»Blade Runner«: Die Zukunft – revisited

»Blade Runner 2049« (2017). © Sony Pictures

»Blade Runner 2049« (2017). © Sony Pictures

Lang hat es gedauert: Im Oktober kommt »Blade Runner 2049« ins Kino, die Fortsetzung eines der einflussreichsten Science-Fiction-Filme der postklassischen Ära. ­Georg Seeßlen hat sich das Original von Ridley Scott wieder angeschaut

Eine höllische, vergiftete, endlose Stadt, in der ein riesiger Konzern seine Pyramiden errichtet hat und in der posthumane Wesen gegen Verbannung und Versklavung aufbegehren. Blade Runner, die bad cops der Zukunft, machen Jagd auf sie. Einer wird krank dabei und beginnt nachzudenken. Ansonsten sind hier technischer Fortschritt und sozialer Abstieg kein Widerspruch. So könnte man sich das Ende der kommenden zwei Jahre vorstellen. Zwei kurze, voraussichtliche Trump-Jahre.

Können Filme die Welt verändern? Natürlich, insofern sie Teil der Wirklichkeit werden und Teil ihrer Wahrnehmung. Aber auch wieder eher nicht, weil die Wirklichkeit ein riesiger Schwamm ist, der immer mal wieder kulturell ausgewrungen wird. So dass Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin« dann doch nie Teil der Revolution, sondern immer nur ihres Traums war. Und »Blade Runner« ist nicht Teil der Zukunft, sondern Teil der Angst vor ihr.

Können Filme das Leben verändern? Natürlich, insofern sie an gewissen plot points der Biografie aufscheinen und gewisse Entscheidungen erleichtern. So wie man mit Dustin Hoffman in »Die Reifeprüfung« einen Lebensstil hinter sich lassen konnte und wie man mit »Blade Runner« dem verordneten Fortschrittsoptimismus entsagte. Aber auch wieder nicht, weil Filme vielleicht die Augen öffnen, aber genau dann nicht da sind, wenn man wirklich Hilfe braucht.

Was Filme definitiv verändern ist indes – das Kino. Womit nicht nur eine Form der Bildererzählung und ihr organisatorischer Rahmen gemeint ist, sondern all das, was wir von Zeit, Raum und Subjekt jenseits des Alltags wissen. Philip K. Dicks Roman »Do Androids Dream of Electric Sheep?«, auf dem »Blade Runner« basiert, ist einer der schlecht gelauntesten Romane in der Geschichte der Science-Fiction. Er beginnt mit einem Ehezwist über Gefühlsorgeln, mood organs, mit denen sich Emotionen auf Wunsch programmieren lassen, und mit einem Disput über den begehrtesten Besitz: echte, lebende und atmende Tiere. Ein Dialogsatz wie »Auf meinem Plan stehen für heute sechs Stunden selbstanklagende Depression« muss einem erst einmal einfallen, so wie einen auch die Vorstellung eines elektronisch-mechanischen Schafes, das auf dem Dach grast, weil so etwas zu den sozialen Verpflichtungen gehört, nicht mehr loslässt.

Dick ist gewiss nicht der größte Literat unter den amerikanischen SF-Autoren und auch nicht der tiefste Denker. Was ihn auszeichnet, ist die Unerschrockenheit, mit der er Themen und Bilder anpackt, und die Fähigkeit, die ­disparatesten Verbindungen von Gegenwart und Zukunft zu riskieren. Er interessiert sich nicht nur für Techniken und Systeme, sondern auch für das, was sie mit Menschen anstellen. Alltag und Niedertracht wird es auch in der Zukunft geben, und sie werden unserer Gegenwart entstammen.

Ridley Scott ist der Regisseur, der, beinahe im Alleingang, das Genrekino erneuert hat. Nicht, wie es die meisten ­Regisseure nach New Hollywood taten, indem sie ihm Revisionen, Abgesänge, Ironisierungen, Reflexionen und Umdeutungen angedeihen ließen, sondern indem er das Genre einfach wieder gottverdammt ernst nahm. Bei ihm sind Kreuzritter, Robin Hood, Gladiatoren, Gangster oder Weltraumfahrer keine Märchengestalten und Figuren aus dem Baukasten des Helden mit den tausend Gesichtern, sondern erwachsene Menschen mit nicht unerheblichen Problemen. Scotts Heldinnen und Helden sind immer am Rand der Niederlage und erholen sich nicht wirklich davon, nicht einmal in der Art, wie sich John Wayne in John-Ford-Filmen von seinen Niederlagen erholt – mit schiefem Gang.

Nahezu alle populären Genres außer dem Western hat Scott auf seine Weise erneuert, sogar die Komödie. Manchmal ging das richtig schief, wie bei dem Fantasyfilm »Legend«, und manchmal wird es einigermaßen zweifelhaft, wie in seinen Kriegsfilmen. Er ist wohl immer zugleich Visionär und Reaktionär; zuweilen quert ein heroischer Nihilismus seine Epen. In jedem seiner Filme holt Ridley Scott mehr aus der Kinomaschine heraus als bis dahin drinzustecken schien. In einer Vielzahl seiner Einstellungen bietet er mehr Interpretationsmöglichkeiten und Verweise, als mit einem normalen Sehen zu entschlüsseln sind. Nahezu alle Ridley-Scott-Filme handeln vom Zusammenbruch einer Kultur.

Harrison Ford komplettiert als Rick Deckard das ­»Blade Runner«-Trio der schlecht gelaunten, eher zynischen Männer. Genau gesagt kann man Harrison Ford als den mürrischsten Star betrachten, den Hollywood je hervorgebracht hat. Diese seine skeptische Mürrischkeit trägt einen Großteil des Films. Was Philip K. Dick in seinen kleinen Alltagsskizzen am Rande entwickelt, die Vorstellung, dass das Leben in dieser Zukunft zäh, unangenehm und redundant ist, das steckt bei Ford einfach im Gesichtsausdruck. Er ist weder strahlender noch lakonischer, weder naiver noch lachender Held. Er tut nur, wozu es sowieso keine Alternative gibt, und das Recht auf schlechte Laune lässt er sich nicht nehmen. Aber es gibt etwas, das auf dem Grund dieser gereizten Verächtlichkeit steckt. Nenn es Moral oder Erkenntnis.

Mit »Blade Runner« verabschiedet Ford sich von seinem Space Cowboy aus »Star Wars« und setzt ihn doch auch wieder fort. Wie ein Held des Spätwesterns oder des Film noir ist er ein Überbleibsel, ein Kerl, der moralisch und ästhetisch nicht ganz in seine Zeit passt. Und sie dadurch sichtbar macht. Als schäbiger Detektiv, der die Femme fatale – oder eben ihre Simulation: Sean Young als schöne Replikantin – nur ­magisch anziehen kann, nutzt ihm alle Abgebrühtheit nichts. Er hat eine Passion zu durchleben.

Die Story ist scheinbar einfach und gleichsam skelettierter Dick. Nur: Aus ihr herauszukommen fiel schon dem Roman schwer, und dem Film ist es eigentlich nie gelungen. Wir haben im Director's Cut einen genaueren Hinweis darauf bekommen, dass Rick Deckard selbst ein Androide ist. Das aber ist eine der bösen Pointen, die das Genre zu dieser Zeit schon weitgehend verbraucht hatte. Die Ambivalenz ist besser: Es ist nämlich ziemlich egal, ob ein Mensch ein Android ist oder nicht, die Grenze verläuft nicht in der Mechanik (und auch nicht in der Lebensspanne), sondern im Bewusstsein.

Während der Roman mit einer fast lächerlichen Alltagsbeschreibung beginnt, gelangen wir in den Film mit einer legendär dramatischen Komposition, der endlosen Stadt und ihren Feuern und ihrer Widerspiegelung in ­einem menschlichen Auge. Eine Höllenvision, zweifellos. Dick erzählt aus einer Erfahrung der Leere heraus (Rick und Iran »hören« die Leere der Wohnungen um sie herum), Scott dagegen aus einer der Überfüllung. Die Tyrell Company (es ist auch der Name eines englischen Rittergeschlechts, neu zitiert wieder in »Game of Thrones«) hat die Nexus-6-Androiden entwickelt, die in allen Belangen ihren menschlichen Schöpfern überlegen sind, aber als Sklaven auf fremden Planeten eingesetzt werden. Nach einem Aufstand dieser neuen Sklaven wurde ihnen jeglicher Aufenthalt auf der Erde verboten. Eine spezielle Polizeieinheit – eben die Blade Runner – machen Jagd auf solche, die es dennoch tun. Die Suche geht von unten nach oben, aus den Slums bis zur Spitze der Pyramide, zum gottgleichen Tyrell, oder Vater, und die Rollen von Jäger und Gejagten kehren sich mehrfach um. Die Rebellion der zweiten Schöpfung endet in einer moralischen Wendung, auch der neue Moses siegt, indem er verliert. Ins gelobte Land – der Freiheit – kann er nicht gelangen, den Weg dorthin aber hat er gewiesen.

Philip K. Dick ist vor allem Satiriker (Nummer 3 auf der Gefühlsorgel bei Dick: der Wunsch, fernzusehen, egal was kommt), Ridley Scott dagegen ein Mythomane. Vieles, was bei Dick Kritik ist, wird bei Scott zur Metaphysik.

Der Look und der Sound: »Blade Runner« ist ein Designfilm, wenn es je so etwas gab. Alles in ihm ist Zeichen und Effekt, Farbe und Stimmung. Seine überwältigende Stadt der Zukunft übertreibt nur wenig die Gegenwart; diese Stadt ist von außen schön und von innen unbewohnbar. Sie ist Sinnbild der doppelten Globalisierung, der Globalisierung des Profits und der Globalisierung der Slums. Und die Pyramide des Gewinners ist auf dem Elend der Verlierer errichtet.

Da gibt es das Blau, den Staub und die Lichter; der Himmel ist bemerkenswert leer, verglichen mit anderen Filmen des Genres. Alle wollen hier weg, und es wird ­ihnen durch allgegenwärtige Werbung auch schmackhaft gemacht. Aber so wie es aussieht, können es sich die wenigsten leisten.

Möglicherweise beginnen mit Blade Runner Kino­räume ein neues Leben. Mit den asiatisch inspirierten Dekors vom Anfang erleben sie ihre Beseelung. Scott erzeugt cineastisch, was in der Literatur des Genres der inner space genannt wird. Die klare Trennung von Subjekt und Umwelt wird aufgehoben. Deckard und seine Widersacher bewegen sich durch die Innenwelt ihrer Zeit. Es ist, beginnend mit der ersten Szene einer in Gewalt endenden Psycho­befragung (Kommunika­tion als nicht endender Turing-Test), als würden nicht Menschen von ihren Räumen, sondern Räume von Menschen Gebrauch machen. Der Trick ist nicht, dass die Zukunft im Design liegt, der Trick ist, dass das Design der Zukunft den Menschen verfehlt hat. Darin steckt schließlich auch die Tragödie der Nach- und Übermenschen. Rutger Hauers Replikant sieht aus wie ein feuchter Traum des arischen Ideals; aber in Wahrheit ist er nur einer, der Mensch werden will.

