Masse macht Spaß

Unsere "steile These" des Monats Mai

Kino wird durch Film erst schön, hat mal ­jemand gesagt. Heute stellt sich die Frage: Gilt das auch umgekehrt? Braucht der Film in Zeiten des bequemen Heimempfangs, der Streamingdienste und der Megafernseher noch Kino? Und falls wir uns für die Leinwand entscheiden: Verkrümeln wir uns dann mit Lav Diaz ins Museum? Oder sind wir bereit, die Begleiterscheinungen eines Kinonormalbetriebs in Kauf zu nehmen – Getümmel im Foyer, Popcorn-Krümel, Dauergemurmel? Kino war früher das Medium, das die Massen ergriff. Und ich finde: Einen Freitagabend im Multiplex kann man sich ruhig mal geben.

Tatsächlich gewinnen viele Filme, wenn man sie mit Publikum schaut. Und das sind nicht nur rummelige Blockbuster. »Blue Velvet« hab ich zwei Mal gesehen, als er rauskam. In der Pressevorführung, David Lynch galt schon als Großmeister, herrschte tiefer Ernst, geradezu sakrale Stille. Zwei Wochen später, in einem ausverkauften mittleren Saal, haben die Leute gekichert beim Auftritt von Dennis Hoppers kitschverfallenem Provinzfascho. Da hab ich erst kapiert, wie satirisch der Film ist. In einem Riesenkino am Times Square waren wir die einzigen Nichtschwarzen im Publikum und bekamen eine Ahnung, was eine afroamerikanische Posse auslösen kann – lange bevor »Black Panther« an der Kasse die »Titanic« versenkte. Am Ende von Spielbergs »A.I.« haben zwei biertrinkende ­Offenbacher in Bikerjacken mein Unbehagen angesichts der hymnischen Kritiken trocken zusammengefasst: »Ey, des war ja noch schlimmer als E.T.« Und selbst Lav Diaz erwartet vom Publikum seiner Kunstfilm-Marathons keine Übung in Andacht – es sei okay, wenn man zwischendurch mal rausgeht.

Paradoxerweise kann man gerade in der Kino-Crowd spüren, wie Filme dem Zuschauer nahekommen und dass sie jedem etwas eigenes »bedeuten«. Was das ist, würde Netflix auch gern wissen, die berechnen sehr genau, wer was wie lange in welchem Verhältnis streamt . . . Aber das ist noch ein Vorteil des Kinos: ­In der Masse kriegen sie dich nicht.

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