»Arbeit im Film«: Vom Salz der Erde

»In den Gängen« (2017). © Zorro Film

»In den Gängen« (2017). © Zorro Film

Der Arbeiter, heißt es, ist in unserer digitalisierten, automatisierten Gesellschaft ein Auslaufmodell. Aber es gibt immer noch Menschen, die Getränkekisten im Großmarkt umschichten, Kleider für uns nähen, Möbel stemmen. Zum Start von Thomas Stubers »In den Gängen«: Beobachtungen zur Darstellung physischer Arbeit im Spielfilm

Arbeitswelt als Schauplatz: Seit einiger Zeit ist das wieder ein Thema im Kino. Was sehen wir, wenn jemand mit Hand und Körper Arbeit verrichtet, um für seine Existenz zu sorgen? Ausbeutung? Freude? Geschick? Kraft? Fantasie? Selbstfindung? Qual? Und wie
prägen diese Erfahrungen danach – im alltäglichen Leben?

Seit den 1920er Jahren sind dazu die Standards vorgegeben: Entweder knechtet Arbeit – und führt zur Rebellion oder zur Resignation. Oder Arbeit wird hingenommen – und als tagtägliche Last ­akzeptiert. Oder Arbeit erfreut – und mündet in Bestätigung und Selbstfindung. Die Nuancen da­zwischen sind vielfältig, sie bleiben aber weitest­gehend in diesem Rahmen.

Aktuelles

Drei aktuelle Beispiele: In Thomas Stubers »In den ­Gängen« (2018) ist die Arbeitswelt eines großen Supermarkts eher Dekor. Der Mann im Zentrum der Geschichte darf gerade mal sieben oder acht Kisten in die Regale räumen; ansonsten macht er Pause, trinkt Kaffee, raucht, redet – und fährt viel Gabelstapler. Seine Kollegin nennt ihn »Frischling«, sieht ihn spöttisch an, lacht, scherzt – und lebt ansonsten in einem Haus, das mit gutbürgerlichen Interieurs ausgestattet ist. Kein Drama also um Schinderei, die quält und schmerzt, eher ein Spiel im Markt gegen die Lücken in den Waren. Was beide nicht erfüllt, sie nehmen es nur hin, Tag für Tag. Ihnen geht es um Akzeptanz, so als tauge die tagtägliche Fron doch als Paradies für einige, denen sonst nichts bleibt.

Einen aufrichtigeren Entwurf gibt es in David Nawraths Film »Atlas« (2018). Der handelt von einem älteren Möbelpacker, der mit Kollegen auf Gerichtsbeschluss Wohnungen ausräumt. Tag für Tag trägt er schwere Kommoden, Schränke, Regale zum Lkw. Abends schont er den Rücken, indem er sich auf den nackten Fußboden legt. Morgens sucht er sich mit Kraftübungen zu stärken. Sein Alltag ist eine einzige Pein. Und die leugnet er nicht, er erträgt sie. Ihm geht es ums Überleben, um das er immer aufs Neue kämpft.

»Der seidene Faden« (2017). © Universal Pictures

Ganz anderes in Paul Thomas Andersons »Der seidene Faden« (2017): Da geht es um die Obsessionen des Schneiders Reynolds Woodcock, der mit Eingebung und Gewandtheit seine Kleider entwirft, dann die Stoffe auswählt, sie kreidet, zuschneidet, näht – und damit die weibliche High Society seiner Zeit verzaubert. Er versteht sein Handwerk als Kunst. Und die fertigt er nicht, er zele­briert sie. Ihm geht es um Selbstfindung. Und um Schönheit, die er Tag für Tag aufs Neue schafft.

Hinnahme – Alltagsleid – Kunstfertigkeit: drei Facetten des Themas. Im Laufe der Zeit blieb physische Arbeit als Kunst wenig beachtet. Ausnahmen waren etwa: der Schneider in Robert Siodmaks »Pièges« (1939), der Eisenschmied in Kenji Mizoguchis »Das makellose Schwert« (1945), der Goldschmied in Edgar Reitz' »Cardillac« (1969), der Friseur in Hal Ashbys »Shampoo« (1975) oder die Köchin in »­Babettes Fest« von Gabriel Axel (1987). Das Leid im Alltag dagegen, die Mühsal und Quälerei, um mit der Hände Arbeit ein Leben zu fristen, das steht im Zentrum des Themas, darum geht es, wieder und wieder. Und das quer durch alle Kontinente – und quer durch die Zeiten. Wobei die Erfahrungen bei der Arbeit auch die Dramen im Privaten grundieren, ihnen die besondere Klangfarbe, den besonderen Ton verleihen.

