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Besuch in der »Guildhall School of Music and Drama« in London
Guildhall School of Music and Drama

England exportiert Schauspieler wie Deutschland Autos. Das liegt sicher auch an der Arbeit renommierter Institute wie der Guildhall School in London, wo Ewan McGregor und Daniel Craig ihren Job gelernt haben

Es gibt viel zu viele Schauspieler hierzulande«, sagt Christian Burgess, Vizedirektor und Leiter der Schauspielabteilung der Londoner Guildhall School of Music and Drama, einer der berühmtesten Schauspielschulen Englands und weltweit. »Zu viele Schauspieler und zu wenig Talent.« Manche der jährlich an die 3000 Bewerber an seinem Institut seien Fantasten, sagt er: »Die glauben, das wäre ein Fluchtweg aus der Arbeitswelt. In Wirklichkeit ist es richtig hart.« Nur  26 Schüler finden nach der Aufnahmeprüfung jeweils den Weg ins dreijährige Studium der Schule – und sie lernen das Handwerk von der Pike auf. Anderswo, beispielsweise an der renommierten Schauspielschule des Théâtre National de Strasbourg, werden keine Stimm- und Bewegungstechniken vermittelt, so Burgess: »Die Studenten verlassen die Schule in Strasbourg in demselben körperlichen Zustand, in dem sie ankamen.« In der Guildhall School hingegen wird ein hoher Grad von Kontrolle über den Körper und die Stimme erarbeitet.

Das Training zahlt sich aus. Die Guildhall School kann auf eine stattliche Anzahl ehemaliger Überflieger zurückblicken, die zu Weltruhm gelangten: James-Bond-Darsteller Daniel Craig, Joseph Fiennes, Hayley Atwell, Rhys Ifans, David Thewlis und Dominic West gehören dazu. Der vielseitige Schotte Ewan McGregor ist in der Guildhall School ebenso in die Lehre gegangen wie Karibikpirat Orlando Bloom und der große Shakespeare-Darsteller Simon Russell Beale. Homeland-Star Damian Lewis und Downton Abbey’s Lady Mary, Michelle ­Dockery, lernten hier ihr Handwerk. Die Zahl der Guildhall-Berühmtheiten wird nur noch von der Alumni-Liste der Royal Academy of Dramatic Art (RADA) in London übertroffen. So viel Erfolg macht neugierig auf das Rezept: Auf welchem Nährboden gedeiht das Starpotenzial?

Man merkt es ziemlich schnell, noch bevor man diese Frage überhaupt stellt: Die Schule, die so viele gefeierte Schauspieler hervorgebracht hat, fördert Stargehabe eben gerade nicht. Vielmehr wird der Ensemble-Gedanke großgeschrieben – größer als an anderen Londoner Schauspielschulen, wie der Vizedirektor betont. Der teamorientierte Umgang miteinander ist wichtig – und im späteren Beruf förderlich: Schauspielerei ist keine Einzeldisziplin. Und es spricht sich schnell herum, wenn einer in den Ruf einer Diva – in Christian Burgess’ Worten »a pain in the arse« – kommt. Das spiegelt sich vielleicht auch im Schauspielstil wider: »Es gibt einen Hunger nach Virtuosentum«, sagt Christian Burgess. Doch es ist schon klar, dass die Guildhall School nicht der Ort ist, an dem das gern gesehen wird: »Man könnte wohl sagen, dass die beste Schauspielerei die unsichtbare ist. Wir fördern das: mutig genug zu sein, etwas von sich selbst preiszugeben und nicht in die Trickkiste zu greifen.«

Jeder, der hier ankommt und einen guten Grund dafür hat, ist willkommen und wird ernst genommen. Auch Journalisten von deutschen Magazinen, die in London nicht verbreitet sind.

Ich zum Beispiel. Als ich bei einer Schauspielklasse einfach nur dabei sein will, um zuzuschauen, werde ich gleich vorgestellt und ins Gespräch einbezogen. So etwas ist nicht selbstverständlich in den künstlerischen Kaderschmieden der englischen Hauptstadt. Da kann die Atmosphäre schon mal frostiger sein, und der Elitegedanke beginnt schon bei den Lehrern – so etwa in der Central Saint Martins University of the Arts, einer Schule, die auch Schauspieler ausbildet, aber vor allem für ihre Topabsolventen im Modedesign berühmt wurde. Beiden Ausbildungsstätten für Kreative ist jedoch gemeinsam, dass sie keine Künstler für den luftleeren Raum ausbilden: Sie bereiten ihre Studierenden ganz gezielt aufs Berufsleben vor.

