Venedig: Filme, auf die man wartet

»Aufbruch zum Mond« (2018). © Universal Pictures

»Aufbruch zum Mond« (First Man, 2018). © Universal Pictures

Am Mittwoch beginnt das 75. Filmfestival von Venedig – mit einem Programm, das als Auftakt zum Oscarrennen gehandelt wird und von so viel Prominenz bestimmt ist, dass alle Kontroversen im Vorfeld überstrahlt wurden

Das älteste Filmfestival der Welt liebt schon immer die Superlative. In diesem, dem 75. Jahr eröffnet man mit dem neuen Film des jüngsten Regisseurs, der je den Regie-Oscar gewonnen hat: Damien Chazelle (»La La Land«) und seinem »First Man«. Der Film selbst handelt von einer seinerzeit die Welt in den Bann schlagenden Pioniertat; es geht um Neil Armstrong, den ersten Mann auf dem Mond. Mit Ryan Gosling verkörpert einer der beliebtesten Stars seiner Generation Armstrong; dessen Frau wird gespielt von Claire Foy, die mit ihrer Interpretation von Elizabeth II. in der Netflix-Serie »The Crown« berühmt wurde. Ob sich für Chazelle die Erfolgsgeschichte, die vor genau zwei Jahren hier am Lido mit »La La Land« begann, wiederholen kann? Oder wird ihm wieder ein Konkurrent den Haupt-Oscar, die Auszeichnung als Bester Film, in letzter Minute entreißen, wenn nicht im wörtlichen dann im übertragenen Sinn? Barry Jenkins, der mit »Moonlight« damals bei der Oscarverleihung so spektakulär »La La Land« ausstach, präsentiert jedenfalls auch seinen neuen Film nur wenige Tage später auf dem Festival in Toronto.

Womit man bei dem Thema wäre, das die Festivaldiskussion in Venedig seit ein paar Jahren beherrscht wie kein anderes. Venedig als Oscar-Sprungbrett – in dieser für die Filmindustrie wichtigen Funktion scheint die »Mostra« ihre neue Identität gefunden zu haben. Schließlich gewann mit »Shape of Water« in diesem Jahr erneut ein Film den Haupt-Oscar, der seine Premiere am Lido gefeiert hatte. Und Regisseur Guillermo del Toro ist nun zurück, um die diesjährige Wettbewerbs-Jury zu leiten, in der unter anderem Naomi Watts, Taika Waititi und Christoph Waltz über den Goldenen Löwen entscheiden.

»22 July« (2018)

Die alles dominierende Oscar-Frage lenkt die Aufmerksamkeit wie selbstverständlich zuvorderst auf die Produktionen, an denen Hollywood-Namen beteiligt sind – was naturgemäß Vor- und Nachteile hat. Zu den Vorteilen gehört, das mit den neuen Filmen von Regisseuren wie Paul Greengrass, Julian Schnabel und den Gebrüder Coen Titel dabei sind, auf die Kinofans in aller Welt warten. Greengrass präsentiert mit »22 July« seine Version der Ereignisse um das Breivik-Attentat auf der norwegischen Insel Utøya; in Julian Schnabels »At Eternity's Gate« spielt Willem Dafoe den Maler Vincent Van Gogh und das neue Werk der Brüder Joel und Ethan Coen, der Western »The Ballad Of Buster Scruggs«, glänzt mit einer Besetzung, die Namen wie Liam Neeson, Tom Waits, Brendan Gleeson, Tyne Daly, Tim Blake Nelson and James Franco aufbietet.

Einer der Nachteile der grassierenden Oscar-Obsession besteht darin, dass die nicht-amerikanischen Titel des Lido-Programms in den Hintergrund gedrängt werden, so sie nicht als Kandidaten wenigstens für die Sparte des »fremdsprachigen Films« in Frage kommen. In dieser Hinsicht kann sich in jedem Fall Florian Henckel von Donnersmarck qualifizieren, der mit seinem »Das Leben der anderen« 2007 in Hollywood gewann und nun seinen Film »Werk ohne Autor« im Rennen um den Goldenen Löwen vorstellt. Darin widmet sich Donnersmarck erneut der deutsche Geschichte und erzählt anhand der fiktiven Biographie eines in den 30er Jahren geborenen Künstlers vom langen Schatten, den die faschistischen Verbrechen in die Lebensrealitäten der DDR und BRD hinein warfen.