Schufterei

Bilder von physischer Arbeit gab es schon im Stummfilm, bei Arbeitern, Bauern, Handwerkern. Es sind nicht immer realistische Entwürfe der tatsächlichen Anstrengung, eher Visionen einer brutalen Ausbeutung. Wie etwa in Fritz Langs »Metropolis« (1927). Da gerät der reiche Freder aus der Oberstadt in die untere Maschinenhalle. Wo Kolben stampfen, Schwungräder sich drehen, mechanische Hebel vor- und zurückstoßen. Und über allem zwei Uhren thronen: eine kleinere 24-Stunden-, darunter eine große 10-Stunden-Uhr, welche die Dauer der Schicht anzeigt. Die Maschinenhalle ist ausgestattet, um die Abhängigkeit der Menschen von den Apparaturen zu betonen. Wenn danach – in Freders Vorstellung – die Maschine sich in einen Moloch verwandelt, überhöht Lang diese Vision ins Extreme: Ventile werden zu Augen, Kesseln zu Pranken, und ein kleiner Eingang erscheint als riesiges Maul, das alles verschlingt, was in seine Nähe kommt. Beim Schichtwechsel dann: Bilder zweier Arbeiterkolonnen, die strikt in Reih und Glied geordnet nach vorne rücken, alle in dunkelgrauen Overalls und Kappen. Die Männer, die aus der Halle kommen, rechts, müde und mit gebeugtem Rücken, die, die in die Halle müssen, links, etwas wacher und aufrechter. Arbeit als unerträgliches Joch, und die Menschen, die sie leisten, als Willige für funktionierende Maschinen.

Konkreter, also näher an der sozialen Realität sind andere Filme: Werner Hochbaums »Brüder« (1929), Piel Jutzis »Mutter Krausens Fahrt ins Glück« (1929), Slatan Dudows »Kuhle Wampe« oder: »Wem gehört die Welt?« (1932). Darin »geht es um Arbeitslosigkeit, um soziale Benachteiligung, um Armut, Hunger und Wohnungsnot, denen schwer zu entkommen ist. Appelliert wird an die Solidarität der Betroffenen, am besten in einer Arbeiterbewegung«, fasst Hans Helmut Prinzler zusammen.

Es geht um Lebensverhältnisse, wie zur gleichen Zeit in den Filmen von Sergej Eisenstein. Da führt körperliche Arbeit immer zu Leid und Elend – und, so es zum Widerstand kommt, zu gewaltsamen Übergriffen wie in »Streik« (1925). Auch in »Panzerkreuzer Potemkin« (1925) enden die Auflehnung der Matrosen und die Verbrüderung der Bevölkerung auf der Treppe von Odessa in brutaler Metzelei. Und in »Die Generallinie« (1929) erweist sich die Not der Bauern als Folge tagtäglicher Schinderei. Sinnbild dafür ist ihre Kuh, die beim Pflügen zusammenbricht, so dass den Bauern nur bleibt, deren Last zu übernehmen – und sich selbst vor den Pflug zu spannen. Eine Metapher, wie so oft bei Eisenstein: Menschen, die, um zu überleben, zum Ersatz ihrer Tiere werden, also degradiert zu viehischen Wesen. Historische Wahrheit? Propagandistische Übersteigerung?

Entzückung

Andererseits gab es schon früh auch Bilder von Freude während und nach der Arbeit; die Autoren und Regisseure kannten es von Laurence Sterne: »Als Korporal Trim seine beiden Mörser zustande gebracht hatte, da entzückte ihn das Werk seiner Hände über die Maßen.« In Fritz Langs »Die Nibelungen« (1923) etwa ist Siegfried zu Beginn zu sehen, wie er unter großer Anstrengung sein Schwert schmiedet und schärft – und immer wieder prüft, wie weit er mit seiner Arbeit ist, voller Stolz. In Alexander Dovzhenkos »Erde« (1930) feiern die Bauern ihr Tun . Endlich hat die Revolution gesiegt, auch in der Ukraine. Und die Kooperative bekommt einen Traktor, um zu pflügen oder die Ernte einzuholen. Die Bauern arbeiten hart, fühlen sich aber beflügelt durch die gesellschaftlichen Erneuerungen. ­Körperliche Mühe als schöpferischer Wert für alle. Dovzhenko unterstreicht dies, indem er in einer längeren Montagesequenz verdeutlicht, was aus dem geernteten Getreide wird: vom Mähen übers Mahlen bis zum Kneten des Teigs und zum Brot. Ein Aufruf zur Veränderung. Auch ein poetisches Plädoyer für Solidarität!

