Nahaufnahme von Vicky Krieps

Lässig und keck
Vicky Krieps in »Outside the Box« (2015)

Vicky Krieps in »Outside the Box« (2015). © Wild Bunch

Im neuen Film von Paul Thomas Anderson, »Der seidene Faden«, kommt sie endlich ganz groß raus – und stiehlt fast dem Großmeister Daniel Day-Lewis die Schau: die Luxemburgerin Vicky Krieps

In Paul Thomas Andersons Der seidene Faden spielt Vicky Krieps die leidgeprüfte Muse eines fiktiven Upperclass-Modeschöpfers der 50er Jahre. Sie heißt Alma und hat einen schweren Stand. Denn eigentlich benötigt der Maestro (Daniel Day-Lewis) zur Präsentation seiner neuen Entwürfe nur einen humanoiden Kleiderständer mit speziellen Idealmaßen. Als eigenständiges Wesen mit Gefühlen und Ansprüchen möge Alma sich bitteschön diskret im Hintergrund halten. Es reicht nämlich schon, wenn Madame am Frühstückstisch ihren Toast eine Spur zu geräuschvoll schmiert. Dann gerät das mit zwanghaften Ritualen gestützte innere Gleichgewicht des Workaholics so sehr aus dem Lot, dass der hypersensible Maßschneider einen hysterischen Anfall erleidet. Mit List und Tücke gelingt es Alma jedoch, ­irgendwann ein wirklicher Teil seines Lebens zu werden, ohne sich allzu sehr zu verbiegen.

Diesen mühevollen Durchbruch zur verdienten Beachtung könnte man als Metapher für Vicky Krieps' gesamte Laufbahn betrachten. Wer ist eigentlich diese Frau mit ihrer schwer definierbaren Mischung aus Grazie und Schlichtheit, Schönheit und bäuerlicher Bodenständigkeit?

»Der seidene Faden« (2017). © Universal Pictures

Man vermag sich kaum vorzustellen, dass die in »Der seidene Faden« so frisch und unverbraucht aufspielende 33-jährige Luxemburgerin bereits in einem Dutzend Kinoproduktionen und noch einmal so vielen Fernsehfilmen vor der Kamera stand. Ihr eigentliches Talent wurde dabei eher selten entdeckt. Nur hin und wieder konnte sie zeigen, was in ihr steckt. So verwundert es nicht, dass sie vergleichsweise lange brauchte, um in Paul Thomas Andersons morbide-faszinierendem Ausstattungsfilm ein Ausrufezeichen zu setzen.

Bislang bewegte Vicky Krieps sich unter dem Radar der meisten Regisseure, vor allem der deutschen. Warum gab es für sie kaum bedeutende Rollen? Sie sieht etwas anders aus als jene überfemininen Girlies, die in einem der vielen Berlinfilme Sex auf der Toilette der Techno-Disko haben. Ein Kritiker schrieb einmal, ihr Profil könnte einem Modekatalog der 30er Jahre entsprungen sein. Das mag wohl ein Grund dafür sein, dass Filmemacher sie gerne in Kostüme stecken. Sie trat in Roland Emmerichs Shakespeare-Experiment »Anonymus« auf und war in Niki Steins TV-Movie »Rommel« zu sehen. Außerdem spielte sie die Gattin des Mathematikers Gauß in Detlev Bucks Kehlmann-Adaption »Die Vermessung der Welt«. In solchen leider nicht immer inspirierten Produktionen hat Krieps eine wiederkehrende »Mission Impossible«. Einerseits verkörpert sie eine historische Figur. Gleichzeitig muss sie, mit meist nur wenigen Dialogzeilen, eine starke, geistreiche und gewissermaßen moderne Figur spielen, eine Frau, die gefühlt von heute ist. In »Der junge Karl Marx« beispielsweise bekommt sie einmal die Gelegenheit, die Genialität ihres Mannes zum Ausdruck zu bringen. Sie soll Marxens Kritik an dem Anarchisten Proudhon paraphrasieren, der behauptet hat »Eigentum ist Diebstahl«. »Was Karl sagen will«, so Vicky Krieps als Ehefrau Marx, »ist, dass Ihre Formulierung ein Bild ist. Ein schönes Bild. Was besagt die Redewendung? Es ist ein Bild, das sich in den Schwanz beißt«.

»Der junge Karl Marx« (2016). © Neue Visionen Filmverleih

Dabei trat die polyglotte Luxemburgerin nach ersten Bühnenerfahrungen am Schauspielhaus Zürich schon früh in ihrer Karriere in internationalen Kinoproduktionen auf. Nur zwei Jahre nach ihrem Langfilmdebüt 2009, dem Aids-Drama »House of Boys« von Jean-Claude Schlim, in dem sie nur einmal kurz als Blumenmädchen zu sehen ist, spielte Vicky Krieps an der Seite von Cate Blanchett und Eric Bana in Joe Wrights skurrilem Survival-Thriller »Wer ist Hanna?« Allerdings ist ihre Minirolle hier ähnlich undankbar wie die in Anton Corbijns Agentenfilm »A Most Wanted Man« von 2014. Da sitzt sie als Assistentin eines Agenten meist nur am Monitor und muss Philip Seymour Hoffman Stichworte zurufen: »Günther, wir haben Karpow gefunden«.

