Kritik zu Nocturnal Animals

© Universal Pictures

2016
Original-Titel: 
Nocturnal Animals
Filmstart in Deutschland: 
22.12.2016
L: 
116 Min
FSK: 
16

Der Modemacher Tom Ford verfilmt in seiner nach »A Single Man« mit Spannung erwarteten Regiearbeit einen Roman von Austin Wright, in dem eine Frau das Manuskript ihres ersten Mannes liest, den sie Jahrzehnte zuvor für ein vermeintlich besseres Leben verlassen hatte

Bewertung: 4
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Schon in den ersten Bildern herrscht ein beunruhigender Widerspruch zwischen abstoßender Hässlichkeit und perfektionistischer Ästhetik: Zu sehen ist in Zeitlupe waberndes Fleisch von alten, grotesk fetten Frauenkörpern vor einem leuchtend roten Vorhang. Die Damen sind Teil einer Ausstellung, die die Galeristin Susan Morrow (Amy Adams) kuratiert hat. Wie Skulpturen sind die gigantischen Burlesque-Tänzerinnen aus den Projektionen dazu auf weißen Podesten drapiert.

Auch in seinem zweiten Spielfilm, sieben Jahre nach »A Single Man«, interessiert sich der Modeschöpfer Tom Ford spürbar für Fragen von Stil und Ästhetik, für die Verbindungen und Brüche zwischen Kunst und Leben. Mit abgezirkelten Kamerabewegungen vermisst er die Welt, die malerisch verschlungenen Autobahnen von Los Angeles ebenso wie die Architekturen aus Stahl, Glas und Beton, die eher wie Aquarien wirken als wie Lebensraum, wie Musterwohnungen fürs schöne Wohnen, in denen niemand lebt. Wie in »A Single Man« geht es auch hier um Entfremdung und Einsamkeit in der modernen Welt, um eine Form der Trauerverarbeitung, die man in diesem Fall auch schlicht Midlife-Crisis nennen könnte.

Neben den ausufernden Leibern der Modelle in ihrer Installation wirkt Amy Adams als Galeristin im adretten Kostüm und mit makellos gestylten Haaren deplatziert. Ihre Fremdheit im äußerlich so perfekten Leben spricht sie selbst einmal gedankenverloren aus, es fühle sich so an, als habe es sich in etwas verwandelt, was sie nie gewollt habe. Wie in einem letzten, hilflosen Aufbäumen schlägt sie ihrem perfekten Mann Hutton (Armie Hammer) in der perfekten Wohnung vor, ein gemeinsames Wochenende zu verbringen, vielleicht irgendwohin zu fahren. Doch der fliegt stattdessen zu einem Geschäftstermin, wahrscheinlich mit einer Geliebten. Just in diesem Moment der Leere knallt die Vergangenheit in Form eines Manuskriptbrockens auf ihren sauberen Küchentisch: ein Roman, geschrieben von ihrem ersten Mann Edward (Jake Gyllenhaal), von dem sie zwanzig Jahre lang nichts mehr gehört hat, seit sie ihn für Hutton verlassen hat.

Als Film im Film verströmt der Roman eine düstere Kraft, mit verschlüsselten Parallelen zur realen Welt. Im Kontrast zum urbanen L.A. spielt er in der texanischen Weite. Jake Gyllenhaal taucht hier in einer Alter-Ego-Version als Familienvater Tony auf, der im Auto mit Frau und Tochter durch die menschenleere Landschaft fährt. Das Auto wird von drei jugendlichen Rednecks von der Straße gedrängt, die die Frauen entführen und Tony lädiert allein zurücklassen. Zusammen mit einem todkranken Cowboy-Detective (Michael Shannon) macht er sich am nächsten Morgen auf die Suche nach den Frauen und den Tätern.

Dieser schmutzige Neo-Noir-Thriller dünstet Gefühle von Schuld und Hilflosigkeit aus, die auf die Leserin Susan übergreifen. Immer schreckhafter wird sie, flackernd zwischen Traum, Erinnerung und Wirklichkeit. Ist der Roman ein Racheakt, mit dem ihr Exmann seinen Schmerz exorziert? Oder ist seine destabilisierende Wirkung dem labilen Zustand von Susan geschuldet, die ihre Lebensentscheidungen infrage stellt? »Du weißt, ich schlafe nie«, sagt sie einmal zu einer Bekannten, als Erklärung für den Titel des Romanmanuskripts: »Nocturnal Animals«. Nachtaktive Wesen. Aber auch als Beschreibung ihres somnambulen Zustands zwischen Wachen und Träumen, Wahrnehmung und Vorstellung.

Auf raffinierte Weise hält Tom Ford das Spannungsverhältnis zwischen den zwei Ebenen der Geschichte in der Schwebe, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen steriler Stadt und wüstem Land, zwischen gezähmten Gefühlen und wilden Leidenschaften. Unterschwellig erzählt der Film aber auch vom Ringen des Regisseurs mit dem Modeschöpfer, des Geschichtenerzählers mit dem manischen Stylisten, der auch noch die grausamsten Szenen und die heruntergekommensten Orte makellos arrangiert.

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