Festival von Locarno: Anspruchsvoll

Miriam Jakob in »Der traumhafte Weg«

Miriam Jakob in »Der traumhafte Weg«

Das Festival von Locarno ist ein wichtiges Podium für den Independent-Film. Und ist bekannt für seine abendlichen Vorführungen auf der Piazza Grande – mit  8000 Zuschauern

Vergangenheit und Gegenwart, Personen, die sich finden und die auseinandergehen, drei Zeiten, drei Städte: mit »Der traumhafte Weg« hat es Angela Schanelec in diesem Jahr in den Internationalen Wettbewerb des Festivals von Locarno geschafft und die wiederkehrenden Themen des diesjährigen Jahrgangs konsequent sperrig erzählt. Was von einigen Kritiken gleich als »Zumutung« abgetan wurde, erwies sich als faszinierendes Stück Kino, eine Herausforderung an den Zuschauer.

Überhaupt war die deutsche Präsenz in diesem Jahr stark: Auf der Piazza Grande feierte Christian Schwochows »Paula« (über die Malerin Paula Modersohn-Becker) seine Welt- und Maria Schraders Vor der Morgenröte seine internationale Premiere. Weltpremieren in anderen Sektionen waren neue Dokumentarfilme von Corinna Belz (Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte …) und Heidi Specogna (Cahier Africain), zu denen zahlreiche Koproduktionen kamen.

Im Internationalen Wettbewerb (17 Filme) war Michael Kochs »Marija« einer von drei Erstlingsfilmen. Aus ihm bleibt das trotzige Gesicht der Hauptdarstellerin Margarita Breitkreiz in Erinnerung, auch wenn die Geschichte einer jungen Ukrainerin, die in Dortmund vom eigenen Frisiersalon träumt, aber erst einmal als Reinigungskraft in einem Hotel arbeiten muss, nicht unbedingt originell ist und Georg Friedrich einmal mehr einen gewieften Kleinkriminellen gibt.

Im Wettbewerb fehlten diesmal die Altmeister, wenn man nicht Yousry Nasrallah (Jahrgang 1952) schon dazu zählen will, der in Brooks, Meadows and Lovely Faces anlässlich eines großen Festes das komplexe Porträt einer arabischen Familie entwirft. Eine Reihe von FilmemacherInnen knüpfte an frühere Filme an, so Tizza Covi/Rainer Frimmel (die mit »Mister Universo« einmal mehr eine Geschichte aus dem Milieu eines kleinen Wanderzirkus erzählten) und die Argentinierin Milagros Mumenthaler, in deren »Idea de un lago« für eine Fotografin ihre aktuelle Arbeit zur Erinnerung an ihre Kindheit während der Militärdiktatur gerät.

Die Verschränkung von Gegenwart und Vergangenheit zog sich durch viele Filme des Festivals, ebenso die Auseinandersetzung mit familiären Verhältnissen. Jan P. Matuszyński erzählt sie in »The Last Family« als tragische Groteske, basierend auf der realen Familie des surrealistischen Malers Beksinski. Ins Groteske kippte auch »Wet Woman in the Wind«, Akihiko Shiotas Remake eines »Pink-Eiga«-Films, in dem die sexuellen Begegnungen eines ausgebrannten Dramatikers mit einer fordernden jungen Frau zunehmend an das Spätwerk Russ Meyers erinnern.

Subtiler war da »L’Indomptée«, das Debüt von Caroline Deruas, gezeigt im zweiten Wettbewerb, »Cineasti del presente«, der Erst- und Zweitlingswerken vorbehalten ist. Für ihre Protagonistin, Stipendiatin in der römischen Villa Medici, wird die Vergangenheit und die erste weibliche Stipendiatin an diesem Ort, über die sie zu schreiben versucht, zunehmend zur Gegenwart, die auch das Verhältnis zu ihrem Ehemann, einem erfolgreichen Autor, nicht unbeeinflusst lässt. Unter den 15 Filmen dieser Reihe befanden sich vier Dokumentarfilme, zu denen auch eine deutsche Produktion zählte: In »I had Nowhere to Go« erteilt Douglas Gordon dem Avantgardepionier Jonas Mekas das Wort – im wahrsten Sinne des Wortes, denn ein großer Teil des Werkes besteht aus Schwarzfilm und konzentriert sich auf die Stimme von Mekas, der von Kindheit und Jugend in Litauen und den Kriegserlebnissen erzählt. Mekas, der im Dezember seinen 94. Geburtstag feiern kann, war selber in Locarno anwesend.

Dass drei der Filmemacher, die im vergangenen Jahr in Locarno präsent waren (Chantal Akerman, Michael Cimino und Andrzej Zulawski) inzwischen verstorben sind, lässt einen ein wenig bangen, andererseits waren Roger Corman (90) und Mario Adorf (85) bei den Publikumsgesprächen derartig vital, dass man sich um die keine Sorgen machen sollte. Beide wurden hier für ihr Lebenswerk ausgezeichnet, Adorf bildete zudem die Verbindung zur Retro »Geliebt und verdrängt. Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963«, die mit mehr als 40 Programmen für manchen neuen Film entschädigte.

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