»Ben Hur«-Verfilmungen: Das große Rennen

»Ben Hur« (2016). © Paramount Pictures

»Ben Hur« (2016). © Paramount Pictures

Männer in tödlicher Umarmung, rotes Blut auf hellem Sand, Clash der Kulturen und ein Cast von Tausenden: Größer als »Ben Hur« geht es kaum. Gerhard Midding über die Geschichte eines Stoffes, der schon zu Stummfilmzeiten populär war und jetzt von Timur Bekmambetov ­wieder ins Kino gestemmt wird

Am Anfang war das Wort, aber das genügt nicht. Es sind haarsträubende Dialoge, mit denen sich die zwei Schauspieler an einem Nachmittag des Jahres 1957 in einem Atelier von MGM herumplagen müssen. Sie sprechen für die Hauptrollen in einem Bibelfilm vor, an den das Studio größte Hoffnungen knüpft. Die beiden bedauernswerten Aspiranten spielen einen römischen Tribun und den Sohn eines jüdischen Fürstengeschlechts, die in ihrer Kindheit engste Freunde waren. Nun verlangt der Römer von seinem Gegenüber, sein Volk zu verraten. Die Darsteller geben sich Mühe. Aber was sollen sie mit Dialogen anfangen, die aus Gemeinplätzen wie »Viele Wege führen nach Rom« bestehen?

Nein, es sind nicht Stephen Boyd und Charlton Heston, die sich in dieser misslichen Lage befinden, sondern Leslie Nielsen und Cesare Danova, die zu der Heerschar von Schauspielern gehörten, die für die Rollen von Messala und Ben-Hur im Gespräch waren. Ihr Screentest zeigt, wie weit der Weg vom Drehbuch bis zum fertigen Film noch sein wird. MGM hatte 40 Entwürfe in Auftrag gegeben, von denen bis zum Drehbeginn keiner überzeugte. Die Arbeit, die die im Vorspann ungenannten Script-Doktoren Gore Vidal und Christopher Fry leisten mussten, bestand im Verwerfen von Halbgarem, der Verschiebung der Perspektiven und Akzente. Es gab zwar eine Romanvorlage, aber sie mussten die eigentliche Geschichte finden, die in ihr steckt. Es war ein schwieriger Prozess der Verfeinerung und Verdichtung, bis sich das herauskristallisierte, was den späteren Film ausmacht.

Ganz ähnlich lässt sich die Stoffgeschichte dieses Dauerbrenners erzählen, der in fast 140 Jahren verschiedene Inkarnationen annahm, die vor allem eines gemeinsam haben: ein Wagenrennen, das jeweils neue Maßstäbe setzte. Jede Adaption versuchte, ihren Vorläufer zu überbieten. Timur Bekmambetovs Remake von Ben-Hur steht nun 3D zu Gebot, es kann auf digitale Effekte zurückgreifen, die vor Jahrzehnten unvorstellbar waren. Der Film hat vor allem den Vergleich mit der Version zu fürchten, die MGM vor fast sechs Jahrzehnten herausbrachte. Oder muss er sich doch eher an Sandalenfilmen wie »Gladiator« und »300« messen, die dem Publikum vertrauter sind als ein Klassiker, der für viele nur noch eine ferne Feiertagsfernseherinnerung ist?

Von Anfang an eine Erfolgsgeschichte

Der 1880 erschienene Roman von Lew Wallace, einem Bürgerkriegsgeneral, der später Gouverneur von New Mexico und US-Botschafter im Osmanischen Reich wurde, war der größte amerikanische Bestseller des 19. Jahrhunderts. Nur von der King-James-Bibel wurden mehr Exemplare verkauft. »Ben-Hur – A Tale of the Christ« brach den Verkaufsrekord von »Onkel Toms Hütte« und wurde erst in den 1930er Jahren von »Vom Winde verweht« auf dem Spitzenplatz abgelöst, zwischen denen er ein bezeichnendes Bindeglied darstellt: Alle drei Romane greifen das Problem der Sklaverei auf.

