Interview mit Miguel Alexandre über »Der Mordanschlag«

Miguel Alexandre © ZDF

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Herr Alexandre, wie ist dieser Stoff zu Ihnen gekommen?

Ganz klassisch über meine Produzentin Jutta Lieck-Klenke, mit der ich schon seit vielen Jahren zusammenarbeite und die mir ein dreiviertel Jahr vor Drehbeginn erzählte, dass sie an einem ganz spannenden Stoff arbeite. Dann hat sie mir zwei Sätze dazu gesagt und ich habe sofort »Hurra« geschrien, weil man so selten in der deutschen Fernsehlandschaft die Chance bekommt, einen waschechten Politthriller zu drehen. 

Wie sah in diesem Fall als Regisseur Ihre Mitarbeit am Drehbuch aus?

Ich habe das Buch in der ersten Fassung zu lesen bekommen und es sind danach noch fünf Fassungen entstanden. Die wesentlichen Änderungen, die dann in gemeinsamer Arbeit entstanden sind, hatten vor allem damit zu tun, inwieweit wir einer der Mordtheorien den Vorzug geben. Auch wenn ich mit unserem Drehbuchautor André Georgi darin übereinstimme, welche Version wir persönlich glauben, haben wir uns letztlich dazu entschieden, die verschiedenen Thesen zu der Ermordung von Rohwedder offen zu halten und den Zuschauern die Beurteilung der Ereignisse zu überlassen.

Mir hat diese Ambivalenz auch gefallen – verraten Sie trotzdem, welche Täter-Theorie von den drei möglichen (RAF, Stasi, Wirtschaftskreise) Sie und der Autor bevorzugen?

Wir glauben schon sehr daran, dass ehemalige Mitglieder der Stasi da ihre Finger im Spiel gehabt haben können. Die Art des Anschlags ist schon sehr speziell gewesen. Ich habe zum Beispiel den Dokumentarfilm »Wer erschoss den Treuhandchef Rohwedder« von 1998 gesehen und es war sehr interessant, was die beiden Filmautoren damals herausgefunden hatten, dass es nämlich zu DDR-Zeiten in Börnicke, nördlich von Berlin, eine Anlage der Stasi gegeben hat, wo Scharfschützen geübt haben. Die Beschaffenheit des Geländes war exakt genau wie die vor dem Haus von Rohwedder in Düsseldorf. Man musste im Trainingsgelände ebenfalls durch Bäume hindurch schießen. Dieser Schuss war so präzise, er ging mitten ins Herz, das erforderte schon einen besonderen Schützen. Und es gab noch eine andere Besonderheit: es ist ja vor Ort damals in Düsseldorf niemand gesichtet worden bei der Flucht, obwohl die Polizei sofort in der Nähe war. Die Theorie ist, dass die Täter nach hinten weggelaufen sein müssen, weg von der Strasse, Richtung Rhein. Denn hinter dieser Kleingartenanlage befand sich direkt der Fluss, man musste nur über mehrere Zäune klettern. Höchstwahrscheinlich sind die Täter durch den Rhein entkommen. Und Teil dieses Stasi-Geländes war ein Gewässer mit einer Gegenstromanlage, auf der man genau das üben konnte – mit einer Waffe auf dem Rücken den Fluss zu durchschwimmen. Das sind Tatsachen, die einem schon sehr zu denken geben, gleichwohl ist das meine private Ansicht, ich finde, man hat trotzdem nicht das Recht, der Spekulation Vorschub zu leisten. Denn ich kann das auch nicht beweisen. Und insofern glaube ich, war es richtig, es so anzugehen, dass wir die Theorien den Zuschauern präsentieren und ihnen die Interpretation überlassen.

Im Presseheft spricht der ZDF-Redakteur Wolfgang Feindt von »neuen Perspektiven«, die der Film eröffnet – die drei möglichen Tätervarianten zirkulieren aber ja schon seit längerem…

Ich glaube, was er damit meinte, ist: Die Zuschauer werden ganz anders involviert, indem wir die Figuren fiktionalisieren. Durch diese Emotionalisierung entsteht eine andere Auseinandersetzung mit diesen Theorien beim Zuschauer, als wenn er das in einem Zeitungsartikel liest, was einen ja weniger berührt. 

Ein emotionales Element, das mir beim Sehen sehr aufgefallen ist, die Rolle der Kinder. War das schon im Drehbuch angelegt?