Verfinsterung

In den 1930er Jahren warfen die französischen Filme des Poetischen Realismus einen neuen Blick auf die Arbeitswelt, in der »die ­alles dominierende Klangfarbe die der Nostalgie und der Bitterkeit« war. Mal geht es um einfache Helden, mal um »schäbige Figuren«, die »am Rande der Gesellschaft leben« (David Bordwell), bei denen jedoch, egal was sie tun oder lassen, immer klar bleibt, wovon sie leben. Das Wundersame dabei ist, dass die Protagonisten dieser Filme zwar als Opfer ihrer sozialen Lage gezeichnet sind, oft in dunkelsten Grautönen, aber dennoch an neue Chancen glauben. Sie haben die Hoffnung, dass alles noch anders werden kann. Je tiefer sie dann die quälende Situation ihrer Arbeitswelt empfinden, desto klarer kommen sie zu sich selbst. Die Fließbandarbeiter in René Clairs »À nous la liberté« (1931). Die Kahnschiffer in Jean Vigos »L'Atalante« (1934). Die Fremdarbeiter in Jean Renoirs »Toni« (1935). Die Arbeitslosen in Julien Duviviers »La belle équipe« (1936). Der Maschinist in Marcel Carnés »Le jour se lève« (1939), der große Maschinenteile mit Hochdruckluft säubert und behauptet: »Arbeit ist Freiheit. Und Gesundheit.« Entweder sie nehmen hin, wer und was sie sind. Oder sie kommen zu Tode. Die physische Mühsal prägt, doch sie bindet nicht.

Diese Filme zeichnet aus, dass die Arbeitswelt stets präsent, das Geschehen aber der Atmosphäre untergeordnet bleibt, die schwarz und poetisch zugleich ist. Durch das Spiel von Licht und Schatten und die vielen Nuancen zwischen Mittel- und Dunkelgrau wird das Abbildhafte der Szenen gemildert – und das wahrere Gesicht des Realen offenbart. In »Toni« arbeitete Renoir zudem mit einer »Ästhetik der Diskrepanz, der décalage«, so dass die harte Arbeit im Steinbruch sich im privaten Alltag durch Verschiebungen auswirkt, da liegt dann die Handlung »auf liebenswürdige Weise neben dem Sujet«, das Spiel der Darsteller »neben den Rollen« und das Ereignis »neben der Situation«. So werden die Wunden sichtbar, die das Allgemeine im Individuellen schlägt. Und der Film kommt »zu mehr Realismus und mehr Ausdruck«, zu mehr Bedeutung »durch ein Mehr an Realität« (André Bazin).

John Ford

Die Jahre 1940/41 boten John Ford eine Reihe ungewöhnlicher He­rausforderungen. Er hatte gerade für Darryl F. Zanucks 20th Century-Fox das Biopic »Young Mr. Lincoln« und den Frühwestern »Drums Along the Mohawk« gedreht. Da schlug ihm der Studioboss vor, sich mit Arbeitswelten zu beschäftigen: mit enteigneten Farmern in Oklahoma in »The Grapes of Wrath«, verarmten Pflanzern in North Carolina in Tobacco Road und verelendeten Bergarbeitern in Wales in »How Green Was My Valley«. Ford nahm das Angebot an – und so gelang ihm in schneller Folge eine für Hollywood einzigartige Trilogie über »die Gesellschaft in Unruhe und Auflösung« (John Baxter).