Noch ein weiterer Aspekt machte Wallaces Buch für das Pu­blikum des »Gilded Age«, in dem in den USA immense Vermögen angehäuft wurden, reizvoll: die Verbindung von Reichtum und Frömmigkeit. Wallace, den die Arbeit am Buch selbst bekehrt hatte, verkörpert diese Allianz gleichsam mustergültig. Die spektakuläre Theater­adaption wurde zum größten Bühnenerfolg der Epoche. Das Wagenrennen war eine ungekannte Attraktion: Je nach Größe der Bühne liefen bis zu fünf Gespanne auf einer Tretmühle vor einem Panorama (in Boston soll versehentlich einmal Messala gewonnen haben). 1907 entstand eine erste kurze Filmversion, bei der einem Wagenrennen der Feuerwehr von Coney Island rasch einige Spielszenen hinzugefügt wurden. Die Firma Kalem hatte es indes versäumt, die Erlaubnis der Erben des zwei Jahre zuvor verstorbene Wallace einzuholen, was einen Prozess nach sich zog, der richtungsweisend für den Verkauf von Urheberrechten an Filmproduktionen wurde. Wallace hatte strenge Bedingungen an die Adaptionen seines Romans geknüpft. Auf der Bühne durfte Christus nur als Lichtstrahl erscheinen. Im Film von 1925 sind nur seine Hände zu sehen, 1959 wird er in Rückansicht gezeigt. Diese pietätvolle Traditionslinie muss die Neuverfilmung nicht fortsetzen: Wallaces Vorlage ist mittlerweile lizenzfrei.

Rekorde und Debakel

Der Ben-Hur-Stoff entschied regelmäßig über Wohl und Wehe von MGM. 1923 war die Verfilmung als prestigeträchtiger Auftakt des aus der Fusion der Firmen von Metro, Sam Goldwyn und Louis B. Mayer entstandenen Studios geplant. Die in Italien begonnenen Dreharbeiten wuchsen sich zu einem epochalen Fiasko aus. Nach diversen Unglücksfällen und Verzögerungen, nach Darsteller- und Regisseurwechseln sowie der Rückverlegung des Drehs nach Kalifornien stieg das Budget auf damals unerhörte 3,9 Millionen Dollar an. Zwar spielte der Film mit Ramon Novarro in der Titelrolle bis Ende des Jahrzehnts ebenfalls unerhörte neun Millionen ein. Die Hälfte der Einnahmen ging jedoch an die Rechteinhaber, sodass MGM erst 1931 einen leichten Gewinn verbuchen konnte, als es eine Tonfilmbearbeitung herausbrachte.

Die Wiederverfilmung sollte 1959 den drohenden Konkurs des Studios abwenden. Produzent Sam Zimbalist hatte als Cutter bereits an der Stummfilmversion mitgewirkt, auch Regisseur William Wyler war mit dem Stoff vertraut: Er war einer der Assistenten von B. Reeves Eason, dem Second-Unit-Regisseur der Wagenrennen-Sequenz (die sichtlich Spuren in Wylers frühen Western hinterließ). Aus Kostengründen wurde wiederum Rom als Drehort gewählt, aber dank Wylers notorischem Perfektionismus überschritt die Produktion Drehplan und Budget empfindlich. Zimbalist erlag nach wenigen Monaten einem Herzinfarkt, der Druck, der auf ihm lastete, war zu groß gewesen. Der damals teuerste Film aller Zeiten spielte bei seiner Erstauswertung annähernd 80 Millionen Dollar ein, gewann 11 Oscars und rettete MGM vorerst. Die Neuverfilmung schließlich kommt heraus, nachdem das einst stolze Studio lange Zeit kaum mehr als eine Briefkastenfirma war und erst durch die Einnahmen von »Skyfall« vor der Insolvenz gerettet wurde. Diesmal verliefen die sechsmonatigen Dreharbeiten in Italien offenbar ohne Komplikationen.

