Kritik zu The Commuter

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Fremde im Zug: In Jaume Collet-Serras ziemlich waghalsigem Konzeptthriller bleibt Liam Neeson mal wieder nur wenig Zeit, um eine Katastrophe zu verhindern

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Im klassischen Hollywood wäre er ein waschechter B-Filmer gewesen, zu Hause in allen Genres, mit den Regeln des Handwerks bestens vertraut, spezialisiert auf geradlinige Geschichten. B-Filme gibt es schon lange nicht mehr, jedenfalls nicht im Kino, aber Jaume Collet-Serra dreht trotzdem welche: in technischer Hinsicht pompös, mit großen Stars besetzt, im Kern aber eben doch »nur« dreckige kleine Thriller, die nicht mehr wollen, als packend zu unterhalten. Dabei hat der Spanier inzwischen sein eigenes Subgenre geschaffen, eine Art Versuchsreihe über Menschen in Extremsituationen: Ein Mann erwacht aus dem Koma und sieht sich seiner Identität beraubt (»Unknown Identity«); während eines Transatlantikflugs versucht ein Air Marshal, einen Terroranschlag auf die Maschine zu verhindern (»Non-Stop«); eine einsame Surferin erwehrt sich auf einem Felsen der Attacken eines Hais (»The Shallows«). Collet-Serra macht ein Kino der Konzepte, das auf jede Wahrscheinlichkeit pfeift.

Und dabei beruft es sich, natürlich, auf Alfred Hitchcock, dessen kühne Konstruktionen es mit Logik und Plausibilität ja auch nicht so genau nahmen. »The Commuter«, zu Deutsch »Der Pendler«, leiht sich die Ausgangsidee von »Der Fremde im Zug«, spitzt sie aber radikal zu: als hätten Farley Granger und Robert Walker beschlossen, ihren Deal gleich während der Bahnfahrt und innerhalb der nächsten Stunde in die Tat umzusetzen. Mehr Zeit jedenfalls bleibt Michael MacCauley (Collet-Serras Serienheld: Liam Neeson) nicht, um die schier unmögliche Aufgabe zu erledigen, die ihm eines Tages eine schöne Unbekannte (Vera Farmiga) während der Heimfahrt mit auf den Weg gibt. Der brave Familienvater und Versicherungsangestellte soll einen rätselhaften Passagier und dessen Tasche ausfindig machen – andernfalls steht das Leben seiner Familie auf dem Spiel. Und so beginnt eine fiebrige Variante des Whodunit (eigentlich: Whoisit): Ohne weitere Informationen und ohne irgendwelche Hintergründe zu kennen, klappert MacCauley die Passagiere des Pendlerzugs ab, eine Marionette, die nicht weiß, von wem und wohin sie geführt wird. Aber auch: ein Ex-Cop, der keineswegs zufällig für diese Mission ausgewählt wurde und der auf seine alten Tage noch einige Tricks drauf hat.

Collet-Serra erweist sich mit »The Commuter« einmal mehr als begnadeter Kamerazauberer. Schon die furiose Titelsequenz, die zehn Jahre Pendlerleben zu einer grandiosen Zugfahrt verdichtet, ist eine inszenatorische Meisterleistung. Später staunt man immer wieder über die Kunst, die Kamera auf engstem Raum zu entfesseln und aus einem begrenzten Schauplatz so viel herauszuholen. Allerdings würde man sich wünschen, dass Collet-Serra in seine Stories genauso viel Liebe investieren würde wie in ihre optische Umsetzung. Trotz der raffinierten Ausgangsidee ist es ihm und den beiden Autorendebütanten Byron Willinger und Philip de Blasi nicht gelungen, eine ähnlich gewiefte Auflösung zu ersinnen. Ihr Zug rollt einem zwar explosiven, jedoch auch mächtig unglaubwürdigen Finale entgegen.

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