Filmfest München: Ein Hauch Anarchie

Klaus Lemke in »Zeigen was man liebt« (2016)

Klaus Lemke in »Zeigen was man liebt« (2016)

Eine Doku auf dem Münchner Filmfest erinnerte an die Zeit, in der die Stadt von jungen, wilden Regisseuren wie Lemke, Spils und Thome bespielt wurde. An ihnen musste sich der neue deutsche Film messen

Es gab eine Zeit, da war München so etwas wie die Hauptstadt des deutschen Films. Das Oberhausener Manifest aus dem Jahre 1962, das vielen als Initialzündung einer Aufbruchsbewegung im deutschen Film gilt, ist in München entstanden, im Hinterzimmer eines chinesischen Lokals in der Tengstraße – und fast alle Unterzeichner waren Münchner. Aber mit den Oberhausenern, die zielgerichtet politisch auch ein Netzwerk für ihre Form des Autorenfilms aufbauten, wollten andere Filmemacher wie Klaus Lemke oder Rudolf Thome nichts zu tun haben. Ihnen und ihren frühen Filmen ist die Dokumentation »Zeigen was man liebt« gewidmet, das vielleicht interessanteste Werk innerhalb der diesjährigen deutschen Reihe beim Filmfest. Ihre Filme spielen auf den Straßen, handeln von den Filmen, die sie im legendären  Kino »Türkendolch« gesehen haben, von rätselhaften Frauen und schnellen Autos, und sie haben eine Lässigkeit, die man heute mitunter vermisst. »Zeigen was man liebt«, das mache doch jeder gute Film, sagt Dominik Graf in der von Frank Göhre, Borwin Richter und Torsten Stegmann realisierten Dokumentation, in der auch Iris Berben (die etwa in Thomes »Supergirl« mitwirkte), Martin Müller, Thome (leider in einem Archivinterview) und sein Drehbuchautor Max Zihlmann mitwirken. Die Münchner Filmemacher haben ihre Filme ganz ohne Förderung gedreht, auch mit dem Geld der »Altbranche«, und nicht erst auf die entsprechende Förderstruktur gewartet.

Eine Kneipe hat auch eine Rolle gespielt in der Szene der Münchner Filmemacher, der Kleine Bungalow in der Türkenstraße. Werner Enke gibt in »Zeigen was man liebt« so etwas wie den Führer durch die filmische Subkultur der Stadt, zusammen mit seiner Freundin May Spils. Die beiden haben 1967 »Zur Sache, Schätzchen« gedreht, den vielleicht bekanntesten Film aus dem Umfeld der Münchner Gruppe, um einen Nichtstuer, der seine Sprüche im Minutentakt heraushaut. Drei weitere Filme haben die beiden noch nach ihrem Erfolg realisiert. Und im Parkhaus unter der ehemaligen Kneipe redet Klaus Lemke über damals, gegen die Oberhausener und das zu Tode geförderte Kino. »Wir waren jung, wir waren wild, wir waren die Größten.«

Lemke ist bis heute ein Rebell geblieben, einer, der, wie er betont, seine Filme ohne Förderung macht (was nicht ganz stimmt), dessen Filme auf der Straße spielen und immer noch so wirken, als könnte einem  Werner Enke begegnen. Irgendwie hätte Enke auch in den neuen Film von Klaus Lemke gepasst, als in den Tag lebender Kleinkrimineller und Gelegenheitszuhälter. »Unter­wäschelügen« heißt der, obwohl so viel Unterwäsche gar nicht vorkommt, aber das Schöne an Filmen sind ja auch ihre Versprechungen. Henning, der den Leuten in den Straßencafes die Brieftaschen aus den Jacketts fischt, besucht immer wieder seine Freundin im Atelier. Gedreht hat Lemke, der seine letzten Filme in Berlin realisierte, in der Akademie der Künste – um die Ecke vom Arri-Kino, dem Premierenort der Reihe »Neues Deutsches Kino«.

Dass Lemke, wie er selbst sagt, Filme ohne Plan macht, mag man danach nicht mehr so recht glauben, aber Frische und Spontaneität verströmt auch sein neuer Film. Ganz im Gegensatz zu einigen anderen in der Deutschen Reihe, die unter der Last ihrer Drehbuchkonstruktion schier ächzten. Es wird ja immer moniert, dass unser System der Filmförderung die schnelle Realisierung eines Projekts behindere – aber einige Monate mehr Drehbuchentwicklung hätte einigen Filmen ganz gut getan, die vieles anrissen, das sie nicht weiterverfolgten, und in denen es statt Timing überraschende Koinzidenzen gab.

In Dani Levys aktuellem Film funktioniert das Timing. »Die Welt der Wunderlichs« ist eine turbulente Familienkomödie, deren Charaktere nicht abgedrehter sein könnten. Katharina Schüttler spielt eine alleinerziehende Mutter, die einmal Musikerin war und von ihrem hyperaktiven Sohn für eine dubiose Castingshow angemeldet wird – in der Schweiz, so dass aus dem Familienfilm ein Roadmovie wird. Auch »Die letzte Sau«, der neue Film von Aron Lehmann, spielt auf der Straße und ist eine Mischung aus Ökoparabel und Roadmovie – der Geist von »Wir können auch anders...« weht durch diesen Film. Weil ein Meteorit seinen Hof vernichtet hat, macht sich ein Kleinbauer auf eine Odyssee durch Deutschland mit den zwei Sachen, die ihm noch verblieben sind: einem BMW-Gespann und dem letzten ihm noch verbliebenen Schwein. Und er hat eine Mission: den Kampf gegen die industrialisierte Landwirtschaft. Ein bisschen Anarchie, siehe Münchner Gruppe, hat dem deutschen Film immer schon gutgetan.

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