Darüber hinaus hatte Krieps zuweilen auch das Pech, im falschen Film aufzutreten. 2011 realisierte Andres Veiel, einer der wichtigsten deutschen Dokumentarfilmer, mit »Wer wenn nicht wir« seinen ersten Spielfilm. In dieser Rekonstruktion der RAF-Vorgeschichte ist Krieps kurz als Gudrun Ensslins Freundin zu sehen. Beide Frauen gehen einmal mit Bernward Vesper (August Diehl), dem Lebenspartner der späteren Terroristin, ins Bett. Diese Szene wirkt leider so hölzern wie häufig im deutschen Film. Vicky Krieps schaut man trotzdem gerne zu. Im Gegensatz zu den üblichen Fernsehverdächtigen gibt es bei ihr kein Chargieren.

»Was hat uns bloß so ruiniert?« (2016). © Movienet Film

Ihr erstes Karriere-Highlight hat Krieps im Lars-Kraume-Tatort »Eine bessere Welt« aus dem Jahr 2011. Dieses Glanzstück, in dem Joachim Król und Nina Kunzendorf sich auf unwiderstehliche Art angiften, gehört zu den besten Ausgaben der gesamten Tatort-Reihe. Vicky Krieps bleibt in Erinnerung als labile Postbotin. Sie wird von einem gruseligen Psychopathen gestalked, der die Katzenklappe dazu benutzt, um in ihre Wohnung auf dem Frankfurter Riedberg einzudringen. In einer der besten Momente, als die von einem Irren verfolgte und von ihrem Freund verlassene Frau verzweifelt herumtelefoniert, um irgendwo bei Bekannten unterzukommen, sitzt sie mutterseelenallein in der hässlichen B-Ebene der Frankfurter Hauptwache. Diese Verlorenheit nimmt man ihr ab.

Eine ganz andere Facette zeigt Krieps in Matti Geschonnecks Kammerspiel »Das Zeugenhaus«. Sie spielt eine junge Französin, die gemeinsam mit anderen Überlebenden des Holocaust darauf wartet, bei den Nürnberger Prozessen gegen KZ-Aufseher auszusagen. Als der Teenager-Sohn ihrer Gastgeberin im Radio etwas von Konzentrationslagern hört, tut er dies als Propaganda ab. Krieps' KZ-Überlebende sieht den Verblendeten einfach nur an. In diesem, dem beeindruckendsten Moment des Films, erzählt ihr Gesicht eine ganze Geschichte. Ohne Worte.

»Das Zimmermädchen Lynn« (2014). © Movienet

Dank solch konzentrierter Darstellungen erhielt Vicky Krieps bald auch Hauptrollen. An ihren Auftritt als Staatsanwältin in dem französisch-deutschen Katastrophenfilm »Tag der Wahrheit«, einem blassen TV-Thriller, werden sich aber nur die wenigsten erinnern. Einen Namen machte sie sich aber in der Titelrolle von Ingo Haebs »Das Zimmermädchen Lynn«. Mit dieser wundervollen Adaption einer eher mittelmäßigen Romanvorlage gelang Haeb ein kleiner Geniestreich – vor allem dank Vicky Krieps. Als Zimmermädchen schrubbt und reinigt sie mit kaum zu übertreffender Perfektion. Außerdem versteckt sie sich unter dem Bett, um so heimlich Anteil am Leben der Hotelgäste zu nehmen. Eine erfrischend andere Frauenfigur mit Ecken, Kanten und einem Rest von Geheimnis. In diesem Film scheint Krieps gar nicht zum »Schauspielen« im konventionellen Sinn zu kommen. Sie muss permanent putzen – so sehr verwandelt sie sich dieser gebrochenen Frauenfigur an. Das erlebt man im Kino nicht oft.

Selbst wenn spätere Filme wie »Outside the Box« von Philip Koch, eine Satire über Überlebenstraining in freier Wildbahn, oder Marie Kreutzers »Was hat uns bloß so ruiniert?«, eine österreichische Komödie über junge Elternpaare, die nicht spießig werden wollen, kaum überzeugten: Auf die in Berlin lebende Darstellerin, die mit ihrem Kollegen Jonas Laux eine Tochter und einen Sohn hat, freut man sich trotzdem. Sie hat in ihrem reduzierten Spiel eine lässige Natürlichkeit und eine angenehme Unaufgeregtheit. So kann sie im Alltagsgeschehen unerwartet das Besondere aufblitzen lassen.

»Der seidene Faden« startet am 1. Februar

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt