Ida Lupino: Einzige Frau unter Männern

Ida Lupino auf der "National Film Society Convention" (1979). Foto: Alan Light

Ida Lupino auf der "National Film Society Convention" (1979). Foto: Alan Light

Ida Lupino, die am 4. Februar 100 Jahre alt geworden wäre, war nicht nur Schauspielerin, sondern auch Filmemacherin

Filmliebhabern ist sie bekannt als Hauptdarstellerin in den Filmen des Warner-Brothers-Studios während der 40er Jahre: Ida Lupino (1918-1995) war weder die klassische femme fatale noch die zu ihrem Mann aufblickende Gefährtin, sondern verkörperte meist eine selbstbewusste Frau, die auch ihre eigenen erotischen Bedürfnisse zu formulieren wusste. So konnte sie mit tough guys wie Humphrey Bogart (»High Sierra«) oder John Garfield (»Der Seewolf«) gut mithalten. Weit weniger bekannt ist, dass sie später als Regisseurin zwischen 1949 und 1954 sechs Spielfilme inszenierte, dabei zumeist auch an den Drehbüchern beteiligt war und ihre eigene Produktionsfirma besaß. Hinzu kommen mehr als 30 Episodenfolgen fürs Fernsehen, eben nicht für Komödien und Produktionen, die auf ein weibliches Publikum zielten, vielmehr Beiträge für die Serien »The Untouchables« und »The Fugitive« (Auf der Flucht):

Das ist umso bemerkenswerter, als zu dieser Zeit keine andere Frau in Hollywood hinter der Kamera stand – es gab zwar Filmemacherinnen im Bereich des experimentellen Films (wie Maya Deren), aber eben nicht im Mainstreamkino der Traumfabrik: Lupino war die einzige in der Lücke, die klafft zwischen Dorothy Arzner (die ihren letzten Film 1943 inszeniert hatte), und Elaine May (die 1971 mit »Keiner killt so schlecht wie ich« debütierte).

Vor 100 Jahren, am 4. Februar 1918, in London als Teil einer Schauspielerdynastie geboren, schrieb Lupino schon als Kind Theaterstücke und stand 1931 zum ersten Mal vor der Kamera. Sieben Jahre später hatte sie einen Vertrag in Hollywood unterschrieben.

Ihr (ungenanntes) Regiedebüt war 1949 »Not Wanted« (Verführt), bei dem sie für den erkrankten Regisseur Elmer Clifton einsprang: die Geschichte eines jungen, unverheirateten Mädchens, das schwanger wird und das Kind weggeben muss, um durch Arbeit ihr eigenes Überleben zu sichern (und später ein Baby entführt) war schon programmatisch für die fünf Regiearbeiten, die folgten: ein Problemfilm, in dem die Protagonistin, meist ein junge Frau, in den Nachkriegsjahren gegen widrige Lebensverhältnisse ankämpfen muss und dabei vor schwerwiegende moralische Entscheidungen gestellt wird. All diese Filme entstanden mit kleinen Budgets entstanden und bedienen sich in der Inszenierung und den Bildwelten beim film noir – Lupino verstand es, an die Sehweisen und Bedürfnisse des Publikums anzuknüpfen, um so ihre – von einer weiblichen Sichtweise geprägten – Auffassungen publik zu machen.

In »Hard, Fast and Beautiful« geht es um eine junge Tennisspielerin, von ihrer ehrgeizigen Mutter in immer neue Wettbewerbe und in fragwürdige Sponsorenverträge gedrängt, die entscheiden muss, wie lange sie dieses Spiel noch mitspielen will. In »Never Fear« (Lügende Lippen) wird ein Tänzerin von einer Polioerkrankung aus der Bahn geworfen, in »Outrage« eine junge Frau nach einer Vergewaltigung in ihrem Heimatort stigmatisiert.

Dabei zeigt sich die filmische Intelligenz von Lupinos Filmen sowohl in der Vielschichtigkeit der Figuren als auch der Nüchternheit ihrer Inszenierung. Das gilt auch für einen ihrer bekanntesten Filme: »The Hitch-Hiker« (1953), ein Thriller in Gestalt eines schnörkellosen Kammerspiels für drei Personen. Zwei biedere Durchschnittsmänner, einstige Armeekameraden, geraten auf einem Wochenendtrip in die Gewalt eines psychopathischen Kriminellen. Dabei funktioniert der Film nicht nur als düsterer film noir in sengend heißer Wüstenland, sondern vermittelt darüber hinaus Einblicke in gesellschaftliche Zwänge und Rollenzuweisungen, etwa wenn die Angelpartie den beiden Männern auch die Möglichkeit bietet, für ein Wochenende den gesellschaftlichen Zwängen von Beruf und Familie zu entfliehen und der verlorenen Jugend nachzuhängen.