»The Grapes of Wrath« etwa, eines der grandiosen Meisterwerke des Classical Hollywood, erzählt von Menschen, die ihr Leben lang den Boden ihrer Farm bearbeitet haben – und von einem Tag zum anderen davon nicht mehr leben können. Wie eine Vergewaltigung inszeniert Ford den Moment, als das erste Haus der Farmer durch eine riesige Planierraupe niedergewalzt wird. Wobei er sie als bloße Opfer stilisiert, so hilf- wie wehrlos, wenn die Kamera weg von ihren Gesichtern auf den Boden vor ihnen schwenkt, ihre Körper zu regungslosen Schatten geschrumpft. Danach bleibt ihnen nur die Flucht nach Westen. Doch je weiter sie kommen – und je mehr Trucks mit ihnen in die gleiche Richtung fahren –, desto klarer wird ihnen, wie sehr sie nur Teil einer großen Leidensgemeinschaft sind. Einen Handzettel tragen sie mit, der 800 Obstpflückern Arbeit verspricht. Wenn sie dann aber hören, von diesen Zetteln gebe es Tausende, ahnen sie, dass ihre Reise ins Gelobte Land Kalifornien auch in die Hölle führen kann. Und tatsächlich erwarten sie nur Elend, Hunger und Mangel – nirgendwo Arbeit. Wenn sie dennoch schuften dürfen, hin und wieder, werden sie betrogen, schlecht bezahlt oder von den Sheriffs, die für die reichen Grundbesitzer alles ordnen, bestraft und geschlagen. So bleibt dem Mann im Zentrum am Ende bloß die offene Rebellion: »Wo immer es eine Prügelei gibt, damit die Hungrigen was zu essen kriegen, bin ich dabei!«

Aufschrei

Mitte der 1940er Jahre rückten dann Bilder von körperlicher Arbeit rigoros in den Mittelpunkt einiger Filme. Im italienischen Neorealismo ging es um Schuhputzer (»Sciuscà«, 1946), Fischer und Maurer (»La terra trema«, 1947), Plakatkleber (»Ladri di biciclette«, 1948), Reispflücker (»Riso amaro«, 1949). Durch die Beachtung dieser sonst eher kinofernen Protagonisten wurde ein anderer, adäquaterer Sinn für das Wirkliche entwickelt. Es ging um eine neue Haltung gegenüber der Realität, die nicht mehr interpretiert, sondern evident werden sollte. Der arbeitende Mensch im Verhältnis zu seinem sozialen Milieu – das ist Thema und zugleich Sujet der Filme. Im Tagtäglichen sollte das Besondere zu sehen sein, das oft nur in kurzen Blicken, kleinen Gesten, minimalen Verhaltensänderungen liegt – und von den Wunden (oder der Würde) der Geschlagenen und Verlorenen handelt. In den Filmen des Neorealismo bleibt das Geschehen vieldeutig, da es nicht eingebunden wird in eine klärende Mise en Scène oder eine sinnbildende Dramaturgie. Die Filme boten, wie Bazin 1955 notierte, »ein Universum reiner Tatsachen«, das zu respektieren heiße: »es von allem, was nicht wesentlich ist, freizulegen, um in der Einfachheit die Vollständigkeit zu erreichen.«

Höhepunkt dieses Epochalstils ist sicherlich Luchino Viscontis »La terra trema«, in dem sich die Fischer eines sizilianischen Dorfes wehren gegen die Macht der örtlichen Großhändler. Sie versuchen, sich unabhängig zu machen: arbeiten härter, knüpfen neue Kontakte, werben bei ihren Nachbarn um solidarischen Beistand. Zu sehen sind sie beim nächtlichen Fischfang mit ihren kleinen, wackligen Booten, eine Lampe vorn am Bug, beim Handeln um ihre Waren und bei ihrer Freude nach den ersten Erfolgen. Aber dann, da sie hinaus müssen aufs Meer, egal bei welchem Wind, egal bei welchem Wetter, geraten sie in einen Sturm, der all ihre Mühe zunichtemacht. Visconti­ findet dafür ein singuläres Bild. Er zeigt nur am Rande die Fischer mit ihren zerstörten Booten, erfasst dagegen länger ­ihre Frauen, die auf den schwarzen Uferfelsen ihrer harren und ­regungslos aufs Meer schauen: zunächst in Rückenansicht, dann von der Seite und von vorn, schließlich wieder von hinten, alle schwarz gekleidet, mit Schleiern überm Haar, die herumwirbeln im Wind. Ein Bild voller Kraft und Würde – ein einziger Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit der Welt.