Metamorphosen einer Liebesgeschichte

Regisseur Timur Bekmambetov betont in Interviews, der Fokus der Verfilmung mit Charlton Heston läge zu sehr auf der Rache, er hingegen wollte einen Film über Vergebung drehen. Der martialische Trailer zu seiner Version scheint ihn Lügen zu strafen, auch ist seine Lesart des Vorläufers nicht ganz korrekt.

Tatsächlich reflektieren die verschiedenen Adaptionen zahlreiche und ideologische Verwerfungen. Die Motive Sklaverei, Unterdrückung und Nächstenliebe erscheinen vor dem jeweiligen Zeithintergrund in immer anderem Licht. Die Version von 1959 lässt sich im Kontext von Bürgerrechtsbewegung und Kaltem Krieg als Plädoyer für Toleranz und Appeasement deuten. Eine TV-Miniserie von 2010 beschwört ein betont multiethnisches Setting. Morgan Freeman verleiht der Figur des Scheich Ilderim in der aktuellen ­Kinoverfilmung größeres Gewicht; die Verpflichtung des Drehbuchautors John ­Ridley (»12 Years a Slave«) bürgt für einen zeitgenössischen Blick auf Sklaverei und Kolonisierung.

Die Charaktere, die Wallace entwarf, vor allem Judah Ben-Hur, haben in den letzten 136 Jahren zahlreiche Veränderungen durchlaufen. Im Roman wird Judah früh zu einem Anhänger Christi und schließt sich dem Widerstand gegen die römischen Besatzer an. Die Verfilmung von 1925 greift dieses Motiv auf: Der Held setzt sein Vermögen ein, um in Galiläa eine Streitmacht für den König der Juden aufzustellen, folgt dann aber Jesu' Friedensbotschaft. Die Version von 1959 spart diesen Aspekt weitgehend aus und stellt seine Bekehrung als Katharsis ans Ende.

Im Wagenrennen der Romanvorlage zeigt Judah sich als der rücksichtslosere Wettstreiter, während diese Rolle in den Filmen Messala zufällt. Dem fehlt es im Roman freilich auch nicht an Perfidie: Er überlebt das Wagenrennen und dingt später einen Mörder, der Judah jedoch verschont. 1925 ist Messala zwar eine zentrale, aber erstaunlich ephemere Figur. Der Film verabschiedet sich mit seiner Niederlage beim Wagenrennen brüsk von ihm: Judah sucht den schwerverletzten Widersacher nicht auf, sondern ein Schnitt zeigt, dass er in Gedanken bei seiner verschollenen Mutter und Schwester ist (deren Scham darüber, Aussätzige zu sein, übrigens schwer einem heutigen Publikum zu vermitteln sein wird.)

1959 hingegen gibt Messala die Perspektive für die Auftritte Judahs vor. Die Szenen sind stets so aufgebaut, dass er darauf wartet, dass sein Jugendfreund wieder in sein Leben tritt. Dieses Warten zieht einerseits durchaus eine Parallele zwischen Judahs und Christi Erscheinen. Es lässt aber auch die Deutung ihrer Beziehung als einer schwulen Liebesgeschichte zu, die der Script-Doktor Gore Vidal im Sinn hatte, der Regisseur und Hauptdarsteller indes stets entschieden widersprochen haben. Die Blicke, die Stephen Boyd und ­Charlton Heston einander zuwerfen, und ihre Umarmungen legen nahe, dass der Autor in ihre Szenen mehr hineinschmuggeln konnte, als den anderen Beteiligten bewusst und lieb war. Dem Zerwürfnis der zwei jeweils glühenden Patrioten ist diskret der doppelte Boden eines Liebesverrats eingezogen: Messala rächt sich als zurückgewiesener Liebender und ersetzt das Objekt seiner Sehnsucht später durch Drusus, einen römischen Offizier, der keine andere dramaturgische Funktion hat, als Messalas Begleiter zu sein. In früheren Bearbeitungen fehlte diese Figur. In dem aktuellen Remake tritt sie wieder auf. Werden nun aus den Untertönen vielleicht Obertöne? So viel Überbietung ist wohl auch 2016 in Hollywood noch nicht möglich.

Der neue »Ben Hur« startet am 1. September

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