Papas Kino lebt! – Die Retro des Festivals von Locarno

»Der gläserne Turm« (1957) von Harald Braun

»Der gläserne Turm« (1957) von Harald Braun

Revision eines Vorurteils: Das Festival von Locarno gibt dem deutschen Film der fünfziger Jahre eine Chance zur Neubewertung 

In diesem Jahr wird das Festival von Locarno eine Retrospektive zum bundesdeutschen Film der fünfziger Jahre zeigen. Das mag für manchen verwunderlich klingen, versteht sich doch das Schweizer Festival eher dem jungen und innovativen Kino verpflichtet – und die Filme der Adenauer-Ära gelten vielen als altbacken und noch geprägt vom »Ufa-Stil« der Nazizeit.

Doch diese Wertung versucht das Projekt »Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland 1949 – 1963« zu revidieren. Es wurde am 28.4.2016 in einer Pressekonferenz im Deutschen Filmmuseum Frankfurt vorgestellt; das Haus am Main kooperiert mit dem Festival del Film Locarno. Die Retrospektive, bestehend aus rund 80 Filme, soll ein neues Licht werfen auf den bisher eher als konventionell eingeschätzten Film der fünfziger Jahre, der von der späteren Generation deutscher Autorenfilmer als »Papas Kino« verfemt wurde.  Kurator Olaf Möller: »Es ist Zeit, dass wir ein paar Vorurteile loswerden und uns die widersprüchliche Schönheit dieser frühen Phase des bundesdeutschen Nachkriegskinos erschließen.«   In der Retrospektive laufen etwa der abgründige Heimatfilm »Rosen blühen auf dem Heidegrab« von Hans H. König (1959), die formal interessanten Werke »Jonas« (1957) von Ottomar Domnick und »Der gläserne Turm« (1957) von Harald Braun, aber auch die ungewöhnliche deutsch-polnische Koproduktion »Der achte Wochentag« (1958) von Aleksander Ford.

Die Retrospektive wird nach ihrer Premiere in Locarno neben Spielorten in der Schweiz, Italien, den USA und Portugal auch im Kino des Deutschen Filmmuseums im Oktober und November zu sehen sein. Für das Deutsche Filmmuseum bedeutet die Kooperation mit Locarno, worauf die Leiterin des Deutschen Filmmuseums, Claudia Dillmann, hinwies, eine Fortführung der Beschäftigung mit dem westdeutschen Nachkriegsfilm. 1989 beleuchtete  das Filmmuseum mit der Ausstellung und Filmreihe »Zwischen Gestern und Morgen« zum ersten Mal den Film der fünfziger Jahre, es folgten Monographien zum Produzenten Artur Brauner, dem Regisseur Kurt Hoffmann und den Schauspielern Curd Jürgens, Maria Schell und Klaus Kinski.

Locarno komplettiert sein Programm immer mit einer groß angelegten historischen Retrospektive, wie Carlo Chatrian, der Künstlerische Leiter des Festivals, auf der Pressekonferenz erläuterte. Im letzten Jahr war sie dem US-amerikanischen Regisseur Sam Peckinpah gewidmet, 2014 galt sie dem Filmland Italien.

Die Retrospektive wird begleitet von einem Katalog, der in einer deutschen und englischen Ausgabe erscheint. 30 Autorinnen und Autoren beschäftigen sich darin mit den Stars und den stilistischen und thematischen Konstanten jener Jahre. 

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