Kritik zu Assassination Nation

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Sam Levinson greift das Motiv der Hexenprozesse von Salem auf und lässt erneut eine Massenhysterie in dem kleinen Städtchen ausbrechen. Auslöser sind diesmal gehackte Daten, die die Geheimnisse vermeintlich braver Bürger verraten

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Es beginnt mit einer ganzen Litanei von Trigger-Warnungen. In riesigen blau-weiß-roten Lettern kündigt Regisseur und Drehbuchautor Sam Levinson an, was das Publikum verstören oder verärgern könnte. Natürlich sind diese Warnungen vor Gewalt, Homophobie, Drogenkonsum, Sex, Nationalismus und Folter zugleich auch Versprechen. Die Bilder, die diese zu Reizworten gewordenen Schlagworte begleiten, deuten Exzesse an, die das Herz eines jeden B-Movie-Liebhabers und Exploitation-­Aficionados höher schlagen lassen. Aber jenseits dieses Spiels mit Erwartungen offenbaren Levinsons Trigger-Warnungen noch etwas anderes. Sie erzählen von einem Land, in dem praktisch alles Kontroversen heraufbeschwört. An unzähligen Fronten stehen sich Parteien gegenüber, zwischen denen ein Dialog nicht mehr möglich erscheint. Also muss man ständig jeden warnen.

Schon einmal hat sich in der kleinen Stadt Salem das Herz der US-amerikanischen Finsternis offenbart. Damals, im Jahr 1692, waren es die Hexenprozesse, in denen der herrschende Puritanismus in Terror umschlug. Gut 425 Jahre später löst ein anonymer Hacker, der zunächst den homophoben Bürgermeister der Stadt als Transvestiten enttarnt und später die halbe Gemeinde ins Visier nimmt, erneut eine Massenhysterie aus. Ins Zentrum der eskalierenden Ereignisse geraten dabei die unangepasste Schülerin Lily (Odessa Young) und ihre drei besten Freundinnen, Bex (Hari Nef), Em (Abra) und Sarah (Suki Waterhouse). Ein einsamer Jugendlicher denunziert Lily, die selbst Opfer der Leaks wurde und nun aufgrund einiger Sexting-Nachrichten als »Hure« gilt. Fortan machen große Teile der Bewohner von ­Salem Jagd auf sie und ihre Freundinnen.

Die Nacht der neuerlichen Hexenverfolgung, in der sich die Ressentiments des männlichen weißen Amerikas gegen Frauen und Transsexuelle wie Bex, gegen Schwarze und Schwule Bahn brechen, erinnert in Sam Levinsons Inszenierung deutlich an die Exzesse in den »The Purge«-Filmen. Der außer Kontrolle geratene Mob trägt auch in »Assassination Nation« Masken, die noch einmal die rassistischen Motivationen seines Wütens unterstreichen. Aber entgegen der anfänglichen Trigger-Warnungen geht Levinson letztlich doch nicht dahin, wo es wirklich wehtun könnte. Die Schusswechsel in den Straßen von Salem bleiben ebenso wie alle vermeintlichen Tabubrüche Spielereien, in denen Levinson vor allem seiner Lust an popkulturellen Zitaten und Verweisen wie etwa auf das japanische Bad Girl-Genre der 70er und 80er Jahre frönt.

Dennoch erzählt dieses satirische Porträt der Vereinigten Staaten viel über unsere ­Gegenwart. Dass die Gewalt immer wieder von Männern ausgeht, deren Ego einen Knacks bekommen hat, ist hochaktuell. Und mit der von dem Transgender-Model Hari Nef gespielten Bex hat Levinson eine komplexe Identifikationsfigur geschaffen, die nicht nur für die durch die US-amerikanische Gesellschaft gehenden Gräben steht. In ihrer fast schon romantisch gezeichneten Beziehung zu einem High-School-Footballstar deuten sich auch Wege an, eben diese Gräben zu überwinden.

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