Political Correctness im Film: PCinema

Ist das noch politisch korrekt oder schon Kulturstalinismus?
»Vom Winde verweht« (1939)

»Vom Winde verweht« (1939)

Müssen Filme ethnisch ausgewogen, genderneutral und inklusiv sein? Macht zuviel ­politische Korrektheit das Kino zu einer falschen, trügerischen Komfortzone? Und wie betrachten wir Filme aus Zeiten, in denen American Natives noch »Indianer« waren und Schwarze »Neger«? Sieben Thesen zum Verhältnis von künstlerischer Freiheit, Kritik und kultureller Patronage

These I

Filme und Filmkritik, da können sie machen, was sie wollen, sind immer auch politisch und moralisch. Und daher ist es auch die Beziehung von Filmen und Zuschauerinnen und Zuschauern. In jede politische Beziehung kann man, muss man eingreifen. Jeder Eingriff ist selbst wiederum politisch und also verdächtig. Es gibt Kritik, als Rede und Widerrede zu einem Film, und es gibt Zensur – Verbote und Anweisungen. Aber es gibt auch Formen dazwischen, Kritik, die sich wie Zensur ausnimmt etwa, oder Zensur als allgemeine Diskursform. Selten sind die Episoden der Filmgeschichte, in denen es gänzlich ohne Zensur herging, noch seltener jene, in denen ein Geist von Freiheit auch die moralischen Bedenken der Mainstreamkultur überwand. Freilich verdanken wir der einen oder anderen Form von Zensur auch eine raffinierte Symbolsprache des Kinos, und es ist eine milde Form der Zensur, wie etwa die Altersfreigabe, die das Kino zu einem so kultivierten Ort macht, dass man frei und allgemein darüber sprechen kann, was dort geschieht.

Nicht nur die Filme, sondern auch ihre Kritik werden zu Dokumenten der Kulturgeschichte, und nicht nur Filme, sondern auch die Formen der Zensur geben eine gesellschaftliche Gestimmtheit wieder. Die MPAA (Motion Pictures Association of America) zum Beispiel sorgte und sorgt mit ihren Empfehlungen immer wieder für Verblüffung im alten Europa. Mit den »Ratings« greift eine Instanz, deren Mitglieder anonym blieben, und deren Handwerkszeug vorzüglich aus Listen – mit »Unworten« etwa oder Längenangaben für die Einstellungen bei Sexszenen – besteht, durchaus drastisch in die politische Ökonomie der Filmproduktion ein. Ratings werden im Einzelfall willkürlich vergeben, reagieren aber auf Signale aus den mehrheitsfähigen Elementen der öffentlichen Filmdiskurse und die Stimmen der Star-Kritiker. Das heißt: Kritik und Zensur haben eine Beziehung zu einander.

»Ghost in the Shell« (2017). © Paramount Pictures

Kritik, gerade wenn sie eine politische und moralische Haltung wiedergibt, muss sich dieses Umstands bewusst sein. Mein erster Vorschlag, bevor man die Sache auf ein simples »Political Correctness im Film – ja oder nein?« verkürzt: ein Horkheimersches Mitdenken des Zweifels an allen Überlegungen. Jede Kritik muss sich darüber im Klaren sein, dass sie als Teil einer kommunikativen Struktur auch wieder Instrument von informeller oder gar formaler Zensur wird. Daher sollte jede Kritik auch die Möglichkeit enthalten, die Sache ganz anders zu sehen.

Kompliziert wird das Problem in Bezug auf eine Political Correctness, die wir als liberalen Mindeststandard semantischer Achtsamkeit empfinden können, und die nicht zufällig vor allem von rechts attackiert wird. Gelegentlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Political Correctness käme in den öffentlichen Diskussionen überhaupt nur negativ vor und diene vor allem als Erlaubnis zu rassistischer, sexistischer und anderer Hass-Sprache. Noch komplizierter wird es, wenn man das Prinzip von einer linearen Sprache auf die polyphone Sprache des Films überträgt. Dann Reizwörter zu zählen oder eine Rollenbesetzung zu kritisieren, entspräche eher dem Geist der Zensur als dem Geist der Kritik. Als wäre Lucy Liu als Dr. Watson in der Serie »Elementary« eine korrekte, Scarlett Johansson in »Ghost in the Shell« eine unkorrekte Besetzung. Umgekehrt aber bedeutet das Misstrauen gegenüber dem Umschlag in Zensur keineswegs ein politisch-moralisches Laissez-faire. Es kommt vielmehr darauf an, den Einspruch aus Kontexten und Historien zu entwickeln. Leichter gesagt als getan.

