Truffaut-Ausstellung in der Cinémathèque française

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François Truffaut

Für den kleinen Truffaut ist immer noch Platz«, ordnete Lotte Eisner an, wenn der kleine Kinosaal in der Avenue de Messine mal wieder überfüllt war. Der junge Filmbegeisterte durfte dann auf dem Boden sitzen. Eisner und ihre Kollegen von der Cinémathèque française hatten den halbwüchsigen Stammgast in ihr Herz geschlossen, denn sie alle verband die gleiche Leidenschaft.

Damals, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, konnte natürlich noch niemand wissen, dass dieser Junge einmal ein bedeutender Kritiker und noch bedeutenderer Filmemacher werden würde. Aber eine Ahnung hatten die Mitarbeiter der Cinémathèque vielleicht. Es war unübersehbar, wie viel Wissbegierde in seiner Schaulust steckte und wie selbstlos seine Liebe zum Kino war. So wuchs der von seiner Mutter ungeliebte François gleichsam in der Obhut der Pariser Kinemathek auf. Diese erweist auch ihrer eigenen Geschichte eine Reverenz, wenn sie Truffaut nun Platz einräumt mit einer Ausstellung, einer Retro­spektive und einem umfangreichen Rahmenprogramm. Nach Truffauts Tod ging sein immenses Archiv an die Institution, die das Gedächtnis des Kinos verwahrt. Ihr heutiger Leiter Serge Toubiana, Koautor einer großen Biographie, hat die Schau kuratiert.

Wenn jemand, der seit Jahrzehnten ein ausgewiesener Kenner eines Filmemachers ist, eine Ausstellung über dessen Leben und Werk konzipieren soll, bleiben ihm zwei Alternativen: Er kann mit seinem Wissen prunken oder aber der legendären Kinoregel »Alles auf Anfang!« folgen. Toubiana hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Das ist mutig. Seine Schau richtet sich nicht an Eingeweihte, sondern an Besucher, die nur eine ungefähre Vorstellung davon haben, was die Nouvelle Vague oder die »Cahiers du cinéma« sind. Sie gibt sich bescheiden, sie reduziert, vereinfacht. Der vielleicht bekannteste Regisseur Frankreichs darf in ihr wieder zu einem Geheimnis werden, das zu enträtseln sich lohnt.

Die Verletzungen seiner Kindheit führt Toubiana diskret vor Augen. Umso lebhafter feiert er das Kino als Zufluchtsort. Truffauts Schulranzen verbannt die Szenographie in einen Abstellraum. Schon als Kind sammelte er alles, worin sich seine Leidenschaft manifestierte – nicht mit Blick auf die Nachwelt, sondern aus dem Impuls, seine Erlebnisse festzuhalten. Er legte verspielt gekritzelte Kinotagebücher an, stahl Aushangfotos und Filmprogramme. Früh nutzte er sein Talent zum Briefeschreiben, schloss strategische und innige Freundschaften. Der Schritt zur Professionalisierung war kurz. Man gewinnt einen Eindruck davon, welch angriffslustiger Kritiker er war.

Seine Karriere und Filmografie gewinnen nur grundlegende Konturen. Dem mit Sie küssten und sie schlugen ihn begründeten Antoine-Doinel-Zyklus ist ein eigener Raum gewidmet. Das kardinale Thema seines Werks, die fiebrige, verzehrende Liebesleidenschaft, ist in einem größeren Saal in vielen Facetten zu besichtigen. Sein Verhältnis zu Hitchcock wird dargestellt, sein Auftritt als Wissenschaftler in Spielbergs Unheimliche Begegnung der Dritten Art gewinnt demgegenüber etwas viel Gewicht. Toubiana verweist auf die internationale Ausstrahlung seiner Filme, nicht zuletzt nach Japan; Bilder von der Verleihung des Oscars für Die amerikanische Nacht fehlen nicht. Truffauts Büro in seiner Produktionsfirma »Les Films du Carosse« wurde nachgebaut. Es ist gleichermaßen Schrein seiner Cinéphilie wie seiner geschäftlichen Unternehmungslust. Der Fetischcharakter bestimmter Requisiten – die imaginären Bücher, die in seinen Filmen auftauchen; die Zigarettenpackung, die Jean-Paul Belmondo in Das Geheimnis der falschen Braut nach dem Gesicht von Catherine Deneuve anfertigen lässt – wird verschmitzt ins Spiel gebracht.

In Briefen, Filmausschnitten und Interviewpassagen wird vor allem eines kenntlich: ein Temperament. Wer an einer tiefschürfenden Analyse seines Werks interessiert ist, wird hingegen im Katalog fündig. Dort wechseln thematische Essays, Werkstattgespräche mit Autoren, Kameraleuten und Cuttern und Bildstrecken in einem schönen Rhythmus miteinander ab. Das letzte Kapitel ist eine wehmütige Spekulation des Drehbuchautors Jérôme Tonnere, der als Kind neben Truffaus Büros wohnte, über die Filme, die Truffaut bis heute gedreht hätte, wäre er nicht 1984 einem Gehirntumor erlegen. Gerhard Midding

Die Schau läuft bis 1. Februar 2015 (www.cinematheque.fr); der Katalog kostet 35 €.

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