Kap der verlorenen Hoffnung

Das Fernsehen, die Apokalypse, die Posthistoire
»Dominion« (2014)

Das Kino prophezeit schon lange das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Jetzt zieht das Fernsehen nach. In einer ganzen Reihe neuer Genreshows versucht die Menschheit – oder was davon übrig ist –, die bereits angelaufene Apokalypse abzuwenden. Kein Zweifel: Wir stecken im Posthistoire

Mit dem großen internationalen Erfolg von The Walking Dead hat sich eine neue Tendenz im aktuellen Serienfernsehen etabliert. Ein apokalyptischer Ton herrscht neuerdings, der sich in signifikanten Spielarten von Genrekonventionen niederschlägt. Schon The Walking Dead demonstriert, dass Horror nicht auf das »Okkulte« limitiert sein muss. Das Private, Intime, Familiäre des Genres, die Begrenzung der Handlung auf einen separierten Raum, ob Haus oder auch ganze Stadt, wird ersetzt durch eine – in jedem Sinne – globale Bedrohung. So immens ist der Schrecken, dass er auf die ganze Erde übergreift und die gesamte Menschheit mit sich fortreißt. Die Apokalypse ist gekommen.

Der Begriff Apokalypse stammt aus dem Griechischen und bedeutet »Offenbarung« oder »Enthüllung«. Offenbart beziehungsweise enthüllt wird in diesem Kontext sowohl die Schwäche des untergehenden Systems wie auch die Ohnmacht alles Kreatürlichen. Die Apokalypse soll sich ereignen, wenn schließlich der Untergang der Welt initiiert ist: ein Prozess, den die Menschheit seit dem Mittelalter fürchtet, der sie in ständiger Erwartung des Endes bangend ausharren lässt. Aktuelle Medienfantasien entzünden sich dabei noch immer an traditionellen Weltuntergangstopoi, etwa der Offenbarung des Johannes, dem paradigmatischen Text der Apokalypse. So geht der Untergang mit Plagen der Endzeit einher, häufig in Form von entfesselten Kräften, die Zentren der Zivilisation attackieren: Naturkatastrophen oder unsichtbare Krankheitserreger, die den Menschen auslöschen und eine Ära nach dem Ende einläuten. Vier solche Serien sind allein im vergangenen Sommer gestartet. In The Last Ship, auf TNT zu sehen, ist es ein tödlicher Virus, der die Menschheit ausrottet, wenn auch nicht zu lebenden Toten macht wie in The Walking Dead. In The 100 (auf CW) ist die Erde durch den atomaren Holocaust eines Nuklearkrieges unbewohnbar geworden. Dominion (Syfy-Kanal) verfährt noch klassischer, lässt tatsächlich Engel auf eine sündige Menschheit los, der Gott seine Hilfe entzogen hat. In The Leftovers (HBO) verschwinden zwei Prozent der Weltbevölkerung spurlos, und eine Erklärung für die Vorgänge gibt es zunächst nicht. In all diesen neuen TV-Shows zeigt sich nicht nur »ein bisschen Lust am Untergang« (Karl Heinz Bohrer). Es sind vielmehr Serien, die ganz vom Gefühl bestimmt sind, am Ende einer Epoche, ja vielleicht gar am Ende der Geschichte selbst zu stehen. Sie betreiben auf diese Weise einen apokalyptischen Diskurs, mit dem das Fernsehen das Kino beerbt. Die audiovisuellen Medien scheinen prädestiniert, diesen Diskurs zu führen, der freilich immer vor der unlösbaren Aufgabe steht, im Erzählen des Endes der Geschichte sowohl Untergang als auch Offenbarung in Szene zu setzen. Durch Bild und Ton können die audiovisuellen Medien in beispielloser Weise, so Susan Sontag in ihrem berühmten Aufsatz zur »Katastrophenphantasie«, das Ende allen Lebens sichtbar machen: »den Tod ganzer Städte, ja die Vernichtung der Menschheit«. Die so entfesselten Fantasien feiern die Schönheit alles Zerstörerischen, sie operieren ästhetisierend. 

Sie lassen, wie Sontags Gewährsmann Walter Benjamin ausgeführt hat, die Menschheit »ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuss ersten Ranges erleben«. Die Tricktechnik der audiovisuellen Medien ermöglicht Entwürfe von Destruktion und Desaster, von Auslöschung und Apokalypse in einer Sinnlichkeit und Detailfülle wie kein Medium, keine Kunst zuvor. Die Katastrophenfantasie der Endzeit enthüllt die Ohnmacht des Individuums gegenüber Mächten, die Gegenwärtiges als Zukunft einer determinierten Vergangenheit respektive als Vergangenheit einer determinierten Zukunft bestimmen. Apokalyptische Audiovisionen sind mythische Konstrukte, die vom Ende der Geschichte künden und ihre Verkündigung selbst einlösen. Diese Performanz des Posthistorischen, das heißt, die gleichzeitige Feststellung wie Ausführung von Nachgeschichtlichkeit, hat der Philosoph Hannes Böhringer in »Die Ruine in der Posthistoire« beschrieben: »Die Posthistoire ist sozusagen die unendlich ausgedehnte Zeitlupe des katastrophalen Augenblicks«. Das notwendigerweise immer aufgeschobene Ende lässt sich nur in Fiktionen bannen, deren Darstellung gerade die nicht darstellbare Dimension des Untergangs wie seiner Offenbarung umkreist. Durch das Moment der Retardation spielen die neuen TV-Shows als Formen eines posthistorischen Mediums ihre ästhetische Affinität zu einer katastrophalen Situation aus, die immer schon eingetreten zu sein scheint, aber doch auf ewig aufgeschoben werden muss. Es ist von daher auch kein Zufall, dass das Stilmittel der Slow Motion eine Serie wie Dominion dominiert. Die »unendlich ausgedehnte Zeitlupe des katastrophalen Augenblicks« schlägt sich in minutenlangen Actionsequenzen nieder, die aus dem Fundus des materialistischen Hardbody-Männerfilms der Achtziger und Neunziger ebenso schöpfen wie aus den artifiziellen Choreographien des neuen Hongkong-Kinos.

