Buch-Tipp: Agitprop ist unterschätzt

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Filme, die befreien: Die Geschichte des »Dritten Kinos« von den Siebzigern bis heute

»Ich will, dass die Leute wütend werden, wenn sie diesen Film sehen«, sagte der Regisseur Lino Brocka nach der Aufführung von Fight for US (Orapronobis) beim Festival in Cannes 1989. Das in wenigen Wochen an Originalschauplätzen realisierte Politdrama propagiert den bewaffneten Kampf gegen die korrupte Oligarchie mächtiger Landesfürs­ten und Militärs auf den Philippinen – und entspricht damit der Intention des 1969 von den Argentiniern Fernando Solanas und Octavio Getino publizierten Manifests »Hacia un Tercer Cine« (Für ein Drittes Kino), in dem Filme zum Kampf gegen Unterdrückung gefordert werden.

In den folgenden Dekaden  entstanden abseits der Kinoindustrie Werke wie Sambizanga (F/Kongo 1973), die zur revolutionären Aktion animieren sollen, aber auch inhaltlich und stilis­tisch ganz unterschiedliche, nicht dezidiert politisch motivierte Filme. Eine Revolution der Produktionweisen brachte dann die digitale Technik, die mit kleinerer und billigerer Hardware jedermann die Möglichkeit zum Filmen bot. Es kam zu einer »kreativen Explosion« und zur Bildung eines internationalen Independent Cinema mit mannigfaltigen Ausdrucksformen – was die Aufsatzsammlung »Spuren eines dritten Kinos« umfassend am Beispiel von China, Nigeria, Brasilien und den Philippinen belegt.

Die Texte beschäftigen sich mit ästhetischen Aspekten, ­Produktionsbedingungen,  Distributionswegen; es gibt filmhistorische Abhandlungen und Ein­zeluntersuchungen der Arbeiten von Regisseuren wie Wang Bing, Tunde Kelani oder José Mojica Marins. So unterschiedlich wie die Filmsprache der vorgestellten Künstler ist auch der Sprachduktus der Autoren. Während Jonathan Haynes aufschlussreich über »Afrikanisches Kino und Nollywood« berichtet und Lukas Foerster luzid über Lino Brocka und die derzeit auf Festivals angesagten neuen Repräsentanten des philippinischen Kinos schreibt, verstört Maximilian Linz’ prätentiöser Text »Auto-Depräsentation« mit Formulierungen wie »dann ist der Eiffelturm eine Metonymie der Stadt Paris als das trans-subjektive, trans-nationale Zentrum eben dieses ›cinema of film culture‹«. Mit humoriger Polemik und lebendigen Situationsschilderungen unterhaltsam geschrieben und zugleich von intimer Sachkenntnis zeugend ist Axel Esteins collagenhaft strukturierter Report über das aktuelle Filmschaffen auf den Philippinen im politischen und sozialen Kontext.

Das »Dritte Kino« ist längst aufgegangen in einem »World Cinema«, wo Independentproduktionen international konzipiert, finanziert und realisiert werden und wo selbst Hollywood durch vermehrte Nutzung von Drehorten und Filmstudios im Ausland, das Engagement von kreativen Gastarbeitern aus Übersee und die Assimilation fremder Filmstoffe und Stilmittel (etwa asiatische Martial Arts im Actiongenre) ins »globale Dorf« eingemeindet ist.

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