Auch der Ungar László Nemes gewann bereits ein Mal den Auslandsoscar, 2016 mit seinem Holocaust-Drama »Son of Saul«. Die Erwartungen an seinen neuen Film »Sunset« sind dementsprechend hoch. Genauso wie für das neue Werk des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos, der sich mit Filmen wie »The Lobster« und »The Killing of a Sacred Deer« eine internationale Fangemeinschaft erobert hat. Doch nicht nur die Fans handeln seinen »The Favorite« schon im Vorfeld als Favoriten, sowohl für den Goldenen Löwen als auch für einen Oscar, nicht zuletzt weil in der britisch-irischen-amerikanischen Koproduktion Emma Stone, Rachel Weisz, Nicholas Hoult and Olivia Colman mitspielen.

Ebenfalls heiß erwartet wird der neue Film des Franzosen Jacques Audiard (der mit seinem »Ein Prophet« immerhin für den Auslandsoscar nominiert war). Sein »The Sisters Brothers« weist nicht nur ein für den Franzosen ungewöhnlich prominentes Ensemble auf, dem neben Joaquin Phoenix, John C. Reilly, Jake Gyllenhaal und Rutger Hauer angehören, sondern verblüfft auch mit der Ankündigung, dass es sich um einen Neowestern und dazu noch um eine Komödie handelt. Beides sind für den Regisseur von »Ein Prophet« und »Dheepan« völlig neue Gebiete.

Die Highlights des Programms sind damit längst noch nicht erschöpfend aufgezählt: Kritik und Publikum am Lido freuen sich gleichermaßen auf »Peterloo«, in dem der britische Altmeister Mike Leigh (»Secrets and Lies«) die Geschichte eines staatlichen Massakers gegen Demonstranten von 1819 nachzeichnet, und auf »Roma«, das neue Werk des Oscar-Preisträgers Alfonso Cuarón, der nach dem Weltraum-Drama »Gravity« thematisch zurück auf die Erde und sogar in seine Heimat Mexiko zurückkehrt. Der Italiener Luca Guadagnino, der mit »Call Me By Your Name« groß herauskam, sorgt bereits seit Monaten mit dem Trailer seines Remake des Asia Argento-Horrorfilm-Klassikers »Suspiria« für Aufregung. Und nicht zuletzt zeigt Bradley Cooper außer Konkurrenz mit »A Star Is Born« sein Regiedebüt in Venedig, in dem er die bereits mehrfach verfilmte Geschichte vom alternden Star (von ihm selbst gespielt), der ein Starlet (verkörpert von Lady Gaga) auf den Weg bringt, in die Musikszene verlegt.

Über ein Programm, das mit so vielen großen Namen prunkt, sind die Kontroversen des Vorfelds schnell vergessen: Der Frauenanteil ist mit nur einer Regisseurin im Wettbewerb (die Australierin Jennifer Kent mit »The Nightingale«) erneut skandalös gering, wurde aber schulterzuckend hingenommen. Die Tatsache, dass im offiziellen Programm gleich sechs Netflix-Filme laufen, drei (Greengrass, Coen, Cuaron) davon im Rennen um den Goldenen Löwen, nachdem Cannes den Streaming-Anbieter aus dem Wettbewerb verbannt hatte, löste schon lautere Proteste aus. In einem Land wie Italien, in dem die Kinobesucherzahlen schon länger in der Krise sind als etwa in Frankreich, gibt es jedoch auch einige Stimmen, die in den neuen Konzepten der Filmdistribution auch eine Chance sehen wollen.

Das 75. Filmfestival von Venedig beginnt am 29. August und endet am 8. September mit der Vergabe des Goldenen Löwen.

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