Von den jüngeren TV-Shows stellt Dominion, wenn auch weder mit dem ökonomischen Kapital von The Walking Dead noch mit dem symbolischen Kapital der HBO-Produktion The Leftovers ausgestattet, sicherlich den mythologisch interessantesten Entwurf einer apokalyptischen Serienfantasie dar. Produziert im südafrikanischen Cape Town am Kap der Guten Hoffnung, lässt diese Koproduktion von Universal und Film Afrika vor allem schlechte Prognosen triumphieren. Sie basiert auf dem Kinofilm Legion, einem B-Picture von 2010. Legion erzählte von einem rebellischen Erzengel, der sich einem Befehl Gottes widersetzt und die Menschheit vor ihrem Untergang zu bewahren sucht – indem er das ungeborene Kind einer jungen Kellnerin beschützt, einen der Auserwählten, der Erlöserfiguren, die in der zeitgenössischen Sci-Fi und Fantasy überhaupt eine so große Rolle spielen. Dominion setzt rund 25 Jahre nach diesen Ereignissen ein. Nun geht es nicht mehr um eine Abwendung der Apokalypse, sondern vielmehr um eine Bewahrung der letzten noch verbliebenen Menschen – durch den Krieg des Erzengels Gabriel (Carl Beukes) gegen die Menschheit ist die Apokalypse schon eingetreten. Nachdem Gott sich zurückgezogen hat, sucht Gabriel die Schuld beim Menschen und setzt sich mit einer ganzen Armee von Erzengeln dessen Auslöschung zum Ziel. Nur fünf Städte halten dem Sturm stand, darunter Vega, das ehemalige Las Vegas, nun am Westkap Südafrikas situiert. Mit Erzengel Michael (Tom Wisdom) findet sich jedoch auch ein Widersacher Gabriels, der sich auf die Seite der letzten Menschen schlägt. Schützen muss er vor allem den Polizisten Alex Lannen (Christopher Egan) – den nun erwachsenen Sohn der Kellnerin aus Legion, der von seiner wahren Bestimmung allerdings erst noch erfahren muss.

»Vor dem Ende geht etwas zu Ende«, schrieb der Medientheoretiker Friedrich Kittler in seiner Schule machenden Mediengeschichte: »Blendwerk werden die Sinne und der Sinn. […] Und wenn die Verkabelung bislang getrennte Datenflüsse alle auf eine digital standardisierte Zahlenfolge bringt, kann jedes Medium in jedes andere übergehen. Mit Zahlen ist nichts unmöglich. Ein totaler Medienverbund auf Digitalbasis wird den Begriff Medium selber kassieren. Statt Techniken an Leute anzuschließen, läuft das absolute Wissen als Endlosschleife.« Digitale Medien machen damit auch die Rede vom Menschen obsolet. Denn sie können, einmal geschaltet, alles simulieren, ohne noch auf humane Programmierer angewiesen zu sein. Die Offenbarung der digitalen Apokalypse ist weder auf Medium noch Mensch angewiesen. Sie ist autonom, sich selbst genug. In seiner Prophezeiung jedoch hält Kittler plötzlich inne. »Aber«, konstatiert er emphatisch, »noch gibt es Medien, gibt es Unterhaltung«. Unterhaltungsmedien also sind es, die den Menschen vor dem Ende einer digitalen Welt in Endlosschleife schützen. Es kann mithin als Ironie der Geschichte gelten, dass die neuen Endzeitserien und ganz besonders Dominion massiv auf digitale Trickeffekte zurückgreifen. Ihre Unterhaltungsfunktion bemächtigt sich der apokalyptischen Gefahr und schiebt so den drohenden Untergang auf. Damit bleibt Hoffnung. Solange Fernsehserien produziert werden, ist das Ende der Menschen nicht gekommen. 

 


 

»Dominion« Staffel 1, verfügbar bei iTunes, Videoload und Xbox Video

»The 100« Staffel 1 und 2, verfügbar bei Amazon Instant Video, iTunes, Videoload und Xbox Video

»The Last Ship« Staffel 1, verfügbar bei Sky Go

»The Leftovers« Staffel 1, verfügbar bei Sky Go

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