Michael Fassbender: Der Mann geht unter die Haut

Michael Fassbender mit Kodi-Smit McPhee in »Slow West«

Michael Fassbender mit Kodi-Smit McPhee in »Slow West«

In weniger als zehn Jahren hat Michael Fassbender sich in die erste Liga  hinaufgespielt. Seine Spezialität sind beunruhigende, extreme, auch rätselhafte Charaktere, vom Sadisten über den Sexsüchtigen bis zum Superhelden.  In diesem Monat kommt er mit »Slow West« und »Frank« ins Kino. Anke Sterneborg über das Fassbender-Feeling und wie er sich selbst sieht

Nicht viel hätte gefehlt und Michael Fassbender hätte das Spielen aufgegeben. Denn eine ganze Weile sah es nicht so aus, als könne er mal davon leben: »Ich war nie in der Uni, das Einzige, was ich kannte, war die Catering-Industrie. Ich habe in den Restaurants meiner Eltern hinter der Bar gearbeitet, hätte also irgendwann eine Bar kaufen können...« So weit kam es glücklicherweise nicht, denn gerade noch rechtzeitig kreuzten sich seine Wege mit denen von Steve McQueen, einem mit dem Turner-Preis ausgezeichneten Künstler, der sich nach einer Reihe von Kurzfilmen gerade anschickte, sein Spielfilmdebüt zu inszenieren. Das erste Vorsprechen für Hunger, die Extremleidensgeschichte des irischen IRA-Kämpfers Bobby Sands, der sich 1981 mit einigen Mithäftlingen im Kampf um die Anerkennung als politische Gefangene im britischen Maze-Gefängnis zu Tode gehungert hatte, war nicht so gut gelaufen; nur der Casting-Agentin hatte Fassbender es zu verdanken, dass er noch eine zweite Chance bekam. Mit einem Teil des großen Dialogs im Zentrum des Films vermittelte er dann überzeugend den Eindruck, dass er jemand war, der für diese Rolle alles geben würde. Was unter anderem bedeutete, sich mit einer Diät von Ölsardinen und Nüssen um 32 Pfund auf 59 Kilo Körpergewicht herunterzuhungern. 

»Hunger« (2008)

Auf diese Weise entstand eine außergewöhnliche filmische Wahlverwandtschaft, mit der auch die Karriere von Michael Fassbender abheben konnte: »Er ist jemand, der dich über deine eigenen Fähigkeiten hinauswachsen lässt und an Orte bringt, die du allein nicht erreichen würdest!«, hat der leise Star über seinen Regisseur geschwärmt. Seit »Hunger« geht er mit ihm immer wieder aufs Neue an die physischen und seelischen Grenzen der Condition humaine, so wie in »Shame«, in dem Fassbender als Sexsüchtiger auf andere Weise erneut mit vollem Körpereinsatz spielt. Niemals wäre es für ihn infrage gekommen, in einem Film über Sex keine Haut zu zeigen. Und auf sein Faible für die dunklen Seiten der menschlichen Existenz angesprochen, sagt er ganz selbstverständlich: »Das sind Filme, die real sind, in denen es um reale Dinge geht. Es kann schon sein, dass sich die Zuschauer da verunsichert fühlen, doch für mich gilt: Es existiert, also lasst es uns erforschen!« 

Das gilt auch für den Mann, der sich in Andrea Arnolds »Fish Tank« an der sehr jungen Tochter seiner Freundin vergreift, auch ihn macht er in seinen Motiven und Regungen verständlich, ohne ihn zu verurteilen: »Ich mag Figuren mit Fehlern, weil wir alle sie haben. Menschen sind kompliziert, und wie wir uns anderen gegenüber verhalten, ist merkwürdig. Das auszuloten liebe ich. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, auch an Orte zu gehen, die unbequem sind, weil wir alle auch die hässlichen Seiten in uns tragen.« 

Mutig und rückhaltlos spielte er dann auch in »12 Years a Slave«, seiner vorerst letzten Zusammenarbeit mit McQueen, einen Plantagenbesitzer, der innerlich zerrissen ist zwischen den Überzeugungen seiner Klasse und der Liebe zu einer schwarzen Sklavin, die er genau aus diesem Grunde umso unerbittlicher quält. Statt nur die Bösartigkeit des Sklavenhalters auszustellen, machte er ihn, oszillierend zwischen Zorn und Sehnsucht, als getriebenen, zerrissenen Menschen fassbar. Dabei zeigte er vor allem, wie das System der Sklaverei die Menschlichkeit zersetzt und auch die Unterdrücker zeichnet. Nach zwei Hauptrollen, die bei den Oscarnominierungen unverständlicherweise übergangen wurden, bekam er dafür immerhin eine Nominierung für die beste Nebenrolle. 