These II

Jedes Verbot ist zugleich eine Verführung. Die »Advisory«-Hinweise auf Pop-CDs zum Beispiel wurden stets als Authentifizierung für richtig gute Musik gesehen, als Werbehinweise für die Kundengruppe, die gerade geschützt werden soll. Ähnlich hat es sich gewiss in der kulturellen Biografie jeder Cineastin und jedes Cineasten abgespielt: Zu den großartigsten Kinoerlebnissen gehören die Filme, vor denen irgendeine Autorität dringend gewarnt hat. Wahrscheinlich waren es die »schmutzigen« Filme, die uns am meisten beim Sehenlernen und eben auch der Urteilsfindung geholfen haben.

Natürlich verhält es sich mit dem »politisch Unkorrekten« genauso wie mit anderen Formen der kulturellen Patronage. Mittlerweile gibt es ganze Filmgenres (wie die transgressive Komödie) und Fernsehserien (wie, sagen wir, »Family Guy«), die damit werben, dass sie grandios politisch unkorrekt, zugleich aber demokratisch sind, weil sie nach allen Seiten austeilen und erst einen Witz über Schwule machen, dann einen über Homophobe. Am liebsten machen sie natürlich Witze über die Political Correctness selbst, die konsequent angewendet in eine Endlosspirale der Kommunikationsvernichtung führt. Die gute Lisa unternimmt in einer »Simpsons«-Folge, die direkt auf den Vorwurf des Verstoßes gegen Political Correctness – in der Figur des indischstämmigen Ladenbesitzers Apu – reagiert, den Versuch, ein Lieblingsbuch aus den Kindertagen ihrer Mutter von allen entsprechenden Begriffen zu säubern. Am Ende hat sie einen Text, der vollkommen sinnlos ist.

So wie der Parental-Advisory-Sticker das Wesen der Popmusik verfehlt, so verfehlt die Reduktion der Filmkritik auf die Political Correctness das Wesen des Films. Die Kritik an der Haltung eines Films geht tiefer als an die Dialoge und die Ikonographien. Wir hatten die Debatten schon früher. Ist John Fords »The Searchers« ein rassistischer Film oder ein Film über einen Rassisten? Sind die großen Filme von Claude Chabrol zynische Filme oder Filme über eine zynische Klasse? Gibt es »politisch korrekten Humor«, oder ist nicht Humor selbst eine Reaktion darauf, dass die Welt nicht korrekt ist?

Überhaupt: die Behandlung des Filmerbes. Sollte man »Gone with the Wind« von seinen politischen und rassistischen Implikationen »säubern«? Nein! Sollte eine kritische Filmgeschichte sie aufzeigen und kontextualisieren? Ja! Der schwarze Schauspieler Woody Strode hat in »Sergeant Rutledge« seinen Glory-Hallelujah-Ritt, aber was sagen American Natives zu dem Film? Und was Pazifisten? Es ist mit Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten zu leben. Fein heraus sind nur Filme, in denen es das gar nicht gibt: die Guten und die Bösen. Wie aber, zum Beispiel, verhält es sich mit den unvermeidlichen meistens gut gemeinten Culture-Clash-Komödien? Sind sie »weiter« als das Multi-Role Playing der Superheldenfilme? Oft schafft ein Gutmeinen das semantische Problem erst, vor dem es uns bewahren will.

Political Correctness ist selbst schon wieder ein Filmthema, nicht allein in Satiren und Klamotten. In der Doku »Has Political Correctness Gone Mad?« (2017) stellt Trevor Phillips die These auf, dass der Correctness-Wahn der Liberalen, die Suche nach safe spaces in einer überachtsamen Sprache, schuld an der militanten Gegenbewegung der Rechten sei und den Boden bereite für die Populisten, die Trumps und Le Pens, den Brexit und die Leugnung des Klimawandels. PC will eat itself.

These III

Damit ist der Fall aber nicht erledigt. Denn das Konzept einer Political Correctness als Recht der Minderheiten, vom Mainstream nicht abwertend beschrieben zu werden, ist, von seinen Fetischismen und gelegentlichen Absurditäten befreit, durchaus hilfreich für eine demokratische Zivilgesellschaft, die auch in ihren Mikrostrukturen Freiheit und Gerechtigkeit balancieren will. Allerdings: PC ist ein Bezugspunkt, kein Mittel der Kritik.

Ähnlich verhält es sich mit dem Konzept, das aus den USA zu uns kommt: das sensitivity reading von Manuskripten. Vor der Veröffentlichung wird ein Text von einem qualifizierten Leser, dem sensitivity reader, daraufhin durchgesehen, ob er für ethnische, sexuelle oder andere Minderheiten kränkende Passagen enthält. Es kommt nämlich keineswegs allein darauf an, wie etwas gemeint ist, sondern auch darauf, wie es empfunden wird. Das ist der entscheidende, politisch ungemein bedeutende Aspekt von Political Correctness: dass der Mainstream oder die hegemoniale Kultur nicht mehr für sich ausmachen können, was im Sinne von Mel Brooks anständig ist. In der #metoo-Kampagne geht es eben auch darum, die Definitionsmacht von der Täter- auf die Opferseite zu übertragen. Daher bedeutet sensitivity reading nicht unbedingt eine softe Form von Zensur, sondern, richtig angewandt, ein partnerschaftliches Vorgehen. Vermutlich ist das Letzte, was wir unbedingt brauchen, eine weitere Instanz, die an Filmdrehbüchern herumdoktert. Allerdings könnte ich mir durchaus vorstellen, dass man einen Extragang des sensitivity reading einlegt, und sei es nur, um Missverständnisse für die Zukunft zu vermeiden. Ein sensitivity reading und eine moralische Haltung aber, das ist das Entscheidende, ist eine Frage der Künstlerinnen und der Künstler, nicht der Apparate, der Gremien und der Anstalten.

These IV

Es ist seit André Bazin sicherlich für die Filmkritik wichtig, stets auch von einer moralischen Haltung auszugehen. Und dass Kino eine Propagandamaschine sein kann, ist unbezweifelt. Doch darf Filmkritik nicht zur Reduktion führen. Der österreichische Philosoph Robert Pfaller hat mit seinem Buch »Erwachsenensprache – Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur« einen anderen Diskurs eröffnet: Lenkt uns die Political Correctness etwa von den Problemen unserer Zeit ab? Tatsächlich ist eine PC-»Überwachung« insofern früheren Formen der Zensur verwandt, als sie dem Zuschauer und der Zuschauerin die eigene Entscheidung abspricht. Ein Film wie »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer« kann gar nicht anders, als eine Geschichte rassistischer Klischees mitzuerzählen. Aber das steckt in ihm und in seinem Hintergrund, kaum an der semantischen Oberfläche, die allein sich der PC-Kontrolle unterziehen muss. Dabei spricht man dann weniger über den Film als über eine Projektion der Zuschauer. Man bringt den Film selbst zum Verschwinden. Und vor allem ein »erwachsenes« Gespräch über ihn. Davon, dass man dem Blick der Kinder nicht traut, ganz zu schweigen.

»Jim Knopf & Lukas der Lokomotivführer« (2018). © Warner Bros. Pictures

Filme und ihre Kritik sind der Wahrheit verpflichtet. Die Wahrheit ist nie einfach. Es ist unmöglich, etwas zu zeigen, wenn man zugleich bei allem bedenkt, was es bedeutet. Filme müssen das Recht haben, direkt in ein Milieu oder in eine Haltung einzudringen, ohne Furcht, etwas Falsches zu zeigen oder sagen zu lassen. Oder, wie Moritz Bleibtreu gesagt hat: »Ich arbeite nicht im Auftrag der Politik, sondern im Auftrag der Fantasie. Die ist auch politisch, das ist mir klar, aber sie würde es sich nie auf die Fahnen schreiben.« Die Freiheit der Kunst beinhaltet weder eine Freiheit von Kritik, noch eine Freiheit von Gegenentwürfen. Aber sie muss die Freiheit beinhalten, der Fantasie den Vorrang vor der Politik zu geben. Schön wäre es, wenn man nicht die Bilder verändern wollte, sondern den Blick auf sie.

These V

Was in diesen Diskurs ebenfalls hineinspielt, ist das Prinzip der kulturellen Aneignung, der Appropriation. Sich die kulturellen Merkmale von unterdrückten Minderheiten anzueignen und sie ihrer originären Bedeutung zu berauben, ist eine Konstante der postkolonialen Kultur und ein Merkmal von hegemonialen Traumfabriken. Das bekannteste Beispiel ist die ständige Aneignung von schwarzer Musik durch die weiße Kulturindustrie, aber natürlich ist auch ein Italowestern ein Akt der kulturellen Aneignung, wenngleich hier der Kleine den Großen attackiert. Kulturelle Aneignung ist ein wesentlicher Bestandteil des Bildertauschs, und sehr häufig entsteht gerade durch die Aneignung in Verbindung mit eigenen Traditionen etwas Neues. Auch die Aneignung ist also nicht von sich aus schlecht, sondern erst, wenn sie politisch hegemonial oder ökonomisch ausbeuterisch ist: Eine Kultur produziert, die andere kassiert. Im Konzept der Political Correctness ist es indes sehr schwer, wenn nicht unmöglich, zwischen der – negativen – kulturellen Aneignung und der – positiven – Kreolisierung verlässlich zu unterscheiden. Eine Kultur kann man nicht danach befragen, ob sie etwas von sich hergeben oder es für sich behalten will. So erhob sich jüngst eine Internetdebatte, weil eine US-amerikanische Schülerin auf ihrem Abschlussball in einem traditionellen chinesischen Kleid erschienen war. Durfte sie das? Das Problem war vielleicht weniger dieser Akt einer kulturellen Aneignung selbst als ihr Kommentar: »It's just a dress«. Nicht der Akt der Aneignung, sondern der Akt der kulturellen Entleerung verstößt gegen Regeln des Kulturtausches. Das ist leicht auf Filme zu übertragen. Kulturelle Aneignung ist nicht nur erlaubt, sondern notwendig, doch es kommt dabei auf ökonomische und kulturelle Gerechtigkeit und auf Respekt an.

These VI

Aneignung ist das eine, Projektion das andere. Im populären Film ist das vor allem eine Frage der Konstruktion von Helden und Schurken. Ein bloßes Umschreiben von Heldenrollen funktioniert nicht. Aus den »Ghost Busters« Frauen zu machen, zeugte hauptsächlich davon, dass der Witz der ursprünglichen Geschichten nicht verstanden werden konnte. Umgekehrt kann ein »Ocean's«-Film mit weiblicher Besetzung eine gute Idee sein, weil es eine ganz eigene Geschichte zu erzählen gibt. Weibliche (Super-)Helden sind okay, wenn sie wie »Wonder Woman« ihre eigene Geschichte haben, einen weiblichen James Bond aber braucht man so dringend wie eine männliche Version von »Buffy the Vampire Slayer«. »Black Panther« ist ein grandioses Stück Afrofuturismus; in einem schwarzen James Bond aber müssten wohl denunziatorische Aspekte aufscheinen, denn Bond ist immer auch eine parodistische Subversion des great white male gewesen.

»Black Panther« (2018). © Walt Disney

Hollywood ist nicht politisch korrekt, Hollywood ist marktorientiert. Wenn der Markt nicht mehr von weißen heterosexuellen angelsächsischen Männern dominiert wird, dann ändern sich auch die Inhalte. Die Frage ist nur, tun sie es allein auf der Besetzungsoberfläche (ein chauvinistischer Held ist ein chauvinistischer Held, egal welche Hautfarbe und welches Geschlecht er oder sie hat), oder tun sie es in einer emanzipatorischen Form, also im Hinblick auf eine je eigene Geschichte. Disney will mit den neuen »Star Wars«-Filmen nicht die Welt besser machen, Disney will Actionfiguren auch an Mädchen und an dunkelhäutige Kids verkaufen. Auf der anderen Seite geht der Wandel in den Disney-Filmen tief genug, um wirkliche Veränderungen der Heldenrollen zu gewähren. Nur mit PC hat das alles eher wenig zu tun, it's the economy, stupid.

»Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht« (2015). © Walt Disney

Und in der wird langsam aber sicher die absolute Dominanz der amerikanisch-europäischen Bilderfabriken aufgelöst. In einer dezentralisierten und »fluiden« Traumfabrikation aber werden die Parameter dessen, was gezeigt wird und was nicht, neu verteilt. Auf der einen Seite entstehen neue Offenheiten, auf der anderen neue Restriktionen. Es gibt eine Reihe von Ländern (oder eben: Märkten), in denen Filme, die nach unseren Begriffen pc sind, nicht gezeigt werden können oder auf kulturelles Unverständnis träfen. So ergibt sich die Frage, ob einer ethnischen Minderheit auf Kosten einer sexuellen oder dieser auf Kosten einer religiösen Minderheit Gerechtigkeit widerfahren kann. In den USA etwa wird seit geraumer Zeit diskutiert, dass eine Mitte des Kinos verloren geht und damit die Möglichkeit, soziale Konflikte in allgemein zugänglichen Codes zu verhandeln; Filme mit mittlerem Budget, mittlerem Anspruch und mittlerem Streitpotential haben es immer schwerer zwischen cineastischem Underground (anti-korrekt) und Blockbuster-Kino (marktförmig korrekt). Das ist unter anderem auch eine Folge der shrinking middle class – eine ganze Schicht von potentiellen Kinogängern verschwindet. PC ist da wie ein Hilferuf ins Leere. Denn die cineastische Wirklichkeit spielt sich woanders ab. Bedeutender als eine permanente Nachjustierung nach PC-Prinzipien wäre ein gemeinsames Ziel der cineastischen Weltkultur: die Freiheit.

These VII

Über das PC-Konzept wird gespottet und geschimpft, man beschreibt die bizarren Blasen, die es an US-amerikanischen Universitäten schlägt, und man macht es für die Infantilisierung unserer Diskussionen verantwortlich. Andererseits lässt sich nicht sagen, dass PC eine Schimäre ist. Es macht das Ängstliche noch ängstlicher, es löst die fürsorgliche Zensur ab, um eine trügerische Sicherheit zu vermitteln. In »Peter Rabbit« kommt eine Allergie gegen Blaubeeren vor. Da dies verharmlosend wirken könne, wandten sich Interessenverbände wie die Kids with Food Allergies Foundation an Sony Pictures und verlangten eine Änderung und Entschuldigung. Eine Frida-Kahlo-Puppe von Mattel hat angeblich eine zu helle Hautfarbe. Bibliotheken werden auf der Suche nach diskriminierenden Stellen durchforstet. Der australische Regisseur Mike Retter beklagt, dass die Filme seines Landes die Standards der weißen Mittelklasse aus den Universitäten widerspiegeln und den Rest der Gesellschaft ignorieren. Dabei geht es gar nicht mehr darum, den Geschmack außerhalb dieser Kreise zu entsprechen, es geht um die Darstellung der Realität selbst. Die Wirklichkeit ist alles andere als pc. Die Wirklichkeit ist faszinierend widersprüchlich.

Was an politisch korrekten Filmen auszusetzen ist, ist daher vor allem, dass sie lügen. Deutsche Culture-Clash-Komödien schwurbeln sich ein mittelständisches Toleranzparadies zusammen. Aus dem nihilistischen Road Movie »Vanishing Point« von 1971 wird im Remake die Heldenreise eines Mannes zu seiner schwangeren Frau ins Krankenhaus, und im neuen »Entebbe«-Film wird aus dem deutschen Terroristen ein im Grunde herzensguter junger Mann. Auf den Markt-Hund gekommen ist PC nichts anderes als die Berechtigung, dem Publikum politische und moralische Konflikte vorzuenthalten – es geht um cineastische Feelgood-Zonen.

»7 Tage Entebbe« (2018). © eOne

Eine andere Entwicklung ist da schon interessanter: Netflix und andere Serienproduzenten scheren sich weniger um das politisch Korrekte und erreichen auf diese Weise ein Erregungspotential, das offensichtlich im globalen Kino gerade vermieden werden soll. Es entsteht also nicht nur eine explizit »unkorrekte« und eine rechte Gegenbewegung gegen die Korrektheit der Traumfabriken, sondern auch ein Gegenmedium.
Die Rechtspopulisten sehen in der Political Correctness gern einen Beleg für die liberale und linke ­Dominanz in den Medien der Fiktion und Information. Wie aber, wenn es sich genau andersherum verhielte? Wenn PC das Krisensymptom einer Kultur wäre, die sich so schwach fühlt, dass sie sich nicht einmal mehr selbst traut? Vielleicht tun wir gut daran, uns von dem Begriff zu verabschieden, in Würde und mit dem Respekt gegenüber einem Impuls, der einen großen Gedanken beinhaltete: Die Zeichen, Namen und Bilder gehören nicht allein den Mächtigen und Reichen und den Mehrheiten. Die Minderheiten haben das Recht, in ihre Narrative und Ikonographien einzugreifen. Ein Film, der diskriminiert, darf und muss fundamentale Kritik erfahren, und ein sensitivity reading von ­Texten und Bildern bedeutet keine Zensur. Vielleicht aber wird nach Political Correctness auch dort verlangt, wo die Kritik versagt.

