Nahaufnahme von Shailene Woodley

Shailene Woodley zusammen mit Theo James in »Die Bestimmung – Divergent« (2014)

Shailene Woodley zusammen mit Theo James in »Die Bestimmung – Divergent« (2014)

Mit der richtigen Mischung aus Blockbusterware und Independent-Filmen hat Shailene Woodley sich als eine der vielversprechendsten jungen Schauspielerinnen Hollywoods etabliert. Diesen Monat spielt sie eine Hauptrolle in Oliver Stones »Snowden«

Wenn es ein filmisches Bild gibt, das Shailene Woodleys Leinwandpersona zusammenfasst, dann die vielgerühmte Poolszene in »The Descendants«. Als George Clooneys rebellische Tochter Alexandra erfährt sie da, im Pool schwimmend, vom dramatisch verschlechterten Zustand ihrer im Koma liegenden Mutter. Alexandra gibt sich ungerührt. Sie giftet ihren Vater kurz an und taucht mit dem Kopf unter Wasser – wo sie abseits seines Blicks aufschreit und haltlos zu weinen beginnt. Dieser stumme Schrei in einem Meer aus Tränen, von Woodley beim Dreh improvisiert, wurde zum ikonographischen Bild des Films, erwähnt in jeder Kritik. Die Leute gingen wegen George Clooney ins Kino und sprachen hinterher über Shailene Woodley.

»The Descendants« (2011). © 20th Century Fox

Sich als 19-jährige Kinodebütantin gegen Mannsbilder wie Clooney und Robert Forster (als ruppiger Großvater) zu behaupten, zeugt von einer besonderen Form schauspielerischer Präsenz. Zugleich charakterisiert Alexandras Mischung aus Stolz und Verletzlichkeit auch die vier Kinorollen, die Woodley seitdem gespielt hat: von der scheuen Schülerin in dem wundervollen Coming-of-Age-Drama »The Spectacular Now: Perfekt ist jetzt« über die krebskranke Teenagerin in »Das Schicksal ist ein mieser Verräter« und die orientierungslose Tochter einer spurlos verschwundenen Mutter in »Wie ein weißer Vogel im Schneesturm« bis zu der widerwilligen Rebellin »Tris« in der  »Divergent«-Reihe. Woodleys Figuren zeichnen sich durch ein genau beobachtendes Abwägen und eine bisweilen irritierende Zurückhaltung aus. Dazu passt, dass sie trotz der Kritikerhymnen und einer Golden-Globe-Nominierung für »The Descendants«  nicht sofort zur Überfliegerin avancierte. Ähnlich ihren Filmfiguren scheint sie die Dinge auf sich zukommen zu lassen.

Shailene Woodley wurde 1991 geboren und wuchs im bürgerlichen Simi Valley bei Los Angeles auf. Ab ihrem zehnten Lebensjahr spielte sie kleinere Seriengastrollen. Ein erster Durchbruch kam 2008 mit der Hauptrolle in der Familienserie »The Secret Life of the American Teenager« über eine 15-jährige Schülerin, die ungewollt schwanger wird. Schon hier spielte sie ein Mädchen, das nicht so sehr zupackend agiert, sondern vielmehr vom Schicksal herausgefordert wird. Auch das ein Motiv, das sich durch Woodleys Filmografie zieht. In »The Spectacular Now« ist es die unerwartete Liebe zu einem großspurigen Hallodri und Alkoholiker, in »Das Schicksal ist ein mieser Verräter« eine tödliche Krankheit. Beide Male trägt Woodleys unverstellte Natürlichkeit entscheidend zum Funktionieren der kitschgefährdeten Geschichten bei. Wo andere in große melodramatische Gesten verfallen würden, vertraut sie auf Auslassungen und den Minimalismus ihrer nachdenklichen Aura.

»Ist Shailene Woodley die nächste Jennifer Lawrence?«, titelte der ›Hollywood Reporter‹ im Jahr 2014 zum Start von »Die Bestimmung – Divergent«. Auf den ersten Blick liegt der Vergleich nahe. Beide Schauspielerinnern wurden durch starke Auftritte in kleineren Filmen bekannt und ließen sich dann vom selben Studio für mehrteilige Sci-Fi-Jugendbuch-Adaptionen verpflichten: Die »Panem«- und die »Divergent«-Filme wurden von Lionsgate produziert. Damit enden die Parallelen auch schon, denn Woodley könnte von Lawrences uramerikanischer »Can do«-Mentalität kaum weiter entfernt sein. Was auch erklären dürfte, weshalb diese beim amerikanischen Publikum eine so viel größere Breitenwirkung erzielt. Wo bei Lawrence immer ein Hauch Vulgarität mitschwingt, wirkt Woodley mit ihren großen, leicht mandelförmigen Augen und den feinen, weichen Gesichtszügen eher elfenhaft und etwas elitär. In einer Fernsehshow auf die fast gleichaltrige Kollegin angesprochen, blaffte sie: »Als Frauen werden wir von klein auf dazu erzogen, uns miteinander zu vergleichen. Was soll das? Ich bewundere Jennifer Lawrence, aber ich werde ständig von jedem mit ihr verglichen – ist das so, weil wir beide kurze Haare und eine Vagina haben?«

Dennoch passt es, dass ausgerechnet Jennifer Lawrence sie ermutigte, die Rolle der »Tris« in »Divergent« anzunehmen – ­einer Teenagerin, die in einem faschistoid anmutenden Staatsgebilde als selbstlose »Altruistin« aufwächst. Auch privat pflegt die heute 24-Jährige ganz ohne Koketterie ein freigeistiges Hippie-Image. In sämtlichen Interviews kommt sie eher früher als später auf die Vorzüge von Second-Hand-Kleidung und gesunder Ernährung zu sprechen. Zwischen Dreharbeiten verschwindet sie für Rucksacktouren nach Asien, und ihr Apartment in Los Angeles hat sie schon vor Jahren aufgegeben; während Drehs mietet sie kurzfristig oder wohnt bei Freunden, etwa bei Brie Larson, die in »The Spectacular Now« mitwirkte und mit der sie eng befreundet ist, seit beide für »Raum« vorsprachen.

Noch scheint es trotz allem zu früh, um Shailene Woodleys weitere Karriere abzusehen. Aktuell dreht sie mit Nicole Kidman und Jean-Marc Vallée die Miniserie »Big Little Lies«, in der sie eine alleinerziehende Mutter spielt. In Oliver Stones »Snowden« verkörpert sie Lindsay Mills, die Freundin von Edward Snowden – auch dies wohl wieder eine Rolle, in der das Schicksal viel Verständnis und einige Opfer von ihr fordert. Das ist denn auch Woodleys größte Gefahr: Sie muss aufpassen, dass ihre Sanftheit mit zunehmender Wiederholung nicht auf einmal kalkuliert wirkt. Momentan kann davon aber noch keine Rede sein. »Du bis anders«, heißt es einmal in »Divergent« über sie, »die Angst lähmt dich nicht, sie weckt dich auf.« Das Bezaubernde an Shailene Woodley ist, dass sie genau dabei, ohne viel tun zu müssen, auch uns Zuschauer berührt.

»Snowden« startet am 22. September

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