischen Realismus und Karikatur, zwischen objektiver und subjektiver Wahrnehmung zum Beispiel) ist offener, Text und Bild haben keine eindeutig synchrone continuity, Zeichner können sich unauffälliger in einer Situation bewegen als Filmteams, man verfügt über einen Fundus von ein paar Jahrtausend Bild-Geschichte, und so weiter. Unnütz zu sagen, dass alle Vorzüge des Dokumentar­comics gegenüber dem Dokumentarfilm auch wieder Nachteile sein können.

Hier jedenfalls ist das Unternehmen vollkommen gelungen. Der Comic von Mathieu Sapin ist Gérard Depardieu so nahe und kann zugleich so zurückhaltend sein, wie es ein Film nicht vermöchte. Sapin ist erfahren in der Kunst der intermedialen Übersetzung; er hat etliche Romane ins grafische Medium übertragen, sich in der Cité internationale de la bande dessinée et de l'image in Angoulême mit der Beziehung von Comic und Film beschäftigt und sich dann auf »begleitende« Comics spezialisiert: Er hat Joann Sfar bei den Dreharbeiten zu »Gainsbourg« (2010) zugeschaut, dann die Wahlkampagne von François Hollande und schließlich in »Le Château« 2015 ein Jahr lang das Geschehen im Élysée-Palastes dokumentiert.

Noch länger, nämlich ganze fünf Jahre, hat Sapin es mit Gérard Depardieu ausgehalten. Natürlich nicht am Stück, sondern vor allem auf Reisen. Das beginnt damit, dass Depardieu für eine arte-Dokumentation auf die Spuren von Alexandre Dumas gesetzt wird, und weil der damals einen Maler an seiner Seite hatte, ist es offenbar folgerichtig, nun von einem Comiczeichner begleitet zu werden. Der massige Depardieu, der am liebsten in Unterhosen im Haus herumläuft und sich auch in der Öffentlichkeit zumeist ziemlich ungeniert zeigt, und der etwas untersetzte (natürlich übertreibt man einen solchen Größenunterschied in einem Comic), ein bisschen schüchterne Sapin – das ergibt ein Paar wie das neugierig fragende Kind und der nachsichtig antwortende Erwachsene, oder auch umgekehrt, wie der vorsichtig fragende Rationalist und ein irrlichternd antwortendes lebendes Kunstwerk. Entscheidend jedenfalls ist: Wir sehen die Sache, um die es geht, nämlich eine Zeit im Leben des Schauspielers, in der er sich sozusagen mit seiner Heimat und seiner vertrauten Umgebung überwirft, um ausgerechnet in Putins Russland Zuflucht zu suchen, nicht von außen, sondern immer in Zusammenhang mit dem Begleiter, der dann vielleicht doch so etwas wie ein Freund für den Schauspieler ist. Auf jeden Fall ist er einer, dem man das eine oder andere anvertraut, über die Gedanken an den Tod, über den Unwillen, Bilder an die Wand zu hängen, über die vielen Menschen, die Depardieu zum Kotzen findet, über Rückenschmerzen beim Drehen, über die Beziehungen zu Regisseuren (konkret geht es hier um einen Film von Fanny Ardant, »Le Divan de Staline«, natürlich mit Depardieu als Stalin), über das Motorradfahren, die Lust am Essen, das Geld . . . Wenn man von etwas wenig bis nichts erfährt, dann ist es die Liebe.

Sapins Zeichenstil könnte man als atmosphärische Karikatur bezeichnen. Die Charaktere sind mit wenigen, sehr lebendigen Strichen skizziert. Aber zugleich wird sehr viel Wert auf Detailgenauigkeit und Setting gelegt. Es ist immer die Einladung, sich »vor Ort« zu fühlen. Dazu führt Sapin eine Kommentarebene ein, auf der von außerhalb der Panels Erläuterungen und Interpretationen kommen – zum Beispiel zu Depardieus Fähigkeit, ein Gegenüber beim Gespräch zu »scannen« und sich alle Manierismen einzuprägen. Und sowenig er das Komische neben dem Faszinierenden bei Depardieu unterschlägt, so wenig schont er sich selbst in seinem Comictagebuch über »fünf Jahre am Rockzipfel von Gérard Depardieu«. Niemand kommt hier wirklich ungeschoren davon, im Gefolge von Depardieu gelangt man schließlich nicht nur in eine Menge Restaurants, sondern auch in die Welt der Reichen und Schönen, Mächtigen und »Kreativen«.

Nein, weder Gérard Depardieu noch die Welt, in der er sich bewegt, manchmal freiwillig, manchmal mit offen gezeigtem Widerwillen, sind besonders sympathisch. Aber weil dieser Kerl, der zerfallen ist in eine unantastbare Institution der französischen Kultur und in einen Menschen, dem so oder so empfindliche Menschen besser aus dem Weg gehen, das selbst am besten weiß und sich immer wieder von einem cholerischen Tyrannen in einen offenherzigen Kumpel verwandelt, bleibt als Fazit dieses grafischen Reportagetagebuchs: Depardieu ist Depardieu, so voll und ganz, wie es nur ein Comic wiedergeben kann.

Mathieu Sapin: Gérard. Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu.
160 Seiten
24€ (Gebundene Ausgabe)

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