Meinung zum Thema

Kommentare

Neger ist kein Schimpfwort, und ob ich "Neger" oder "Schwarzer" sage, ist egal, denn "negro" = "schwarz". Wer entscheidet eigentlich, was ein Schimpfwort ist? Irgendwelche Außenstehenden? Es geht auch anders. Wir Schwulen und Domenica ("Hure") haben es vorgemacht und sich die Deutungshoheit über die Bezeichnungen zurückerobert. Selbstbestimmt statt fremdbestimmt.

Hallo Herr Dover, vielen Dank für ein selten vernünftiges Wort! Ich befürchte, dass die mittlerweile völlig überdrehte Realitätsferne der mediendominierenden PC ihrer eigenen – ursprünglich positiven – Sache einen Bärendienst erweist.

Nicht "irgendwelche Außenstehenden" entscheiden, was "ein Schimpfwort" ist, sondern diejenigen, die damit bezeichnet werden. Und sie möchten nicht so bezeichnet werden - es ist nicht ihre Aufgabe, Wörter zurückzuerobern. Der Rest der Welt könnte es auch einfach lassen, sie so zu nennen, wie sie nicht genannt werden wollen.

Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, da kamen Zensurwünsche und -forderungen ausnahmslos von konservativer Seite. Zensiert wurde Nacktheit und Gewalt. Heute scheint sich darum nie mehr zu kümmern. Warum? Ist die konservative Seite tolerant geworden? Oder ist sie nur gleichgültiger als früher?

Auf dem US-Sender Fox laufen ungehindert progressive Serien wie "Simpsons" oder "Family Guy". Dagegen wurde die Serie "Last Man Standing" von ABC abgesetzt, nachdem sich der Hauptdarsteller zu negativ über "Liberale" geäußert hatte. Man hat das Gefühl, das konservative Lager sei toleranter als das "liberale".

Während von liberaler Seite permanent mehr Diversität gefordert wird, steht dem ja gar keine Forderung der Konservativen nach mehr Rückständigkeit entgegen. Und wenn es eine solche Forderung gibt, wird sie nicht mit dem gleichen Nachdruck verfolgt. Kein noch so konservativer Kritiker würde es wagen, einen Film zu verreißen, weil darin zu viele Frauen oder schwarze Männer vorkommen. Aber die liberale Seite könnte umgekehrt problemlos ein zu viel an "weißen Männern" beklagen und damit sogar eine komplette Filmkritik begründen.

Während die Liberalen bestimmte Wörter sogar aus Literaturklassikern verbannen wollen, steht dem ja gar nicht die Forderung der Konservativen gegenüber, diese Worte in Gegenwartsbücher einzubauen. Während ein nackter Busen nun von konservativer Seite gleichgültig betrachtet wird, sieht die links-liberale Seite darin reinen Sexismus, den es zu unterbinden gilt.

Kann es sein, dass der Neo-Liberalismus unter den Liberalen zu einer Art kognitiven Dissonanz geführt hat, die nun über abstruse Zensurforderungen ihre Bahn schlägt, während die Konservativen einfach merken, dass sie gar nichts tun müssen, damit die Welt sich nach ihren Vorstellungen verändert? Ich bin einfach nur verwirrt. Die Welt über die Zensur von Kunst (und inzwischen auch durch die Zensur der Künstler) nach den eigenen Vorstellungen zu formen, das war für mich immer eine konservative Herangehensweise.

"Während von liberaler Seite permanent mehr Diversität gefordert wird, steht dem ja gar keine Forderung der Konservativen nach mehr Rückständigkeit entgegen."

Was genau sonst passiert denn gerade zurzeit in Deutschland und Resteuropa mit dem Rechtsruck der Gesellschaft? Das ist doch ganz klar eine Forderung nach weniger Diversität.

"Kein noch so konservativer Kritiker würde es wagen, einen Film zu verreißen, weil darin zu viele Frauen oder schwarze Männer vorkommen."

Genau das passiert zurzeit zum Beispiel in der Fanszene etwa der Star-Wars-Filme. Die Filmemacher werden heftig kritisiert dafür, dass die Protagonisten der Filme keine weißen Männer, sondern Frauen und nichtweiße Personen sind.

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