Erhellung

Diese Haltung, nicht immer alles direkt zu zeigen, sondern es durch Szenen auf anderer Ebene zu spiegeln, zeichnete auch die Vertreter des britischen Free Cinema aus, die sich zehn Jahre später auf andere Weise der Darstellung physischer Arbeit widmeten. In den Filmen ging es nie um formale Innovation, selbst die Lichtgebung wurde ­heller und weicher, sondern um »die Schilderung der sozialen ­Realität, um die Sondierung des Banalen, Alltäglichen, Durchschnittlichen mit den Mitteln des Films« (Ulrich Gregor). Protagonisten sind oft Arbeiter, die gegen den Konformismus in der Gesellschaft aufbegehren. Keine Männer des Widerstands, nur radikale Individualisten, die sich den entfremdenden Lebensbedingungen widersetzen und nach eigenen Regeln zu leben versuchen. Ziel der Filme ist eine Poesie des Alltags, konzentriert auf soziale Probleme im Thema, realitätsnah, fast naturalistisch im Stil. Und der ist bestimmt durch eine episodische Dramaturgie; durch den dokumentarischen Gestus der Kamera; durch die Dreharbeit an Originalschauplätzen; durch ein sozial verankertes Ambiente ­(Arbeitswelt, Pubs, Küche); durch authentisches Interieur; durch eine eher schroffe Montage; durch die Besetzung mit bis dahin unbekannten Darstellern; durch die Vorliebe für Schwarz-Weiß-Fotografie.

Paradigmatisch dafür steht Karel Reisz' »Saturday Night and Sunday Morning« (1960), gedreht nach dem Roman von Alan Sillitoe. Der Film zeigt das Leben eines jungen Fabrikarbeiters in Nottingham, der bloß Schuften in der Woche und Saufen am Wochenende kennt. Beides erledigt er mit Kraft und Zorn – und Pöbeleien. Wo immer es geht, pflegt er sein »respektloses, aufsässiges und aggressives Auftreten« (Jörg Helbig). Kollegen beleidigen, eine Nachbarin anrempeln, mit Bekannten um die Wette trinken, die Frau eines anderen erobern, dazu alle, die er trifft, provozieren oder anschreien: Nur in solchen Augenblicken kommt er zu sich. Im Grunde ist er, so Reisz, eine »traurige Person«: »terribly limited in his sensibilities« und »narrow in his ambitions«. Begrenzt und eng? Ja, selbstverständlich. Aber dies, das wird transparent, durch die Erfahrung, die er der physischen Plackerei entnimmt, Tag für Tag.

Erinnerungen

All diese Epochalstile, die sich um realistischere Darstellung der Arbeitswelt bemühten, aus der UdSSR, aus Deutschland, Frankreich, Italien, England, brachten einen neuen Ton ins Kino. Andere wichtige Filme, die sich Zeit dafür nahmen, menschliche Arbeit darzustellen, aus anderen Ländern, aus anderen Zeiten, sind für mich etwa Herbert J. Bibermans »Salt of the Earth« (1956), der zur Zeit des Free Cinema entstand; er handelt von der jämmerlichen Situation der Minenarbeiter in New Mexico Anfang der Fünfziger, die in einen quälenden Streik treten, nach und nach auch zusammen mit ihren Frauen, die zuvor zu Hause zu bleiben hatten. Dann ­Miguel Littins »Das gelobte Land« (1973), in dem einige Arbeitslose eine landwirtschaftliche Kooperative gründen, um ihr Leben zu ändern, doch, als sie dazu die Revolution ausrufen wollen, blutig vernichtet werden. Schließlich Chen Kaiges »Gelbe Erde« (1985), der von einem jungen Kommunisten handelt, der im Auftrag der Partei durch entlegene Dörfer zieht, um die beliebtesten Volkslieder zu sammeln und ihren Melodien später revolutionäre Texte zu unterlegen. Als er dabei den Bauern beim Pflügen hilft, sind Detailbilder des Pflügens eingeschnitten. So wird klar, wie beschwerlich diese Arbeit im ausgedorrten Boden in den Bergen ist. Auch wie gefährlich, da sie oft buchstäblich an den Rand des Abgrunds führt. Drei Filme aus den USA, aus Chile, aus China – drei Filme über elende Schufterei, um einen elenden Alltag zu sichern.