Als Sohn eines deutschen Vaters und einer irischen Mutter ist Michael Fassbender 1977 in Heidelberg geboren und in Irland aufgewachsen, woraus sich womöglich genau jene widersprüchliche ­Mischung ergibt, die sein Spiel so interessant und vielschichtig macht: »Meine deutsche Seite will alles unter Kontrolle behalten«, sagt er, »während es die irische darauf anlegt, Chaos anzurichten.« Von seinem Vater habe er die typisch deutsche Arbeitsmentalität: »Man muss an allem arbeiten, sich bei allem anstrengen. Tiger Woods ist nicht nur Tiger Woods, weil er das Talent hat, sondern auch weil er Stunden und Stunden trainiert. Man muss die Arbeitsleistung erbringen, warum sollte das beim Spielen anders sein? Auch das ist langweilige Wiederholung, bis zu dem Moment, in dem die Dinge anfangen aufzubrechen, bis man neue Nuancen findet, all die kleinen, interessanten Details.«

»300« (2006)

Fassbenders erster Lebens­traum war die Musik. Beim Gitarrespielen in einer Heavy-Metal-Band merkte er dann schnell, dass er nicht besonders gut war, aber man könnte sich vorstellen, dass er auch ans Spielen eine musikalische Herangehensweise hat. Seine wahre Berufung entdeckte er, als ein ehemaliger Schüler Theater- und Schauspiel-Workshops an seiner Schule aufbaute. Es folgten ein eher kurzes Intermezzo an der Londoner Schauspielschule, eine harte Zeit mit kleinen Engagements am Theater und vor allem die ersten kleinen Rollen in Kino und Fernsehen, unter anderem in der Serie »Band of Brothers«. 2006 fiel er dann zum ersten Mal richtig auf, in Zack Snyders Graphic-Novel-Verfilmung »300«, wo er unter dem purpurroten Umhang jede Menge Muskeln spielen ließ. 

Generell liegt ihm das Körperliche in allen Extremen – von den schwellenden Muskeln des Spartanerkriegers Stelios bis zum ausgemergelten, mit Blessuren übersäten Körper von Bobby Sands: »Das Physische fällt mir leichter. Das ist der Klassiker an der Schauspielschule: Man kann reden und gehen, aber kann man zugleich gehen und reden? Meinen Körper zu trainieren, erscheint mir leichter, die mentalen Aspekte einer Rolle zu erfassen, ist dagegen sehr viel anstrengender. Mit einem langen Textstück wie in Hunger muss ich viele Stunden verbringen, um den Rhythmus zu finden.“  

»Haywire« (2011)

Auch wenn er sich mit seiner »Hunger«-Rolle neben Robert De Niros »Wie ein wilder Stier« und Christian Bales »Der Maschinist« in die Reihe der extremsten Kino-Körperverwandlungen einfügt, wirkt er sehr viel weniger getrieben und verbissen als seine Kollegen. Es scheint eher so, als würde er mit pragmatischer Selbstverständlichkeit das tun, was zur Glaubwürdigkeit der Figur beiträgt, ohne damit seine eigene Eitelkeit zu befeuern: »Als ich für »Hunger« in zehn Wochen extrem abgenommen habe, geschah das in einem so weit wie möglich sicheren Rahmen. Ich habe einen Arzt konsultiert, der sagte, unter 58 Kilo könnten meine Organe Schaden nehmen. In sicheren Grenzen bin ich zu allem bereit, ähnlich wie bei den Kampfszenen mit Gina Carano in Steven Soderberghs »Haywire«: Mir gefällt die Kontrolle in einer Szene, in der es scheinbar um den Verlust der Kontrolle geht. Man arbeitet zusammen und nicht gegeneinander. Sich die Köpfe einschlagen kann jeder, der Reiz liegt im Tanz, in der Kunst, sich in so einer Kampfszene eben nicht zu verletzen.«

Die physischen Apekte des Spiels mögen ihm mehr liegen, trotzdem meistert der Schauspieler mit seiner von leichtem Whiskeykratzen angerauten, geradezu hypnotischen Stimme auch die Nuancen der Sprache und den Duktus vergangener Zeiten. Die Verse von Shakespeares »Macbeth« gehen ihm in Justin Kurzels neuester Verfilmung des klassischen Stückes ebenso natürlich von den Lippen wie die Prosa von Charlotte Brontës »Jane Eyre« in der Version von Cary Fukunaga, wobei er den Klassikern auf ganz selbstverständliche Weise einen modernen Touch verleiht. »Dieses Gefühl der Gegenwärtigkeit«, kommentierte Regisseur Fukunaga, »hat mit dem sehr komplexen und subtilen Schauspiel von Mia Wasikowska als Jane und Michael Fassbender als Rochester zu tun, auf deren Gesichtern sich immer mehrere Dinge gleichzeitig abspielen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten geht es da um Minimalismus und Wahrhaftigkeit, und nicht um die große Geste.« Und immer auch um die Widersprüchlichkeiten der menschlichen Existenz: »Weißt du, was die Frauen an dir mögen?«, fragt Javier Bardem Fassbender in »The Counselor« und gibt mit der Antwort gleich auch eine Erklärung für seinen Erfolg als Schauspieler: »Das moralische Dilemma, das Paradox.« 

