Kritik zu Nurejew – The White Crow

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Ralph Fiennes erzählt von den formativen Jahren des Ausnahmeballetttänzers Rudolf Nurejew als zurückhaltende Zeitstudie, die ohne Russen- und Tanzklischees auskommen will

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Im Gegensatz zu vielen anderen Künsten erscheint das klassische Ballett heute als ein Hort des Unpolitischen – niemand regt sich über das Frauenbild in »Schwanensee« oder die Identitätspolitik von »­Giselle« auf. Dass das einmal ganz anders war, das bringt Ralph Fiennes in »Nurejew – The White Crow« in Erinnerung, wenn auch auf eher indirekte Weise. Als der damals 23-jährige sowjetische Tänzer Rudolf Nurejew 1961 die Gelegenheit eines Gastspiels in Paris nutzte, um in Frankreich um Asyl zu bitten, verletzte diese Tat multiple politische Sensibilitäten. Die Sowjetunion verurteilte ihn in Abwesenheit wegen Landesverrats; in Paris demonstrierten überzeugte Kommunisten gegen ihn, während überzeugte Antikommunisten seine »Flucht« als Punktgewinn fürs eigene Lager vereinnahmten. Und über die damals wirklich heiklen Themen wie Nurejews Homosexualität wurde gar nicht offen diskutiert.

Fiennes, der sich an die faktisch bestens recherchierte Biografie von Julie Kavanagh (»Nurejew. Die Biographie«) hält, nimmt das Paris-Gastspiel zum Ausgangs- und zum Endpunkt seiner Biopic-Skizze. Der Film setzt ein mit den staunenden Augen des jugendlichen Nurejew (verkörpert vom russisch-ukrainischen Tänzer Oleg Ivenko) auf die Kulturhauptstadt Paris, erzählt von den Eskapaden, die ihm zunehmend Ärger mit den die Balletttruppe begleitenden »Aufpassern« einbringen, und beleuchtet dazu in Flashbacks sein Aufwachsen und seine Ausbildung, von der spektakulären Geburt in einem Zug der Transsibirischen Eisenbahn bis zur angesehenen Tanzschule in Leningrad, wo man ihn annimmt, obwohl er mit 17 für die klassische Ausbildung schon zu alt scheint. Was auf den ersten Blick nach willkürlichem Hin- und Herschneiden zwischen den Zeitebenen aussieht, verdichtet sich nach und nach zu einem Statement: Der in ärmlichsten Verhältnissen in der baschkirischen Provinz aufgewachsene »Rudik« musste sich seine Tanzkarriere tatsächlich »against all odds« erkämpfen. Dass so einer es schließlich nicht erträgt, dass man ihm Vorschriften darüber macht, mit wem er in Paris ausgehen soll, erscheint nur logisch.

Oleg Ivenko hat zwar nicht die Ausstrahlung und die Bühnenpräsenz, die Nurejew zum Ereignis machten, aber er trifft dessen gewollte, wie als Waffe geführte Arroganz ziemlich genau. Die schwierige Persönlichkeit, die man Nurejew von seinen Anfängen in Leningrad schon nachsagte, wird in Ivenkos Interpretation als Haltung sichtbar, mit der sich ein Hochsensibler gegen die Einschätzungen von anderen abschottet. Der einzige, der ihm sein übles Temperament nicht nur nachsieht, sondern es als Wille zur Kreativität durchschaut, scheint Tanzlehrer Puschkin zu sein, den Ralph Fiennes mit großer Zurückhaltung selbst spielt – wobei er übrigens ein sehr passables Russisch spricht.

Fiennes inszeniert oft wie gegen den Strich: Wo man die Ovation erwartet, den durchschlagenden Erfolg, setzt er zuerst die Stille – und die Einsamkeit des Auftretenden. Immer wieder zeigt er die Plackerei an der Stange, die unermüdliche Arbeit der Füße. Sein Film nimmt den Tanz ernst – und erweist damit seinem Helden, für den Ballett das Lebenselixier schlechthin war, die schönste Reverenz.

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