Ein weiterer Aspekt, dies aber eher am Rande der Überlegungen: die körperliche Arbeit als bloße Spielerei. Am berührendsten selbstverständlich bei Charlie Chaplin als Fließbandarbeiter in »Modern Times« (1935), bei Jean-Pierre Léaud als Schuhverkäufer in François Truffauts »Baisers volés« (1968), bei Matti Pellonpää als Müllmann in Aki Kaurismäkis »Schatten im Paradies« (1986); oder zuletzt bei Harry Dean Stanton als Pensionär in John Carrol Lynchs »Lucky« (2018).

Acht Stunden sind kein Tag

Das proletarische Milieu in einer TV-Familienserie, das war Anfang der 1970er Jahre hierzulande ein Novum. Dass die Serie zudem von Rainer Werner Fassbinder geschrieben und inszeniert wurde, war eine Provokation. Sie handelt von einem Werkzeugmacher und den Problemen in seiner Fabrik, von der Familie und seiner neuen Liebe. Und sie streift nahezu alle gesellschaftlich umkämpften Themen der Zeit: betriebliche Mitbestimmung, Integration der »Gastarbeiter«, steigende Mieten, Kinderbetreuung, Scheidung, Doppelbelastung der Frauen. Die Zuschauer waren begeistert, die Kritik blieb zurückhaltend. Von wenigen Ausnahmen abgesehen: »Fassbinders Serie, in der die Menschen (…) als mögliche Herren ihrer eigenen Geschichte erscheinen, ist für mich der einzige neue deutsche Film, der Aufklärung nicht als Demonstration eines aufgeklärten Autors vor Gleichgesinnten missversteht, sondern sie als eine pädagogische Arbeit am Bewusstsein der Unaufgeklärten wirklich in Angriff nimmt«, schrieb Wilfried Wiegand 1974. Inzwischen nehmen die würdigenden Stimmen zu.

Chroniken vs. Visionen

Die Filme der ersten Berliner Schule, die zeitgleich zu Fassbinders Serie entstanden, brachten einen eher gewerkschaftsnahen Ton in die Bilder. In Christian Ziewers »Liebe Mutter, mir geht es gut« (1972) etwa geht es um einem Schlosser, der aus Baden-Württemberg nach Berlin kommt und, als die Konflikte in seinem neuen Betrieb zunehmen, sich engagiert für seine Kollegen und aufruft zum Arbeitskampf, am Ende ohne Erfolg. In »Die Wollands« (1972) erzählen Ingo Kratisch und Marianne Lüdcke von einem Schweißer, der in der Fabrik Vorarbeiter werden will und in eine Krise gerät, als die Beförderung abgelehnt wird; wobei der Film auch deutlich macht, wie sehr dies abfärbt auf das Leben im Privaten, auf den Alltag mit Frau und Kind. Schließlich ist da Max Willutzkis »Der lange Jammer« (1973), der von einem Aufstand im Märkischen Viertel handelt, nachdem die willkürliche Mieterhöhung einer Wohnungsbaugesellschaft die üblichen Grenzen sprengt. Diese Filme wirken wie Anfügungen zur Chronik des Jahres 1972, das politisch geprägt war von der Normalisierung der Beziehung zur DDR, ökonomisch aber von einer kritischen Zuspitzung der Wirtschaftslage.

»Western« (2017). © Piffl Medien

Die aktuelle Berliner Schule nutzt andere Stoffe, andere Erzählweisen. Regisseure und Regisseurinnen wie, unter anderen, Thomas Arslan, Christian Petzold und Angela Schanelec setzen stärker auf stilisierende, formal experimentellere Mittel. Wenn es in ihren Filmen um Arbeit geht, findet sie, abgesehen von Valeska Grisebach, die in »Western« (2017) von Arbeitern auf Montage in Bulgarien erzählt, weniger in Fabrikhallen oder Werkstätten, Feldern oder Supermärkten statt. Sie bedenken eher, wie sehr sich im Zeitalter der Monopolisierung und Digitalisierung alles verändert, verlagert, verschiebt. Dies heißt wohl, dass auch die Schauplätze der Arbeitswelt inzwischen an ganz anderen Orten liegen. Oder in ganz anderen Sphären.

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