»Niemand anderes hätte das spielen können«, hat McQueen über »Shame« gesagt: »Dieser Brandon ist ebenso wie Bobby Sands aus »Hunger« kein netter Mensch. Aber Michael schafft es irgendwie, dass die Leute Mitgefühl für ihn entwickeln. So etwas kann kein einfacher Filmstar. Das kann nur ein wahrer Künstler. Er ist der Traum jedes Regisseurs: Man muss bloß sein Gesicht zeigen und braucht kein Drehbuch mehr.« Selten habe er jemanden gesehen, der so nah an sein Publikum herankommt, fasst McQueen zusammen – und meint damit all die Szenen, in denen Fassbender mit minimalstem Aufwand enorme Wirkung erzielt. Wenn er in der New Yorker Metro mit einem reglos beharrlichen und herausfordernden Blick auf die Frau gegenüber die Luft zum Knistern bringt vor erotischer Spannung. Wenn er nachts in einer Bar seiner Schwester Sissy (Carey Mulligan) dabei zuhört, wie sie eine extrem langsame Version von »New York, New York« singt, und dabei ein wahres Gefühlsgewitter über sein Gesicht ziehen lässt, Liebe, Sehnsucht, Verlorenheit, Schmerz, Verzweiflung, Einsamkeit, bis er am Ende den Kopf senkt, um sich flüchtig eine Träne von der Wange zu wischen. Immer wieder aufs Neue erforscht er, was es wirklich bedeutet, Mensch zu sein, und geht dabei auch an die Grenzen des Menschlichen, wie in Ridley Scotts »Prometheus«: Sein Roboter David ist ein atemraubender Balanceakt zwischen Mensch und Maschine, als würde seinen Bewegungen eine subtile Mechanik innewohnen und zugleich seiner Androidengestalt Seele eingehaucht. Wobei es eine feine Ironie hat, dass David sich bei der Suche nach Menschlichkeit ausgerechnet von Peter O’Tooles »Lawrence von Arabien« inspirieren lässt. 

Die Zeit, die Fassbender in den frühen Jahren verloren hat, hat er längst aufgeholt, mit einer enormen Bandbreite von Genres und Motiven, von großem amerikanischem Blockbusterkino wie der zweiten Generation der X-Men-Filme, in denen er Ian McKellen als Magneto ablöste – wofür er angesichts seiner magnetischen Präsenz geradezu prädestiniert ist. Mit einem irren Wurf wie Quentin Tarantinos »Inglourious Basterds«, wo er als britischer Soldat und Kenner des deutschen Kinos mit seiner alemannischen Herkunft kokettieren konnte und mit leicht affektiertem Akzent und feinen Manierismen George Sanders seine Reverenz erwies. Mit David Cronenbergs Film »Eine dunkle Begierde«, in dem er im Clinch mit Viggo Mortensens Sigmund Freud die dunklen, getriebenen Seiten von Carl Jung ausspielte. Dann sind da die kleineren Independent-Produktionen wie »Frank«, in dem er fast einen ganzen Film lang unter einem rieisgen Pappmachékopf steckt, was auch eine Art ist, das Physische zu betonen. Und schließlich ist da der langsam glühende Western »Slow West«, in dem er einen zynischen Realisten spielt, der sich von einem naiv romantischen Jungen infizieren lässt. Den Film hat Fassbender mit seiner eigenen Firma produziert und zusammen mit Regisseur John Maclean entwickelt, ein erster Schritt in Richtung Regie. 

»Frank« (2014)

Nachdem er bereits mit Ridley Scott, David Cronenberg, Soderbergh und Tarantino gearbeitet hat, werden demnächst Terrence Malick, Danny Boyle und Derek Cianfrance folgen. Der X-Men-Serie bleibt Fassbender verbunden, und auch in »Prometheus 2« wird er als einziger Überlebender des ersten Teils neben Noomi Rapace wieder zu sehen sein: »Jetzt versuche ich, das Heu einzufahren, während die Sonne scheint«, sagt er schmunzelnd. Natürlich stand es nie ernsthaft zur Debatte, dass Michael Fassbender das mit dem Spielen irgendwann mal lässt: »Ich habe über Alternativen nachgedacht, wenn das nicht funktioniert. Sicher, ich hätte irgendwann eine Bar kaufen können, doch das ist nicht das, wofür ich Leidenschaft empfinde. Ich wusste also, dass ich beim Schauspielen bleiben würde. Ich gab mir bis 40, und dann, wenn man die 40 erreicht, erhöht man auf 50. Wenn man etwas tut, das man liebt, kann man sich nicht davon verabschieden.«

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