Bei »Blade Runner« zeigte sich auch der Komponist Evangelos Odysseas Papathanassiou, der sich Vangelis nennt, auf der Höhe seiner Kunst. Sein Gebrauch des Yamaha CS-80-Synthesizers, der raumfüllende Orchesterklänge simuliert und später von Peter Gabriel und ­Michael Jackson kanonisiert wurde, war damals neu und machte Versprechungen auf zukünftige Klangwelten (die sich nicht erfüllten). Es scheint, dass die Musik aus verschiedenen Zeiten und ohne ein klangliches Zentrum ist; sie nimmt das Sampling vorweg, zitiert die unterschiedlichsten Stile. Die Musik ist ein wenig wie die Gefühls­orgel, von der Philip K. Dick in seinem Roman erzählt.

Musik wird gelegentlich aber auch zur Kommunikation dort, wo Worte nicht zur Verfügung oder zu gefährlich sind. »Blade Runner« ist nicht nur Science Fiction und Film noir, sondern auch Melodram. Chopin steht für Berührung.

Der Mythos: »Blade Runner« ist einer der Initialfilme für den Science Fiction noir, eine Art von Filmen, in denen die Zukunft abgenutzt und dreckig aussieht, in denen es gern und oft regnet und in denen die allermeisten Menschen vom technischen und ökonomischen Fortschritt wenig bis gar nichts haben. Science Fiction noir – Scott hatte drei Jahre zuvor mit »Alien« bereits den Weg gewiesen – ist eine Antwort der Popkultur auf den Beginn des Neoliberalismus. Von der New Frontier der Kennedy-Ära kann man nicht weiter entfernt sein.

Dabei ist die Produktionsgeschichte des Films alles andere als das Musterbeispiel für einen gelungenen Coup: Mehrere Drehbuchumarbeitungen, Reibereien am Set, Finanzierungsprobleme, ein fliegender Produzentenwechsel während der Herstellung, überzogene Drehzeiten, nach Testvorführungen der Rohfassung rustikale Eingriffe (in Hinblick auf ein unsinniges Happy End) und ein langer Kampf um einen Director's Cut. All das ist freilich vor allem Beleg dafür, dass man seiner Zeit ein entscheidendes bisschen voraus war.

Bei den insgesamt acht Fassungen des Films kann man auch zusehen, wie ein Film seine »Sprache« ändern kann. Die ersten Varianten unterschei­den sich hauptsächlich durch ihren Anteil an Gewaltszenen, und auch der Director's Cut von 1992 hat wenig mit der Vierstundenversion zu tun, die ganz zu Beginn dem Studio präsentiert worden war. Es sind vor allem drei Elemente, die diese neue Version von den ursprünglichen Kinoversionen unterscheiden: Die Off-Narration wird eliminiert (einerseits muss man sich dadurch mehr auf die eigenen Empfindungen verlassen, andererseits geht ein Film-noir-Zitat verloren); eine bedeutende Traumsequenz wird wieder eingesetzt, und natürlich findet das vom Studio erzwungene Happy End nicht statt.

Wenn man die Geschichte von den Androiden als Metapher nimmt, dann ist die Welt von »Blade Runner« definitiv unsere Gegenwart und in manchen, nicht nur technischen Dingen, sogar schon wieder unsere Vergangenheit. Deckard liest noch Zeitung und hat kein Smartphone.

Vom Denken und vom Sein. Natürlich heißt Rick Deckard – sprechen Sie laut: Descartes – nicht umsonst so. Es geht im Roman wie im Film beständig um die Frage, was einen Menschen zum Menschen macht. Und womit man beweisen kann, dass man »ist« – und nicht bloß Echo einer Gefühls- und Arbeitsmaschine, zum Beispiel. So ist bei Dick die Frage nach der »Echtheit« eines Haustiers ( zunächst geht es um Schafe, am Ende nur noch um eine Kröte) sozial extrem verpönt. Man wird sich – da ist er wieder, der »Realist« Dick – an die Vermischung des Echten und des Künstlichen gewöhnen. Bei Scott dagegen ist die Frage nach dem wahren Menschen so ungelöst wie zentral. Sie ist an die Zuschauer weitergegeben. Ich denke, also bin ich. Was fängt man im Kino mit dieser Behauptung an?

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