Schon im zweiten Jahr ihrer Ausbildung an der Guildhall School werden sie etwa Castingdirektoren vorgestellt, Theateragenten, Regisseuren und einer Reihe von anderen Professionellen, denen sie in ihrer Karriere begegnen werden. Damit sollen die Studenten die Scheu vor den Machern hinter den Kulissen verlieren; sie werden entmystifiziert. Im dritten Jahr folgt ein Abstecher ins Ausland, nach Italien, wo Guildhall-Schüler mit internationalen Schauspielern und Regisseuren zusammentreffen, wo ihre Arbeit sich auf eine zunehmend öffentliche Präsentation zubewegt und die Impulsgeber der Film- und Theaterwelt eingeladen werden.

Mittendrin zu sein, ist ohnehin ein Bonus dieser 1880 gegründeten Schule. Sie befindet sich an einem Knotenpunkt Londons: gleich hinter dem geschäftigen Bahnhof Liverpool Street, im Herzen des Bankenviertels, im Windschatten kapitaler neu entstehender Wolkenkratzer und in unmittelbarer Nähe des labyrinthischen Barbican-Kulturzentrums, das sich unter anderem als Gastspielstätte für internationale Theaterproduktionen einen Namen gemacht hat und das mit Guildhall kooperiert.

Im September vergangenen Jahres konnte die aus den Nähten platzende Guildhall School einen glänzenden Neubau eröffnen: Die Musikabteilung befindet sich nach wie vor im alten Gebäude, während die Schauspieler im »Milton Court« genannten, von David Walker Architects designten neuen Haus lernen dürfen. »Milton Court« ist Teil eines der neuen prominenten Hochbauten der Stadt: Über der Schauspielschule erheben sich 36 Stockwerke mit Luxuswohnungen. Im neuen Gebäude gibt es neben großen Proberäumen auch einen Konzertsaal mit hervorragender Akustik und mehr als 600 Sitzen, eine Studiobühne und ein größeres Theater mit 223 Plätzen. Auch wenn sich das Haus nicht als Eliteinstitut gibt, spürt man, dass es ein Privileg ist, hier lernen und arbeiten zu dürfen.

Was aber müssen die angehenden Schauspieler mitbringen, um überhaupt aufgenommen zu werden? Christian Burgess hat sehr präzise Vorstellungen von den Eigenschaften seiner Idealkandidaten: »Neugier, Großzügigkeit, ein Sinn für Humor und die Fähigkeit, über die Welt und sich selbst zu lachen, Beharrlichkeit, Vorstellungskraft und Risikofreude. Talent natürlich sowieso.« Und jeder Einzelne der jährlich 3000 Bewerber wird begutachtet. Ganz schlecht läuft es meistens, wenn sich die Bewerber vorher schon coachen ließen. »Dabei kommt dann terrible acting heraus.“ Gefragt ist Authentizität.

Das Vorsprechen ist für jeden Bewerber eine Stresssituation. Das ist nicht zu ändern, aber die Guildhall School erleichtert den Prozess im Vergleich mit ähnlichen Institutionen.  Beim Vorsprechen zum Beispiel dürfen die Beweber jemanden mitbringen, und es ist auch erlaubt, die Mitglieder der Prüfungskommission anzusehen – in anderen Schulen keine Selbstverständlichkeit. Einer der Studenten berichtet von seinen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten: Dort sei die Aufnahme von Bewerbern durch ein striktes Quotensystem geregelt, das unter anderem über Nationalität, Geschlechts- und Religionszugehörigkeit definiert sei: »Das war so politisch korrekt, dass es einen krank machte.« So etwas gebe es in der Guildhall School nicht. Auch Konkurrenzsituationen, die anderswo gefördert würden, werden in der Guildhall School eher vermieden.

Die 1991 geborene Deutsche Leonie Benesch ist eine der Schülerinnen des derzeitigen Schauspieljahrgangs. Trotz ihrer Jugend ist sie eigentlich schon ein alter Hase im Schauspielgeschäft: Sie war in Deutschland in einer Reihe von Fernsehrollen zu sehen, hat bereits Agenten in Berlin und London. In Michael Hanekes Film Das weiße Band spielte sie eine der Hauptrollen und wurde dafür bereits mehrfach ausgezeichnet. Erst danach bewarb sie sich an drei Schauspielschulen in London. In der Guildhall School fühlte sie sich schon beim Auswahlprozess wohl: »Alle Mitbewerber waren interessant. Man konnte sich gleich vorstellen, gern mit ihnen Zeit zu verbringen.« Derzeit erarbeitet sie mit ihrer Klasse Tschechows »Kirschgarten« und hat gelernt, dass ihr Beruf ein lebenslanger Prozess ist: »Eine Aufführung ist nie ein Schlusspunkt. Es ist immer eine Probe mit Zuschauern.«

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