Der ebenfalls 1953 entstandene »The Bigamist« (Der Mann mit den zwei Frauen) erzählt im nüchtern-realistischen Tonfall des Nachkriegsfilms von einem Ehepaar, das Leben und Arbeit miteinander teilt. Für eigene Kinder hat die Zeit dabei nie gereicht. Als sie jetzt ein Kind adoptieren wollen, kommt heraus, dass der Mann bereits Vater eines Jungen ist und zudem mit dessen Mutter verheiratet. Eine lange Rückblende enthüllt, wie es dazu kam. Die andere Frau – von Lupino selbst verkörpert – hat er auf einer Dienstreise kennengelernt. Die Schwangerschaft hat sie ihm verschwiegen, ihn verlassen und sich als alleinerziehende Mutter durchgeschlagen, bis es ihm eines Tages gelang, sie wieder ausfindig zu machen.

Mag auf den ersten Blick die legitime Ehefrau diejenige sein, die mit ihrer Fixierung auf das Geschäft das Unheil heraufbeschwört, so gelingt es dem Film mit dem Fortschreiten seiner Handlung, den Zuschauer Anteil nehmen zu lassen an den widerstreitenden Gefühlen aller drei Hauptfiguren – der vom Hamsterrad des Kapitalismus geschwächte Mann nicht als Opfer einer femme fatale wie im film noir, sondern als Opfer gesellschaftlicher Normen, denen er nicht gerecht werden kann. Das ist wegweisend, auch heute noch.

Gemeinsam mir ihren zweiten Ehemann Collier Young hatte Lupino die Produktionsgesellschaft »The Filmakers« gegründet, gemeinsam zeichneten sie für die Drehbücher verantwortlich, darunter auch für einige, die Lupino nicht selber inszenierte. Dazu zählt »Private Hell 36« (Hölle 36), 1954 von Don Siegel in Szene gesetzt. Vor der Kamera agierte Lupino dabei zusammen mit ihrem dritten Ehemann Howard Duff. Man darf sich die Atmosphäre bei den Dreharbeiten als freundschaftlich vorstellen – in »The Bigamist« wurde die erste Ehefrau verkörpert von Joan Fontaine, Youngs Ex-Frau, während »The Filmakers« auch das Ende der Ehe von Young und Lupino überdauerte.

Achtzehn Jahre später verhalf Sam Peckinpah, bei »Private Hell 36« noch Siegels Assistent, Lupino zu ihrer schönsten Altersrolle: als Mutter von Steve McQueen in dem Rodeofilm »Junior Bonner« verband sie Selbstbewusstsein und Mütterlichkeit.

Während in den USA schon Mitte der neunziger Jahre ein Sammelband erschien, der sich mit Lupinos Arbeit hinter der Kamera beschäftigte und dort wie in Frankreich zumindest »The Hitch-Hiker« auf DVD erschienen ist, bedurfte es erst des Anstoßes durch eine Retrospektive der Viennale 2015, um diese auch hier in den Blick zu rücken. Pünktlich zum 100. Geburtstag ist jetzt auch die erste deutschsprachige Buchpublikation über Lupino erschienen, basierend auf einer Veranstaltung der Universität Zürich 2016.

Acht Aufsätze und Analysen ihrer sieben Regiearbeiten vermitteln darin ein gutes Bild nicht nur der Regisseurin Lupino. Es geht auch um die Entwicklung ihrer Screen Persona von ihren Anfängen im britischen Kino, über ihre Rollen in Hollywoods anglophiler Phase der späten Dreißiger und frühen Vierziger bis hin zum amerikanischen Icon. Schön herausgearbeitet werden dabei die Unterschiede zu Kolleginnen wie Greer Garson und Joan Fontaine, die dem viel stärker verhaftet blieben. Es geht um Lupinos »Eigenwilligkeit« vor und hinter der Kamera, um ihre Verwendung von Stilmitteln wie Plansequenzen, um die Kadrage, auch in ihren Fernseharbeiten. Ebenso werden die Paarbildungen am Ende ihrer Filme diskutiert, die sich vom traditionellen Happy End Hollywoods unterscheiden.

Durch die Häufung von Formulierungen wie »telekinemathische Ästhetik«, »gegenwartsfetischisierende Purifikation« und »putative Singularität« auf der ersten Seite muss man durch, danach verzichtet der Band weitgehend auf diesen Wissenschaftsjargon. Die Screenshots sind wie immer aussagekräftig, hätten aber ruhig mehr sein können, die Filmografie detaillierter. Die umfangreiche Bibliografie enthält zwar eine Reihe entlegenerer akademischer Texte, scheint aber ausschließlich im Internet recherchiert worden zu sein, worauf einige falsche Jahresangaben hindeuten. Auch dass zwar ein Text anlässlich der Viennale-Retrospektive aufgeführt ist, nicht aber die Texte im Viennale-Katalog selber, passt dazu. Und natürlich hätte auch Hans Schifferles 1985 veröffentlichte Liebeserklärung »Coole Zärtlichkeit« hierher gehört.



Elisabeth Bronfen / Ivo Ritzer / Hannah Schoch (Hg.): Ida Lupino. Die zwei Seiten der Kamera.
Verlag Bertz + Fischer, Berlin 2018.
235 S., €25

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