Meine Aufgabe als Regisseur ist es, das, was im Drehbuch steht, emotional zu forcieren, es so authentisch zu erzählen, wie es nur geht, um eine emotionale Wirkung beim Zuschauer zu erzeugen. Die Führung der Kinderfiguren im Film war schon immer im Buch angelegt, das sehe ich auch als große Stärke, weil es auf die Opfer verweist. Dass sie auf allen Seiten gleichwertig behandelt werden, gefällt mir gut – weil man dadurch auch die Sinnlosigkeit begreiflich macht, was es bedeutet, sich zu radikalisieren und einer Ideologie anheimzufallen. Das ist ja der Hauptfigur Sandra Wellmann passiert. Letztendlich ist das der Schlüssel zu dem ganzen Film und für mich der Hauptgrund, warum ich den Film machen wollte (neben der großen Lust auf dieses Genre, das man selten bedienen kann). Es geht letztlich darum zu erzählen, was passiert mit einem Menschen, der sich radikalisiert – wie das einen Menschen von Innen auffrisst und wie der den Bezug zu seinen Gefühlen verliert und nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie mit in den Abgrund reißt, das ist für mich der Kern des Films. 

Sie haben gerade die Hauptfigur erwähnt: wie schwierig war es, die Balance zu finden zwischen ihrer Perspektive und den anderen Perspektiven? Der von Maximilian Brückner verkörperte BKA-Beamte hat ja auch eine private Geschichte. 

Das war eine Aufgabe für die Arbeit am Drehbuch: die Figuren so zu gestalten, dass sie ohne Wertung nebeneinander stehen. Das war für mich auch entscheidend, dass ich eben nicht mit einer eigenen erzählerischen Haltung Figuren inszeniert habe, sondern die Figuren in ihrer jeweiligen Situation inszeniert habe – egal, ob das Täter oder Opfer sind, die im Prinzip so nebeneinander zu stellen, dass auch dort die Wertung den Zuschauern überlassen wird. Denn erst, wenn auch Terroristen als Menschen erkennbar sind, wird die Ungeheuerlichkeit ihrer Taten richtig klar – und nicht, indem ich sie als Monster darstelle. Und auch die haben ihre Momente der Stille und der Ratlosigkeit. Mir war es sehr wichtig bei der Inszenierung, dass die Terroristen nicht wie Cowboys herüberkommen, dass ihre Taten nicht abenteuerlich wirken im Sinne von »das ist ja cool!« Das kann ja sehr schnell etwas Heldenhaftes bekommen. Ich wollte, dass die Zuschauer erkennen, wie beschissen ihre Lage ist. Sandra Wellmann ist ja eine großartige Figur, weil sie eine große Ambivalenz hat, auf der einen Seite hat sie das klare Ziel, der RAF zu helfen und zwar aus ideologischen Gründen – wir erfahren ja auch, woher diese Ideologie kommt und dass es jemand in ihrem Leben gab, der eben auch der Vater ihres Kindes ist und zu dem sie zurück will, das heißt, sie hat einen ganz starken Antriebsmotor, weswegen sie das macht. Interessant und spannend sind natürlich die Momente, wo sie mit ihrem Opfer, Dahlmann, zusammensteht und begreift, dass das ein Mensch ist, der etwas Gutes tun will, aber selber ein Opfer dieses großen Räderwerks ist. Etwa diese Szene in Frankfurt, wo sie auf den Wirtschaftanwalt warten und sie seine Zweifel spürt, ob er diesen Job noch weiter machen kann und sie ihn bestärkt, »Ja, dann hören sie doch auf!« Man sieht dabei in ihrem Gesicht, das ist für sie wie ein Hoffnungsschimmer – wenn er aufhören würde, dann müsste man ihn nicht umbringen und sie wäre aus der Sache wieder raus. Das sind für mich die entscheidenden Momente im Film, wo wir spüren, dass diese Ideologie etwas mit ihr macht und sie zweifeln lässt. Auf der anderen Seite gibt es Momente, etwa am Ende von Teil 1, wo sie zu der Hauptterroristin sagt, »Wir müssen ihn heute umbringen, denn in der nächsten Woche sind hier noch mehr Polizisten.« Genau dieses Wechselspiel finde ich unglaublich spannend in der Geschichte. 

Meinung zum Thema

Kommentare

Insgesamt gut gemachter Film mit überzeugenden Schauspielern/innen -
Tipp an den Regisseur: auch auf Kleinigkeiten achten: weibliche SEK/BK/LK-Beamtin läuft nicht mit Revolver in der Hand zum hochgefährlichem Einsatzort
auf: !!! S T Ö C K EL S C H U H E N !!!

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